Stranger Things: Queere Menschen, die in den 80ern aufgewachsen sind, verteidigen „Queerbaiting“

Einige „Stranger Things“-Zuschauer:innen sind nicht glücklich darüber, dass über Wills Sexualität nicht gesprochen wird.
Die Sexualität von Will Byers wurde in allen vier Staffeln von „Stranger Things“ hinterfragt; in der Netflix-Serie „Stranger Things“, die Netflix davor rettet, noch mehr Kund:innen zu verlieren, wurde immer wieder angedeutet, dass der Teenager schwul ist. Gleich in der ersten Folge von Staffel eins erzählt Wills Mutter Joyce dem Polizeichef Jim Hopper, dass Wills Vater „immer gesagt hat, [Will] sei schwul“ und ihn beschimpft hat.

Mit dem Fortschreiten der Serie haben sich auch die Andeutungen gehäuft. Außer Will gehen alle seine engen Freunde im Laufe der Serie heterosexuelle Beziehungen ein. Will ist aber Single geblieben, und in Staffel 3 sagte Mike sogar zu ihm: „Es ist nicht meine Schuld, dass du keine Mädchen magst.“

„Stranger Things“-Star Finn Wolfhard – „weiß nicht, ob es etwas mit Wills Sexualität zu tun hatte“
Finn Wolfhard, der Mike spielt, hat zuvor zugegeben, dass er keine Ahnung hat, ob diese Zeile sich speziell auf Wills Sexualität bezog, oder eine generelle Bemerkung über Wills mangelndes Interesse an einer Beziehung.
„Ich weiß nicht einmal, ob es etwas mit Wills Sexualität zu tun hatte“, sagte er laut PopBuzz 2019. „Ich glaube Mike war einfach nur wütend und hat die Tatsache angebracht, dass er nicht interessiert ist. Ich schätze, wir werden sehen, was es wirklich bedeutet hat, aber es liegt ganz an den [Serienmachern] Duffers und dem, was sie tun wollen.“
Hier schreibt unser Autor, warum „Stranger Things“ sich mit der vierten Staffel endlich wieder eingegroovt hat.

Die Spannungen zwischen Will und Mike haben die beliebte Fan-Theorie hervorgebracht, dass Will heimlich in seinen besten Freund verliebt ist, was sich in der letzten Staffel scheinbar zuspitzte. Tatsächlich glauben die Zuschauer:innen, dass Will in einer emotionalen Szene in Staffel vier unter dem Vorwand, über Eleven zu sprechen, seine eigenen Gefühle gestanden hat. Er wandte sein Gesicht von Mike ab, als er sagte: „In den vergangenen Monaten war sie so verloren ohne dich. Sie ist so anders als andere Menschen... Und wenn man anders ist, fühlt man sich manchmal wie ein Fehler.“ Danach brach er in stilles Weinen aus.

Noah Schnapp verkörpert bei „Stranger Things“ Will – er sagt lange nichts dazu, „wie Will ist“
Zu Beginn des Jahres meinte der Schauspieler Noah Schnapp, der Will verkörpert, dass es das ‚Schöne‘ an der Geschichte seines Charakters ist, dass so viel der eigenen Interpretation überlassen wird. „Ich habe das Gefühl, dass sie es nie wirklich ansprechen oder plump sagen werden, wie Will ist“, sagte er zu der Zeit. „Ich denke, das ist das Schöne daran, dass das Publikum seine eigenen Interpretationen haben kann – ob es Will ist, der sich einfach weigert, erwachsen zu werden und langsamer als seine Freunde aufwächst, oder ob er wirklich schwul ist.“

Millie Bobby Brown, die Elf spielt, fügte dem Interview hinzu: „Kann ich einmal anmerken, dass wir das Jahr 2022 haben und wir den Dingen keine Label geben müssen?“

Will‘s Sexualität bestätigt:„Jetzt ist es zu 100 Prozent klar, dass er schwul ist“

Vergangene Woche hat Noah jedoch in einem Interview mit Variety Wills Sexualität bestätigt. „Es war immer schon irgendwie da, aber man wusste nie so richtig, ob er einfach nur langsamer erwachsen wird als seine Freunde?“, teilte er Variety mit. „Jetzt wo er älter ist, haben sie es zu einem richtigen, offensichtlichen Thema gemacht.“

Noah fügte hinzu: „Jetzt ist es zu 100 Prozent klar, dass er schwul ist und Mike wirklich liebt. Vorher war es eine langsame Entwicklung. Ich finde, es wurde sehr schön gemacht, denn es ist so einfach, eine Figur ganz plötzlich als schwul dazustellen.“

Er erzählte auch, dass er von älteren „Stranger Things“-Fans angesprochen wurde, die sich von Wills Story repräsentiert fühlten. „Ich war erst in Paris und dieser etwa 40-jährige Mann kam zu mir und war so: ‚Wow, der Charakter von Will hat mir so ein gutes Gefühl gegeben. Ich konnte es so nachempfinden. Genau so war ich als Kind.‘ Das zu hören hat mich richtig glücklich gemacht“, teilte Schnapp. „Sie schreiben diesen echten Charakter und diesen echten Lebensweg mit echten inneren Kämpfen und sie machen es gut“, fuhr er fort.

Betreibt „Stranger Things“ Queerbaiting?
Aber die Entscheidung der Duffers, Wills Sexualität nicht direkt anzusprechen, hat durch die Serie eine Debatte angestoßen und manche Menschen beschuldigen die Show, dass sie „Queerbaiting“ betreibt. „Queerbaiting“ bedeutet, dass LGBTQ+ Charaktere in TV-Serien und anderen Medienformaten angedeutet werden, ohne dass sie wirkliche Repräsentation in Form einer Liebesgeschichte bekommen.

Vergangene Woche schrieb Eleanor Noyce einen Artikel für die Zeitschrift Independent mit der Überschrift „Ich liebe ‚Stranger Things‘, aber Wills Storyline fühlt sich für mich wie ‚Queerbaiting‘ an“.

„Undeutliche Andeutungen, die die Identität des Charakters betreffen sind nicht nur enttäuschend, sie sind feige“, schreibt Noyce in dem Artikel. „‘Queerbaiting‘ ist keine spaßige Art und Weise, um Fangirls zu gewinnen; es spielt mit dem Leben von Menschen, mit ihren echten Identitäten und damit, wie LGBTQ+ Charaktere auf dem Bildschirm repräsentiert werden. Außerdem ist das faules Schreiben.“

„Auch wenn Coming-Out-Szenen nicht unumstritten sind und sie auch übertrieben werden, bieten diese Geschichten eine wichtige, lebensrettende Darstellung. LGBTQ+-Menschen wollen auf eine Welt hinarbeiten, in der sich niemand mehr outen muss – aber so weit sind wir noch nicht“, fügt Noyce hinzu.

Und andere teilten ihre ähnliche Meinung in den sozialen Medien. Eine Person retweetete Noahs Kommentar über die „Schönheit“ von Wills Sexualität, weil sie offen für Interpretationen ist, und fügte hinzu: „Nur Heteros würden denken, dass es schön ist, wenn man seine Homosexualität nicht anerkennt.“
Jemand anderes schrieb: „Solche Identitäten unerforscht und offen für Interpretationen zu lassen ist nicht die Meisterleistung, für die sie es halten.“
Noch jemand twitterte: „Stranger Things hatte die Gelegenheit, eine wahnsinnige Menge an Fortschritt für die Darstellung von LGBTQIA+ in den Mainstream-Medien zu machen und hat sich trotzdem dafür entschieden, sein Publikum wie alle anderen sonst auch zu verarschen. Wann wird die Darstellung von queeren Menschen so ernst genommen wie die von Heterosexuellen?“
„Stranger Things“ spielt in den 80ern – idealisierte ‚moderne‘ Sichtweise“ ist hier nicht angebracht
Andere verteidigen die Serie wiederum und weisen darauf hin, dass sie im ländlichen Indiana der 1980er Jahre spielt – zu einer Zeit, in der es unglaublich gefährlich sein konnte, sich als schwul zu outen. In einer Diskussion auf Reddit schrieb ein Fan: „Die Leute vergessen, dass Menschen in den 80er Jahren zu Tode geprügelt und enteignet wurden, weil sie offen schwul waren. Es war nicht so akzeptiert wie heute.“

Eine andere Person stimmte dem Kommentar zu: „In den 80er Jahren und davor war die Homophobie ziemlich weit verbreitet. Die AIDS-Epidemie war in vollem Gange und wurde als SCHWULENKRANKHEIT betrachtet. Es ist keine Schwulenfeindlichkeit, wenn ein Junge im Teenageralter seine Sexualität nicht preisgibt.“

„Ich bin schwul und wurde ein paar Jahre nach Will geboren“, schrieb eine dritte Person. „Seine Erfahrungen und Gefühle sind fast genau so wie meine. Mir ist es lieber, wenn ein Drama, das in der Vergangenheit spielt, eine realistische Darstellung bietet, was es bedeutet hat schwul zu sein, anstatt die idealisierte ‚moderne‘ Sichtweise.“

Ein anderer schwuler Mann, der in den 80er-Jahren aufgewachsen ist, stimmte dem zu und erklärte: „Wills Geschichte gibt authentisch wieder, wie es ist, in den 80er Jahren schwul zu sein. Für diejenigen unter euch, die nicht zu der Zeit geboren sind, zeigt die Erzählung von Will, wie isolierend und wie schwer es war, zu akzeptieren und sein authentisches Selbst zu sein. Die Anzahl der Male, die ich geweint und versteckt habe, wer ich war, lässt Will wie ein verdammtes Vorbild aussehen.“

„Ich habe das schon einmal gesagt – ich bin lesbisch, Jahrgang 1987“, schrieb noch jemand auf Reddit. „In den 80er Jahren war queer zu sein anders als heute. Die AIDS-Epidemie war eine große Sache, es gab sehr wenige schwule Charaktere oder Vorbilder, zu denen man aufschauen konnte und viel mehr Menschen outeten sich nicht.“

„Ich bin dieses Argument so satt. Diese Show betreibt kein ‚Queerbaiting‘. Er ist ein 15-Jähriger in den 80ern, der in einer Kleinstadt in Indiana wohnt und mit seiner Sexualität zu kämpfen hat. Für mich fühlt sich seine Storyline extrem lebensecht an“, stimmte jemand anderes zu.

Noch jemand merkte an: „Das war auch die Zeit, in der die Homophobie aufgrund von der AIDS-Krise auf dem Vormarsch war, so dass es für ihn beängstigend sein muss schwul zu sein, geschweige denn sich zu outen.“

„Die Leute erwarten irgendwie eine 2020-Sicht auf die Dinge, die in den 1980er Jahren stattfinden“, schrieb jemand anderes. „Will hat keine Ahnung, was er fühlen soll. Er hat einen missbrauchenden Vater, der ihn seit seiner Kindheit als queer bezeichnete, weil er ‚sensibel‘ ist. Seine Freunde haben keine Vorstellung davon, was schwul ist oder was es bedeutet. In der Welt sind die meisten so sehr damit beschäftigt, das Upside-Down zu überleben, dass sie (und Will selbst) keine Chance haben, Wills eigene Sexualität zu verstehen.“

„Selbst wenn es nicht in den 80er Jahren gewesen wäre, wäre es für einen 14- oder 15-jährigen Jungen in Ordnung, seine Sexualität noch nicht vollständig zu verstehen“, schloss ein anderer.

Maya Hawkes Figur Robin outet sich in Staffel drei als lesbisch
Während Wills Sexualität in der Serie nicht direkt thematisiert wurde, hat sich Maya Hawkes Figur Robin in Staffel drei als lesbisch geoutet, als sie unter der Wirkung eines Wahrheitsserums stand. In dieser ergreifenden Szene sagte Robin zu Steve, dass sie kein Interesse an ihm hat, weil sie sich zu einer Mitschülerin hingezogen fühlt. Steve hat Robin sofort akzeptiert, aber noch hat sie sich gegenüber keiner der anderen Figuren in der Serie geoutet.

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Autorin ist Stephanie Soteriou. Dieser Artikel erschien am 18. Juli 2022 zunächst auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Lea Samira Maier.