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TikTok zensiert Begriffe der LGBTQI+-Community, ohne dass es jemand merkt

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Von: Christian Kisler

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Montage: Teilnehrmer:innen an der Rainbow-Parade in Wien, ein Smartphone mit dem TikTok-Logo
Begriffe aus der LGBTQI+-Community werden auf TikTok zensiert. ©  Florian Schroetter/EXPA/Ramon van Flymen/ANP/APA-PictureDesk

„Schwul“, „queer“, „homophob“ oder auch „LGBTQI+“ und seine Abwandlungen: TikTok verbirgt diese Begriffe, ohne dass User:innen es merken.

Schon einmal von „Shadow Banning“ gehört? Auch bekannt als „Comment Ghosting“ oder dem wenig originellen deutschen Begriff „Reichweitendrosselung“. Vielleicht ist dir das auf Instagram oder TikTok auch schon passiert, ohne dass du es gemerkt hast. Bei „Shadow Banning“ werden Inhalte, die du gepostet hast, für alle anderen unsichtbar gemacht - ohne, dass du es selbst mitbekommst. Bestenfalls wunderst du dich, weil dein letzter Kommentar keine Reaktionen aufweist. In den meisten Fällen merkst du nichts davon. Gefährlich wird es, wenn man sich als Social-Media-Unternehmen auf Jugendschutz ausredet, tatsächlich aber Zensur betreibt.

TikTok führt eine schwarze Liste

Dass das ans Licht gekommen ist, ist einem Recherche-Team der deutschen öffentlich-rechtlichen Sender NDR und WDR sowie der „tagesschau“, dem deutschen Gegenstück zur „Zeit im Bild“, zu verdanken. Deren TikTok-Team hatte schon länger den Verdacht, dass bestimmte Wörter auf einer Art schwarzen Liste, einem Wortfilter, stehen würden. Mit mehreren Accounts kommentierte man verschiedene Inhalte auf TikTok - oder versuchte es zumindest. 100 Wörter wurden dabei eingesetzt, gleich 19 von ihnen kamen bei mindestens drei Versuchen auf verschiedenen Accounts nicht zur Veröffentlichung. Bei den Begriffen „Porno“ und „Sex“ kann man sich noch einreden lassen, dass sie möglicherweise aus Jugendschutzgründen gefiltert worden waren.

Dass allerdings Begriffe aus der LGBTQI+-Community wie „schwul“, „gay“, „homosexuell“ oder eben „LGBT“ ebenfalls gefiltert wurden, erhärtete den Verdacht, dass TikTok eine Wortfilterliste für deutschsprachige Inhalte angelegt hat und über einen automatischen Mechanismus quasi Zensur übt. Bei 1,2 Millionen User:innen in Österreich und einem Anteil von 13 Prozent bei Jugendlichen zahlt es sich schon aus, Nutzer:innenschaft nach eigenem Gusto zu lenken.

Dass dem chinesischen Konzern „queere Umtriebe“ nicht genehm sind, ist vielleicht alles andere als in Ordnung, in Anbetracht der staatlichen Positionen dazu über Umwege nachvollziehbar - in China selbst. Dass dort der Name der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai Opfer von „Shadow Banning“ ist - der Logik des chinesischen Regimes folgend okay. Die Ideologie der Einheitspartei lässt keine Risse an der Oberfläche zu. Immerhin hatte Peng Shuai den ehemaligen Funktionär Zhang Gaoli im November 2021 des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Das darf natürlich nicht sein.

Zensur von LGBTQI+-Begriffen auf TikTok ergibt keinen Sinn

Warum ihr Name aber auch in deutschsprachigen Accounts nicht aufscheinen darf, ist ebenso rätselhaft, wie die Zensur von Begriffen aus der LGBTQI+-Community. Immerhin hat man sich in der Vergangenheit offen und divers gegenüber der LGBTQI-Community gezeigt und eigenen Angaben zufolge gar queere Accounts auch finanziell gefördert. Unerklärlich auch die Zensur der Wörter „Nationalsozialismus“ und „Auschwitz“. Schließlich hat TikTok doch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Gedenkstätten und Institutionen anlässlich des letzten Holocaust-Gedenktages am 27. Jänner angekündigt, und das mit jeder Menge Öffentlichkeitsarbeit dahinter.

Das, was TikTok da betreibt, ist kein Moderieren der Inhalte, sondern Zensur. Was viele vielleicht nicht wissen: Auch Unternehmen sind zur Wahrung der Menschenrechte verpflichtet. Da gehört die Meinungsfreiheit dazu. Und um ein weiteres Missverständnis aus dem Weg zu räumen: Das ist kein Freibrief, alle zu beflegeln und Unwahrheiten zu verbreiten. Man muss sehr wohl auch im Umgang miteinander den Ton wahren, nicht nur aus moralischen, sondern auch aus gesetzlichen Gründen.

TikTok räumt „nicht zielgerichtetes“ Vorgehen ein

TikTok redet sich auf Anfrage von NDR und WDR jedenfalls auf künstliche Intelligenz aus und kommentiert lediglich Peng Shuai: „Wir haben Mechanismen eingerichtet, um potenziell schädliche Kommentare automatisiert herauszufiltern“, schreibt eine Sprecherin. „Wir sind uns darüber im Klaren, dass dieses Vorgehen in diesem Fall nicht zielgerichtet war, und wir arbeiten mit Hochdruck daran, unser Vorgehen zu überarbeiten.“ Nachdem TikTok mit den Vorwürfen konfrontiert wurde, waren nur noch 11 Wörter Opfer von „Shadow Banning“. Dass es dafür Journalist:innen braucht, ist in Wahrheit ein Skandal. Nichts gegen Jugendschutz, im Gegenteil. Den findet man auf den meisten anderen Plattformen auch. Nur bei TikTok werden Begriffe aus dem Kontext heraus blockiert, ohne dass die User:innen davon in Kenntnis gesetzt werden. Das ist Zensur. Transparenz geht anders.

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