„Heilende“ Steine und der CrystalTok: Was den „healing Crystal“-Trend so problematisch macht

Nicht nur Wissenschaft und Justiz sind sich beim Thema „heilenden“ Kristalle einig, auch viele Fachleute warnen inzwischen.
Sie funkeln und glitzern – und sollen auch noch gesund, reich und schön machen. Die Welt der Heilkristalle auf TikTok ist bunt und vor allem eines: gefährlich. Denn während die einen sie zum Spaß oder aus ästhetischen Gründen kaufen, sind auch viele dabei, die sich von den Kristallen tatsächlich Hilfe versprechen.
Gerade unter dem Hahstag „CrystalTok“ sind die bunten Steine allgegenwärtig. Immer mehr Influencer:innen bieten die Kristalle auf ihren Profilen an. Während einige Steine eher zahme Wirkungen entfalten sollen, wie eine harmonische Beziehung oder dass der Schwarm endlich die Liebe erwidert, geht es auch wesentlich beunruhigender zu.
„Heilende“ Steine und Kristalle: Was hinter dem Boom auf TikTok & Co. steckt
Der Stein Sodalith, ein blaues Mineral, soll beispielsweise den Blutdruck senken. Auch bei Astma könne er helfen und, na klar, auch die Bauchspeicheldrüse und die Insulinproduktion unterstützt das Trinken von Sodalith-Wasser. Der Mondstein andererseits soll beim Schwanger werden und bei Krämpfen helfen – allerdings hilft er nur dann besonders gut, wenn er „aufgeladen“ wurde. Das sollte aber am besten im Shop des Vertrauens geschehen. Solche Videos werden alleine auf TikTok tausendfach angeschaut.
Was sagt die Wissenschaft und die Justiz zu dem Trend, und warum bekommt er gerade jetzt nicht nur auf TikTok so einen große Aufwind? Ein Überblick:
„Crystal Tok“: Was die Wissenschaft von den vermeintlich „heilenden Steinen“ hält
Eine irgendwie geartete und wissenschaftlich belegbare Wirkung der „Healing Crystals“ lässt auf sich warten. So erklärte Professor Gregor Markl vom Institut für Mineralogie bereits 2002 gegenüber dem Wissensmagazin Scinexx: „Es gibt KEINERLEI unabhängige, unter wissenschaftlichen Bedingungen durchgeführte Studien, die irgendeine Wirkung von Steinen auf die Gesundheit belegen (abgesehen von manchen pulverisierten Chemikalien, die aus Steinen gewonnen werden können, wie z. B. Salz natürlich). Natürlich ist es so, dass Glauben Berge versetzt, und in diesem Sinne wirkt vieles, ähnlich wie Placebo-Präparate, doch ist das eben nicht die Art Wirkung, die in der Medizin nötig ist.“
Auch 20 Jahre später liegen noch keine validen Studien vor, die „healing Crystals“ als solche anerkennen, wie der Wissenschaftler Peter Heaney gegenüber der Washington Post betont. Lediglich ein Placebo-Effekt wird ihnen zugestanden. Ein Effekt, der selbst in der Wissenschaft viele Kritikerinnen und Kritiker hat, wie auch die Deutsche Apothekerzeitung schreibt.
„Healing Crystals“ auf TikTok: Das sagt die deutsche Justiz zu den Kristallen
Auch die Justiz hat eine klare Meinung zu den „heilenden Steinen“. Laut einem Urteil des Landgerichts Hamburg (Aktenzeichen 327 O 204/08) ist es nicht nur wettbewerbswidrig, Steinen eine heilende Wirkung zuzusprechen oder sie „Heilsteine“ zu nennen. Selbst, wenn darauf hingewiesen wird, dass diese Wirkung nicht wissenschaftlich belegt sei, darf weder eine Linderung von Krankheiten noch eine gesundheitsfördernde Wirkung versprochen werden.
Seit der Corona-Pandemie hat sich der Boom in der Crystal-Community verstärkt. Nicht zuletzt TikTok ist ein gewinnbringender Aggregator. Zhuo Job Chen, Professor an der University of North Carolina, glaubt zu wissen, was dahinter steckt: „In Zeiten der Ungewissheit suchen die Menschen nach Anhaltspunkten, die ihnen ein Gefühl des Da-Seins geben, sie suchen nach Wegen, um Zusammenhänge zu schaffen und der Welt einen Sinn zu geben – die eigene Person in etwas Größeres zu transzendieren. Kristalle können für manche eine solche Quelle sein“, erklärt er gegenüber der Washington Post.
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Was an den „heilenden“ Steinen und Kristallen so problematisch ist
Die Kristalle und Steine können also wichtige Anker für diejenigen sein, die sich im chaotischen Heute nach – wenn auch etwas teurer – Hilfe sehen. Doch sich potenziell mit einer „healing Crystal“-Sucht in den Ruin zu stürzen, ist nicht die einzige Gefahr.
Denn: Problematisch wird es dann, wenn aufgrund der funkelnden Steine auf medizinisch notwendige Behandlungen verzichtet wird. Das erklärt auch Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun, Mitautorin des Buchs „Gefährlicher Glaube: Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“. Im Interview mit dem Wissenschaftsmagazin Spektrum betonte sie mit Blick auf vermeintliche „Heilsteine“, die bei Krebs helfen sollen: „Was macht das mit einer Person, die gerade auf eine Chemotherapie angewiesen ist – und im schlimmsten Fall stattdessen auf solche Ansätze setzt? Die Übergänge von vermeintlich harmlosen Angeboten zu jenen, die drastische Auswirkungen auf das eigene Leben haben können, sind fließend.“
Das macht Aufklärungsarbeit umso wichtiger, denn der Trend um die „Healing Crystals“ ist nicht nur bunt, sondern auch gefährlich.