Das neueste Tarifangebot kann man doch gar nicht mehr ablehnen
Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst bleiben ergebnislos. Die „unüberbrückbaren Unterschiede“ sind nicht mehr zu verstehen.
MEINUNG
Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen haben keine Einigung ergeben. Arbeitgeber und Gewerkschaften gehen erneut zerstritten auseinander. So langsam wird es absurd.
Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hatten zu Beginn der Woche 350.000 Leute in vielen Gebieten Deutschlands zum Streik aufgerufen. Deutschland lag lahm, eine Wiederholung des Szenarios droht. Auch wenn ein Schlichtungsverfahren weitere Streiks erst einmal abwenden soll.
Millionen Menschen brauchen jeden Tag den öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Pendler sind aufs Auto angewiesen. Geschäfts- und Privatreisende nutzen Flugzeuge. Die meisten Bahnstrecken, Flughäfen, auch die Autobahngesellschaft und damit viele Straßen könnten aber bald wieder betroffen sein.
Deutlich mehr Geld und keine Kompromisse?
Woran hapert es? Die Gewerkschaften wollen mehr Geld, verhandeln, streiken. Es ist ihr gutes (demokratisches) Recht – aber auch harter Tobak.
Nicht nur, weil Millionen Schüler:innen, Arbeitnehmer:innen oder Eltern ihre Streiklust ausbaden müssen. Ein Großteil schien zuletzt sogar (noch) Verständnis für die Anliegen haben. Doch das dürfte – zurecht – mit zunehmender Streikdauer abnehmen.
Warum? Lokführer:innen kriegen bei einer 39-Stunden-Woche 44.000 bis 53.400 Euro, Zugbegleiter:innen 37.000 bis 50.000 Euro, Fahrdienstleiter:innen 37.000 bis gut 55.000 Euro im Jahr. Die Eisenbahner:innen der EVG fordern mindestens 650 Euro beziehungsweise zwölf Prozent mehr Lohn. Verdi will 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro mehr Monatslohn.
Nicht falsch verstehen: Mehr Gehalt fordern und Geld bekommen – legitim und angemessen.
Doch während viele Unternehmen keinen Cent Inflationsausgleich zahlen und viele Arbeitnehmer:innen trotz der Krisen unserer Zeit leer ausgehen, verlässt Verdi den Verhandlungstisch und spricht von „unüberbrückbaren Unterschieden“ - trotz des Angebots. Das lautet: acht Prozent mehr Lohn, mindestens aber 300 Euro mehr und eine 3.000 Euro Extra-Einmalzahlung. Das ist ein voller Inflationsausgleich, zusätzlich hätten Arbeitnehmer:innen sofort eine hohe Summe kassiert und Hilfe bekommen.
Für meine Friseurin, die sich das von außen anschaut, die sich erst vor gut einem Jahr ein Auto angeschafft hat und die ihr Fahrzeug vor kurzem direkt wieder verkaufen musste, dürfte das alles wie Hohn klingen.
Vier Wochen vergehen bis zur Rückkehr an den Verhandlungstisch
Es geht ja auch um den Subtext.
Anders gesagt: Das eine sind die Zahlen. Das Andere der Zeitpunkt: Der nächste reguläre Verhandlungstermin soll Ende April stattfinden. Bei aller artikulierten Dringlichkeit und Drastik wirkt das gelinde gesagt arrogant. Ein für viele andere Arbeitnehmer:innen halbwegs attraktives Angebot wird nicht nur ausgeschlagen. Die Taktik lautet: lahmlegen, ein verbessertes Angebot erneut nicht annehmen und dann lange warten.
Kann man zwar machen. Der Rückhalt könnte aber ganz schnell schwinden, wenn die Arbeitnehmer:innenseite so weitermacht und auf Konfrontationskurs eskaliert. Die Frage muss erlaubt sein: Schon mal was von einem (guten) Kompromiss gehört?
