Trauer KI könnte den Umgang mit dem Sterben völlig verändern

Grief-Tech-Firmen entwickeln Künstliche Intelligenz, die Verstorbene als digitale Version zum Leben erweckt. Eine Sterbeamme verrät, ob sie darin eine Gefahr oder Chance für die Trauerarbeit sieht.
Mit Künstlicher Intelligenz, abgekürzt KI, ist heute schon so einiges möglich. Selbst die Toten kann selbstlernende Software heute schon zurückholen. Darauf haben sich Unternehmen spezialisiert, die in Expert:innenkreisen als Grief-Tech-Firmen bezeichnet werden. Beispiele dafür sind YOV, Here After und Storyfile. Sie alle entwickeln KI, mit der Verstorbene wieder lebendig werden.
Von Chatbots, Deepfakes oder einer künstlichen Stimme wie der „Voice AI“, die auf TikTok viral geht, bis zur Augmented-Reality-Brille, mit der man Verstorbene als eine Art Hologramm sieht und mit ihnen ganz normal am Alltag teilnimmt, ist alles möglich. Hinterbliebene sollen mit ihren Liebsten über den Tod heraus kommunizieren können. „Niemals ganz Tschüss sagen müssen“, lautet der Slogan von YOV. Ist das eine Gefahr oder Chance, fragt BuzzFeed News DE eine Sterbeamme.

Trauer KI um mit Verstorbenen zu chatten – „meine Klient:innen wären alle begeistert“
Verstorbene für immer bei uns? Erinnert ein wenig an den Spiegel Nerhegeb bei Harry Potter, der Harry seine früh verstorbenen Eltern zeigt, die er sich am meisten herbeisehnt. Nur darf er nicht zu lange hineinschauen, denn wer sich im Spiegel verliert, sieht nicht mehr das echte Leben, sondern nur noch das, was man sich wünscht. Ein Problem, das Birgit Wagner, Trauerforscherin an der Medical School Berlin, im Gespräch mit der Zeit auch bei Trauer KI sieht. „Durch die Illusion des Chatbots könnte der Trauernde darin behindert werden zu akzeptieren, dass der Verstorbene nicht mehr da ist.“
Die Sterbeamme Antonette Dugayo-Holz leitet das Trauerzentrum Amea in Dinslaken und bezeichnet, was sie tut, als „moderne Trauerarbeit“, wie sie auch zwei Bestatterinnen aus Düsseldorf machen. Sie sieht das mit der Trauer KI etwas anders als Wagner: „Viele meiner Trauerkolleginnen werden mich steinigen, aber ich sehe in Trauer KI eine riesige Chance. Wenn ich meinen Klient:innen sagen würde: Ich habe eine KI, um mit Verstorbenen zu chatten‘ – die wären alle begeistert.“
Warum? Weil wir Trauer im Alltag mehr zulassen und sie nicht als Schwäche werten sollten, findet die Trauerexpertin. Leider werde das in der Gesellschaft nicht so gesehen und ein frühes Loslassen gelte als Stärke. „Dabei ist Trauer ein menschliches Grundgefühl und hat einen bedeutsamen Platz in unserem Leben.“ Verzweiflung in der Trauer existiere oft, weil sich Hinterbliebene sich noch etwas von der Seele reden müssten.

„Zu einem gewissen Grad könnte Trauer KI meine Arbeit erleichtern“
Momentan betreue sie eine Frau, die ihr Kind ganz plötzlich bei der Geburt verloren hat und sich dafür selbst nun die Schuld gebe. „Wenn die eine Art KI hätte, die ihr in Form des Kindes Mut zuspricht und sie von ihrer Schuld befreit, dann wäre das eine große Hilfe“, so Dugayo-Holz zu BuzzFeed News DE. Im Endeffekt würden Trauerbegleiter:innen nichts anderes machen, als eine Trauer-KI: Auch sie gingen mit den Menschen in ihr Innerstes und führten Trauergespräche. „Eine KI verbildlicht diesen Prozess nur, nichts weiter. Zu einem gewissen Grad könnte sie meine Arbeit erleichtern.“
Wie viele Dinge sei KI eben ein Tool, das positiv (Künstler:innen schaffen mit KI dicke, Schwarze Fantasy-Charaktere) oder negativ (KI-Experte macht sich über ein neues Phänomen Sorgen), genutzt werden könne. „Wie schön wäre das, am einjährigen Todestag einer Person mithilfe einer KI so richtig deren ehemaliges Leben zu feiern?“, fragt die Sterbeamme. „Gerade Trauerbegleiter:innen aus dem kirchlichen Bereich finden Trauerarbeit mit Social Media oder auch KI grenzwertig. Dazu muss man aber ganz klar sagen: Deren Sterbe- und Trauerkultur hat sich seit 500 Jahren nicht weiterentwickelt.“
„Mit jeder neuen Generation wird das Digitale mehr zur Symbiose“
Dugayo-Holz lässt das Digitale schon immer in ihre Arbeit einfließen und klärt auf TikTok unter dem Namen @blumenworte über den Tod, das Sterben und ihre Ausbildung zur Sterbeamme auf (siehe unten). Dafür wird sie von manchen Trauer-Expert:innen schräg angeschaut, erzählt sie BuzzFeed News DE. Auf so eine Kritik höre sie jedoch gar nicht.
Es tue ihren Klient:innen einfach gut, wenn sie die digitale Welt in ihre Trauerarbeit miteinbeziehe. Dazu gehörten auch digitale Nachlässe, also der Umgang mit den Daten, die wir im Netz hinterlassen, wenn wir sterben. „Die Gesellschaft entwickelt sich weiter und mit jeder neuen Generation wird das Digitale mehr zur Symbiose“, findet die Sterbeamme.
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Wie gefährlich kann Trauer KI sein?
Eine Gefahr sieht sie jedoch trotz ihres Digital-Optimismus: „Trauer-KIs sollten nur im Beisein von Expert:innen genutzt werden. Sonst ist die Gefahr zu groß, dass sich eine Person in einer KI vergräbt“, sagt Dugayo-Holz, die selbst schon mit dem Verlust ihrer Tochter klarkommen musste. Nach ihr (Amea) hat sie auch ihr Trauerzentrum benannt.
„Wenn die KI suizidale Dinge sagt, kann es sogar gefährlich werden.“ Es müsste Warnsysteme geben, die bei zu hohem Konsum einen Disclaimer und Hilfenummern einblenden und suizidale Anmerkungen jeglicher Art klar blockieren, so die Trauerpädagogin. Hier sehe sie die Entwickler wie YOV, Storyfile oder Here After in der Verantwortung.
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