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Expertinnen warnen vor TikTok-Trend #thatgirl – „setzt unter enormen Druck“

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Von: Felicitas Breschendorf

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Screeenshot von TikTok. #thatgirl macht 4 bis 5 Mal die Woche Sport machen. Aber ist das auch für jeden das Richtige?
#thatgirl macht vier bis fünf Mal die Woche Sport. Aber ist das auch für jeden das Richtige? © TikTok/ Kaylie Stewart/ Screenshot

Auf TikTok wollen viele junge Frauen #thatgirl werden. Der Trend kann deinem Selbstbewusstsein und Körperbild schaden, warnen Expertinnen.

Hinweis: Dieser Artikel thematisiert Essstörungen und Verhaltensstörungen.

Auf TikTok verbreitet sich gerade wieder der Trend #thatgirl. Junge Frauen filmen dabei den perfekten Tagesablauf: früh aufstehen, meditieren, Smoothies trinken und viel Sport machen. Sie beschreiben, was sie tun, um „that girl“ zu werden. „That girl“ – das eine Mädchen, das alles richtig macht. Nebenbei vergessen sie, wie individuell wir sind, wie eine Therapeutin gegenüber BuzzFeed News erklärt. Im Gegensatz zu Andrew Tate, der auf TikTok Frauenhass verbreitet hat, ist die Gefahr viel subtiler. Für das eigene Körperbild und das Selbstbewusstsein kann der #thatgirl-Trend dennoch toxisch sein.

Wir sind nicht alle #thatgirl – Jeder Mensch hat unterschiedliche Bedürfnisse

Die TikTokerinnen stellen den Tagesablauf oder die Morgenroutine von #thatgirl als Ideal oder „am besten für den Körper“ dar. „Es werden Dinge gezeigt, die für eine Person vielleicht subjektiv hilfreich sein können, dann aber auf viele Menschen übertragen werden“, sagt die Verhaltenstherapeutin Julia Tanck, die zu Körperbildstörungen forscht. Menschen haben aber unterschiedliche Bedürfnisse. „Nicht für jeden ist es sinnvoll, jeden Tag die gleichen Routinen durchzuführen.“ Während manche Struktur im Leben brauchen, fühlen sich andere damit unwohl. Sie brauchen zum Beispiel mehr Flexibilität. Gefährlich wird es laut Tanck, wenn Followerinnen den Tagesablauf von #thatgirl nachahmen, obwohl er ihnen persönlich nicht guttut.

#thatgirl kann zu Verhaltensstörungen und Essstörungen führen

Junge Frauen sind auf TikTok mit dem angeblich perfekten Bild von #thatgirl konfrontiert. „Das setzt sie unter enormen Druck“, sagt Tanck. Sie vergleichen sich mit „diesem Mädchen“, wollen genauso werden. „Dieses ständige Vergleichen kann negative Auswirkungen auf die mentale Gesundheit haben“, so Tanck. Zum Beispiel könne darunter das Selbstbewusstsein leiden. Wenn ich mich zu einem gewissen Tagesablauf zwinge, kann das im schlimmsten Fall auch zu Verhaltensstörungen führen.

Die Wissenschaftlerin Kathatarina Pilgrim forscht zum Zusammenhang von Social Media und Körperbild. In ihrer Arbeit konnte sie einen linearen Zusammenhang zwischen Social Media und der Entwicklung von Essstörungen feststellen. Nach ihrer Einschätzung nach kann auch der #thatgirl-Trend, der dünne Körper idealisiert, negative Folgen auf das eigene Körperbild haben. Speziell nennt sie die Krankheit „Orthorexia nervosa“, bei der sich Betroffene auf übertriebene Weise damit beschäftigen, wie gesund ein Lebensmittel ist. Verhaltenstherapeutin Tanck fügt zu dem Thema hinzu, dass zu der Entwicklung einer Essstörung immer ganz viele Faktoren dazugehören. Forschende haben kürzlich ein Gen gefunden, das für Essstörungen verantwortlich ist.

Früh aufstehen und gleich joggen – warum der Zwang zu #thatgirl schädlich sein kann

Früh aufstehen, trainieren, sich gesund ernähren – klingt nach einem guten Plan, oder? „Es geht nicht darum, zu sagen, es ist ungesund, jeden Tag zur gleichen Uhrzeit aufzustehen oder Smoothies zu trinken“, erklärt die Therapeutin. Das Problematische sei der Zwang, der durch die Videos entsteht: Ich MUSS früh aufstehen, ich MUSS dann Sport machen, ich MUSS mich gesund ernähren. Einige #thatgirl-TikTokerinnen setzen sich beim Joggen eine tägliche Schrittanzahl zum Ziel. „Es ist aber völlig okay, wenn ich einmal nicht meine Schritte schaffe oder Mal nicht so gesund esse“, so Tanck.

#thatgirl-Influencerinnen sind dünn und schön – Jeder Körper ist unterschiedlich

#thatgirl sein bedeutet nicht nur sich auf eine gewisse Art zu verhalten. Es geht auch darum, auf eine bestimmte Art auszusehen. Auf TikTok sprechen dünne, normschöne Frauen über den Trend. Ins Fitnessstudio gehen, Smoothies trinken, nur gesunde Bowls essen – das Ziel der Videos ist, einen gesunden Körper zu haben. Dünnsein und Gesundsein – gehört das überhaupt zusammen? „Ein hohes Körpergewicht bedeutet nicht automatisch, dass die Person ungesund ist“, sagt Tanck. Genauso lasse auch ein niedriges Körpergewicht nicht darauf schließen, dass die Person gesund sei. Der Körper des idealen #thatgirl lässt sich demnach auch nicht auf jeden Menschen übertragen.

Nicht nur die Bedürfnisse von Menschen sind unterschiedlich, sondern auch ihre Körper. Tanck macht sich auf ihrem Instagram-Kanal für Body Positivity stark. Mit BuzzFeed Österreich hat sie bereits darüber gesprochen, wie schädlich es ist, die Körper von anderen zu kommentieren.

Für Influencer:innen ist #thatgirl Marketingstrategie

Junge Menschen auf TikTok wollen so sein wie ihre Vorbilder. Wenn ihre Lieblings-TikToker:innen Videos von #thatgirl posten, wollen sie mitmachen. „Sie vergessen, dass Influencerinnen hauptsächlich mit Social-Media-Content ihr Geld verdienen“, warnt Pilgrim. Bei vielen ist TikTok der Hauptberuf. „Sie müssen nicht um 8 Uhr in der Schule sitzen oder für die Uni lernen.“ Wenn sie ein Video zu #thatgirl drehen, dann haben sie Zeit, ihren perfekten Tagesablauf zu gestalten. Als Zuschauerin mit anderen Verpflichtungen ist es demnach verständlich, dass ich nicht mithalten kann. Beim Trend #dayinthelife zeigen TikTokerinnen, wie langweilig ihr Alltag wirklich ist.

Pilgrim hält es außerdem für problematisch, dass TikTokerinnen Produkte in ihren #thatgirl-Videos verstecken. Sie haben Verträge mit Webepartner:innen, etwa einer bestimmten Créme. Im Video verkaufen sie diese dann als Teil der perfekten Morgenroutine. „Dieses Versprechen von Gesundheit und Glück propagiert ganz nebenbei die Art und Weise, wie wir konsumieren“, sagt Pilgrim.

Auch der TikTok-Trend #Sheinhaul regt junge Menschen zum Kaufen an. TikToker:innen präsentieren dort ihre Einkäufe aus dem Online-Handel Shein.  

Der #thatgirl-Trend ist als Gegenbewegung gestartet

Pilgrim hat das Phänomen #thatgirl schon länger beobachtet. Ursprünglich sei der Trend als Gegenbewegung zu dem Selbstoptimierungs-Wahn gestartet. In den ersten Videos ging es verstärkt darum, dass man sich auch Zeit für sich nehmen soll: Durchatmen, ein Buch lesen, auf sich selbst hören. #slowdown statt #becomingthatgirl. „Ich finde es schade, dass der Trend von Marken instrumentalisiert wurde“, sagt Pilgrim. Was als Ausgleich und Entspannung gedacht war, sei zu einer andern Form von Selbstoptimierung und Zwang geworden. Jetzt sei #thatgirl nur ein Beispiel für unzählige ebenso toxische Fitness-, Ernährungs- und Wellnesstrends.

Woran merke ich, dass #thatgirl für mich oder Freundinnen schädlich ist?

Tanck berät in ihrer Praxis Patientinnen, die unter dem Druck von TikTok, Instagram & Co. leiden. Wir haben sie nach Dingen gefragt, an denen du erkennst, dass dir #thatgirl schadet: Wenn du etwa unflexibel im Alltag wirst, weil du erstmal alle #thatgirl-Aufgaben (jeden Tag Sport und so weiter) erfüllen musst. Ein weiteres Anzeichen seien Schuldgefühle. „Zum Beispiel, wenn du an einem Morgen etwas Bestimmtes nicht gemacht hast, und dich deswegen schlecht fühlst.“ Wenn du ähnliche Verhaltensweisen bei einer Freundin feststellst, kannst du sie vorsichtig darauf ansprechen, „ohne sie zu verurteilen“.

Und ab wann sollte man sich therapeutische Hilfe suchen? Tanck fasst das so zusammen: „Wenn du das Gefühl hast, dass es dir schlecht geht, aber möglicherweise den Gedanken hast, es gehe dir ‚noch nicht schlecht genug‘, oder ‚anderen geht es noch schlechter als mir, ich nehme jemandem den Platz weg‘ – dann ist ein richtiger Zeitpunkt, dieses mit professioneller Hilfe abklären zu lassen.“ 

Wie gehe ich richtig mit TikTok-Trends und Social Media um?

Die Lösung ist natürlich nicht, sich gar nicht mehr auf TIkTok zu bewegen. Social Media ist bei vielen Teil des Lebens – besonders bei Gen Z, die auf TikTok sogar über Klarna-Schulden schwärmt. Wenn Patientinnen in Tancks Praxis kommen, die durch Social Media an sich selbst oder ihrem Körper zweifeln, geht sie deshalb auch anders vor: Gemeinsam mit ihren Patient:innen überlegt sie, wie ein gesunder Umgang mit Social Media aussehen könnte. „Es gibt ja nicht nur schwarz und weiß.“ Wenn man sich mit dem Content einer Influencerin nicht wohlfühlt, mache es immer Sinn, der Person zu entfolgen. Stattdessen kann man etwa TikTokerinnen folgen, die ein positives Körperbild vertreten. Oder die einen Alltag vorleben, der zu mir passt.

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