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Tom Brady ist ein Paradebeispiel dafür, wie egoistisch toxische Männlichkeit ist

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Football-Legende Tom Brady ist für viele Jungen ein Vorbild. Dabei verkörpert er eine längst überholte Vorstellung von Männlichkeit.

In den USA erzählen Footballtrainer die junge Spieler inspirieren wollen, Geschichten über Tom Brady. Sie erzählen, dass die NFL-Teams bei der Auswahl im Jahr 2000 198 andere Spieler vor ihm ausgewählt haben, weil er im College langsam, unsportlich und unauffällig war. Sie beschreiben seinen unscheinbaren Körper auf einem Scouting-Foto vom April 2000, das zu einem Symbol für Bradys legendären Werdegang geworden ist.

Es erinnert daran, dass die klügsten Köpfe des Spiels seine Talente übersehen haben, weil die besonderen Qualitäten, die er besaß, nicht auf Fotos, Statistiken oder Stoppuhren zu sehen waren. Er begann seine Profikarriere als wenig bekannter Ersatzspieler und arbeitete dann hart genug, um der wohl größte Footballspieler aller Zeiten zu werden. Bradys wahre Gabe, so könnten diese Trainer sagen, ist seine unermüdliche Hingabe zum Sport.

Er geht vor 21 Uhr ins Bett, wacht um 5:30 Uhr auf und analysiert in seiner Freizeit Spielaufnahmen. Er isst keine Tomaten, Pilze, Milchprodukte und Gluten. Er verbringt große Teile seiner Frühjahrs- und Sommerpause damit, Trainingseinheiten mit seinen Mannschaftskameraden zu organisieren, um sicherzustellen, dass sie zwischen den offiziellen Trainings fit bleiben. Die meiste Zeit seiner Karriere hatte Tom Brady einem niedrigeren Gehalt zugestimmt, damit sein Team mehr Geld hat, um andere talentierte Spieler zu verpflichten.

Brady selbst führt seinen beruflichen Erfolg darauf zurück, dass er bereit ist, für seinen Job viele Opfer zu bringen. Eine Sache, die jedoch auch zum Burn-out führen kann – auch bei der Generation Z. In einem Podcast-Interview sagte Brady vor Kurzem: „Ich betrachte eine Footballsaison fast so, als würde ich einen Einsatz beim Militär absolvieren.“ (Er hat sich anschließend für diese Aussage entschuldigt.)

Tom Brady verkörpert alte patriarchale Strukturen

„Was bist du bereit zu tun und was bist du bereit aufzugeben, um der Beste zu sein, der du sein kannst?“, sagt Brady in der Facebook Watch-Doku-Serie „Tom vs. Time“ von 2018. „Wenn ihr gegen mich antreten wollt, müsst ihr bereit sein, euer Leben aufzugeben. Weil ich meins aufgebe.“ Brady verkörpert damit eine Figur, die so alt ist wie das Patriarchat selbst: der ehrbare Versorger, der auch dann arbeitet, wenn ihm nicht danach ist, jede Sekunde sein Bestes gibt und in seiner Branche aufsteigt, um das finanzielle Wohlergehen seiner Familie zu sichern. Laut einem Männlichkeitsforscher ist dieses Männerbild veraltet und muss dringend neu definiert werden.

Brady trägt diese Last für seine Liebsten, wird er einem sagen und er weiß ihre unnachgiebige Unterstützung zu schätzen, denn nach einem langen Arbeitstag braucht ein Mann eine liebevolle Umarmung, mit der er zu Hause empfangen wird. Den Superbowl zu gewinnen „bedeutete viel für meine Familie“, sagt Brady in „Tom vs. Time“. „Weil ich weiß, was meine Familie alles dafür getan hat.“ Er ist, wie er sagt, ein Märtyrer für eine gerechte Sache. Solange er bei der Arbeit erfolgreich ist, die Rechnungen bezahlt und niemanden missbraucht, ist er ein guter Mensch.

Bradys Verhalten fällt unter die Kategorie „toxische Männlichkeit“. Schau dir hier Beispiele toxischer Männlichkeit an, die Männer wirklich erlebt haben.

Nach Vorwürfen von Gisele Bündchen: Tom Brady kündigte Rücktritt an

Viele Männer halten an dieser Norm fest, obwohl sie ein Relikt aus einer Welt ist, die nicht mehr existiert. Frauen können jetzt ihr eigenes Geld verdienen. Ein männlicher Versorger ist nicht länger ein wesentlicher und unvermeidlicher Bestandteil eines funktionierenden Haushalts. Traditionelle Geschlechterrollen sind heute eine Wahl und keine Pflicht. In einer typischen heteronormativen Partnerschaft verweigert ein Mann, der seine ganze Energie in die berufliche Arbeit steckt, der Frau diese Freiheit, ihren Ehrgeiz auszuleben und überlässt ihr die unbezahlte Care-Arbeit, die heute immer noch größtenteils von Frauen getragen wird. Das ist Egoismus, getarnt durch vorgespielte Uneigennützigkeit.

Bradys Frau, Multimillionärin und brasilianisches Model Gisele Bündchen, braucht keinen Versorger. Obwohl sie insgesamt mehr Geld verdient als er, kümmert sie sich auch um den gesamten Haushalt. Nicht ungewöhnlich: Laut einer Studie erledigen sogar Frauen, die mehr verdienen, noch den Großteil des Haushalts. In einem Interview mit Howard Stern erzählte Brady, dass Bündchen ihm 2018 einen Brief geschrieben hat, in dem sie ihre Frustration über das Ungleichgewicht in der Beziehung ausgedrückt hat, das seine Gewohnheiten verursacht hatten.

Tom Brady und Gisele Bündchen: Droht jetzt die Scheidung?

„Sie hatte nicht das Gefühl, dass ich meinen Teil für unsere Familie tue“, sagte er. „Sie hatte das Gefühl, dass ich die ganze Saison über Football gespielt habe und sie sich um den Haushalt kümmert, und wenn die Saison zu Ende war, hätte ich plötzlich gesagt: ‚Toll, lass mich all diese anderen Dinge anpacken. Lass mich mit meinem Football-Training anfangen.‘ Und sie hat gefragt: ‚Wann machst du denn mal was für das Haus? Wann bringst du die Kinder zur Schule und machst dies und das?‘“

Im Februar gab Tom Brady bekannt, dass er sich aus dem Sport zurückzieht, „um meine Zeit und Energie auf andere Dinge zu konzentrieren, die meine Aufmerksamkeit erfordern“. Er gestand die anhaltende Ungleichheit in seiner Ehe ein. „Ich kam immer vom Spielfeld und nach Hause zu meiner liebevollen und Frau, die mich immer unterstützt hat, die ALLES für unsere Familie getan hat, damit ich mich auf meine Karriere konzentrieren konnte“, schrieb er in der Erklärung. „Ihre Selbstlosigkeit hat es mir ermöglicht, beruflich neue Höhen zu erreichen.“

Tom Brady und Gisele Bündchen beim Met Museum Costume Institute Benefit, 06. Mai 2019.
Tom Brady und Gisele Bündchen sind (noch) verheiratet © ZUMA Wire/IMAGO

Einen Monat später gab er bekannt, dass er seine Meinung geändert habe und für eine weitere Saison zurückkehren werde. In einem Interview mit Elle äußerte sich Bündchen besorgt über diese Entscheidung. „Ich hätte gerne, dass er präsenter ist“, sagte sie. „Wir haben immer wieder das gleiche Gespräch geführt.“ In diesem Herbst, wenige Wochen nach Beginn der NFL-Saison, berichtete die New York Post, dass Brady und Bündchen Scheidungsanwälte engagiert haben.

Der Sport steht für viele Athleten über Familie, Freund:innen und Gesundheit

Bradys Probleme, das für eine gleichberechtigte Partnerschaft notwendige Gleichgewicht zu finden, spiegeln ein toxisches Nebenprodukt der toxischen Männlichkeit wider, das die emotionale Entwicklung vieler Männer, mich eingeschlossen, behindert hat. Frauen mit beruflichen Ambitionen sind damit aufgewachsen, dass sie Beruf und Privatleben unter einen Hut bringen müssen. Männer hingegen hatten lange Zeit das Privileg, einen solchen Kompromiss nicht eingehen zu müssen. Stattdessen werden wir durch unsere Vorbilder, die Darstellung in den Medien und die gesellschaftlichen Normen dazu erzogen, unseren Wert ausschließlich an unseren beruflichen Erfolgen zu messen. Kümmere dich um das Geschäft, so dachte ich, und alles andere wird sich von selbst erledigen.

Am deutlichsten wird diese Mentalität im Sport, wo die Arbeit, die Leistungen und Misserfolge in der Öffentlichkeit zu sehen sind. Kobe Bryants berühmte „Mamba-Mentalität“, die Arbeitsmoral zu einer heiligen Tugend erhebt, „besteht darin, morgens um vier Uhr zu trainieren und mehr zu tun als der andere“, sagte er in einem Interview. Michael Jordans legendärer Kampfgeist, der ihn zum größten Basketballspieler aller Zeiten machte, entschuldigte den Missbrauch seiner Mannschaftskameraden.

Football-Spieler verpassen lieber die Geburt ihres Kindes, als ein Spiel. Sie sind auf das Spielfeld gegangen, während sie um einen geliebten Menschen trauerten. Sie fuhren Hunderte von Kilometern mit dem Auto, um zum Stadion zu gelangen, weil eine Lungenverletzung sie daran hinderte, mit dem Flugzeug zu fliegen – aber nicht daran, auf dem Spielfeld zu stehen. Sport trägt dazu bei, dass Männer toxische Männlichkeit verinnerlichen – sich abschotten, anstatt über Ängste nachzudenken und zu reden. Emotionen zu unterdrücken, anstatt sie zu verarbeiten, stolz darauf zu sein, Verletzungen durchzustehen, anstatt innezuhalten, um zu heilen. Dabei haben auch Männer Gefühle und mentale Probleme – so wie diese Stars, die über ihre psychische Gesundheit sprechen.

Simone Biles und Naomi Osaka stellen ihre Gesundheit vorne an

Die bekanntesten Athlet:innen, die sich gegen diese Erwartungen auflehnen, sind Frauen. Nachdem sie sich von den Olympischen Spielen 2021 zurückgezogen hatte, um sich auf ihre psychische Gesundheit zu konzentrieren, sagte Simone Biles der Associated Press: „Wir müssen unseren Geist und unseren Körper schützen, anstatt einfach da herauszugehen und das zu tun, was die Welt von uns erwartet.“

Nachdem Naomi Osaka vergangenes Jahr ihren Start bei den French Open abgesagt hatte, um sich auf ihre Angststörung und Depressionen zu konzentrieren, schrieb sie in einem Essay im Time Magazine, dass „es in Ordnung ist, nicht in Ordnung zu sein, und dass es in Ordnung ist, darüber zu sprechen“. Fünfzehn spanische Spitzenfußballerinnen weigerten sich, für die Nationalmannschaft zu spielen, weil der Führungsstil des Trainers „ihren emotionalen Zustand und ihre Gesundheit“ beeinträchtigte.

Athleten wie Babe Ruth riskieren ihre Gesundheit für den Sport

Für viele Männer wie Tom Brady kann es beängstigend sein, sich von der Arbeit zurückzuziehen. Wenn man sich über seinen beruflichen Status definiert und sich ganz dem Unternehmen hingibt, was bleibt dann noch übrig, zu dem man zurückkommen kann?

Einige der größten Sportler scheinen sich ohne Wettkämpfe so verloren zu fühlen, dass sie über die Grenzen ihres Körpers hinausgehen. Nachdem er alle Baseballrekorde gebrochen hatte, spielte Babe Ruth weiter, auch wenn er wegen seines kaputten Körpers nur noch humpelnd auf dem Feld stand und kaum noch etwas beitragen konnte. Nach seinem märchenhaften Rücktritt im Anschluss an den Gewinn der Meisterschaft kehrte Michael Jordan vier Jahre später in geschwächter Form zurück. Sogar Muhammad Ali, der bereit war, seine Boxkarriere zu riskieren, um sich gegen den Vietnamkrieg zu engagieren, zog sich die Handschuhe wieder an, obwohl sein Körper zu langsam war, um vor Schlägen auszuweichen und sein Gehirn schon schwere Schäden aufwies.

Wer ist Tom Brady abseits des Football-Feldes?

Als Footballfan beobachte ich Brady seit zwei Jahrzehnten und finde wenig an ihm interessant – abgesehen von seiner Besessenheit. Seine Interviews sind langweilig, gefüllt mit Klischees und Plattitüden. Als Reporter:innen ihn 2015 nach der „Make America Great Again“-Kappe in seinem Spind fragten – möglicherweise der erste wirkliche Einblick in seine Interessen außerhalb des Spielfelds – sagte er, dass Trump ihm die Kappe über den Besitzer der New England Patriots, Robert Kraft, zugeschickt habe. Brady erklärte, dass er und Trump zusammen Golf gespielt hätten und dass „er mich immer anruft und mir zu verschiedenen Zeiten verschiedene Arten von Motivationsreden hält.“ Er wollte aber nicht sagen, ob er vorhabe, für ihn zu stimmen.

Die Kappe war am nächsten Tag aus dem Spind verschwunden und Brady hat sich nie wieder öffentlich zu Trump bekannt. Es war unklar, was er wirklich dachte, aber wenn jemand hinter dem Mond lebt, dann Brady, ein Mann, dessen ganze Persönlichkeit es ist, ein großer Footballspieler zu sein. (Obwohl er es bisher vermieden hat, offen über seine politischen Ansichten zu sprechen, wird sein Name erneut mit einem umstrittenen Republikaner in Verbindung gebracht: Die New York Times berichtete, dass Brady mit dem Gouverneur von Florida, dem Republikaner Ron DeSantis, geschrieben hat).

Hier übrigens 13 kuriose Tweets von Trump, die die Welt wohl nie vergessen wird.

Tom Brady: Toxisches Vorbild für viele junge Sportler

Ich mochte Brady noch nie, aber da ich als Kind auch von der großen Football-Karriere geträumt habe, habe ich seine Hingabe (widerwillig) respektiert. Als ich in der Highschool war, als Brady gerade seine ersten Meisterschaften spielte, hatte auch ich diesen Tunnelblick. Ich bat meine:n Trainer:in um einen Schlüssel für den Kraftraum und stand jeden Morgen um 6.30 Uhr auf, um noch vor der ersten Schulstunde zu trainieren.

In der Nebensaison organisierte ich Trainingseinheiten mit den wenigen Mannschaftskameraden, die bereit waren, ihre Nachmittage zu opfern, und an den Tagen, an denen niemand dabei war, habe ich auf eigene Faust Sprints und Fußarbeit trainiert. Ich verzichtete auf Alkohol und alle anderen Rauschmittel, die meine Freunde auf Partys konsumierten. Meine ganze Identität war Athlet sein, ich ging stolz, mit wunden Beinen und humpelnd in den Unterricht und trug T-Shirts mit den Namen der Colleges, von denen ich hoffte, dass sie mir ein Stipendium anbieten würden.

Footballspieler Tom Brady auf dem Spielfeld, 25. Oktober 2022.
Tom Brady ist einer der besten NFL-Spieler aller Zeiten. © ZUMA Wire/IMAGO

Auch ich steckte (obsessive) Energie in meine journalistische Karriere

Diese Mentalität behielt ich auch dann bei, als ich in meinem zweiten College-Jahr aufhörte, Football zu spielen und meine (obsessive) Energie in meine journalistische Karriere steckte. In den ersten zehn Jahren meiner Karriere arbeitete ich in den meisten Wochen 60 bis 70 Stunden, jonglierte meine tägliche Arbeit als Reporter mit Buchprojekten und anderen Nebenbeschäftigungen, schlief selten mehr als fünf oder sechs Stunden und machte regelmäßig die Nacht zum Tag. In dieser Zeit habe ich nur zwei richtige Urlaube gemacht, die eine Woche oder länger dauerten. An den Wochenenden entwickelte ich eine Routine, die ich „Arbeitsbrunch“ nannte und die darin bestand, dass ich in ein Restaurant ging, um bei Mimosasen und Eiersandwiches vier Stunden lang zu schreiben.

Ich ließ zu, dass meine Arbeit jeden möglichen Raum in meinem Leben einnahm und schuf so viel Platz wie möglich für sie, denn ich hatte das Gefühl, dass jeder freie Zentimeter, eine verpasste Gelegenheit war. Wie Brady war auch ich bereit, alles beiseite zu schieben, was meine Produktivität behindern hätte können. Ich brauchte oft tagelang, um auf Nachrichten zu antworten, ging selten ans Telefon (wenn es nicht gerade um etwas Berufliches ging) und verbrachte wenig Zeit mit Menschen, die mir wichtig waren. Ich bildete mir ein, dass sich mein Terminkalender nach Erreichen eines imaginären Endes irgendwann auflösen würde.

Totale Aufopferung für den Beruf macht Menschen krank

Es war einfach, einen höheren Sinn in dieser Plackerei zu sehen. Ich deckte mit meinem Schreiben Ungerechtigkeiten auf. Ich verdiente Geld, das ich mit meiner Mutter teilen konnte. Ich stieg in eine berufliche Position auf, die es mir ermöglichen würde, andere PoC (People of Colour)-Journalist:innen zu fördern. Aber das waren nur Nebeneffekte eines in Wirklichkeit von meinem Ego getriebenen Ehrgeizes. Ich lebte so, weil mir die Arbeit Spaß machte, weil ich stolz darauf war, viele Stunden zu arbeiten, und ich meinen Wert an der Qualität der von mir veröffentlichten Geschichten maß. Das ist sicherlich nicht gesund, genauso wenig, wie krank zur Arbeit zu gehen – 72 Prozent der Deutschen tun das jedoch.

Indem ich meine Arbeitsgewohnheiten mit meinem Kampf für Gerechtigkeit begründete, konnte ich den Schaden, den mein Verhalten in anderen Teilen meines Lebens anrichteten, erklären oder besser noch ignorieren. Die Freundschaften, die ich schleifen ließ, meinen Körper, um den ich mich nicht mehr kümmerte, meine mentale Gesundheit, die ich ignorierte. Ich hatte die Fähigkeit verloren, abzuschalten. In jedem freien Moment kehrten mein Gedanken reflexartig zu den Projekten zurück, die ich freiwillig angenommen hatte. Die Gegenreaktion von diesem Verhalten ist der Tiktok-Trend „Quiet Quitting“, der Karrieren jedoch zerstören kann.

Ich sah das als Effizienz, nicht als Problem. Ich betrachtete extreme Aufopferung als Voraussetzung für Spitzenleistungen, weil ich das von den Sportlern, die ich bewunderte, gelernt hatte. Dabei hatte ich nicht bedacht, dass ich mit meinem Verhalten eine kapitalistische Kultur unterstütze, die diejenigen belohnt, die der Arbeit den Vorrang vor allem anderen geben. Auch hatte ich die falsche Vorstellung verinnerlicht, dass der Beruf wertvoller ist als sich (unbezahlt) um andere zu sorgen, sein Privatleben in Ordnung zu halten und sich um sich selbst zu kümmern. Es kam mir nicht in den Sinn, dass die Tatsache, dass ich ganze Teile meines Lebens, die mich nicht interessierten, einfach ignorieren konnte, ein Privileg war, das auf Kosten der Menschen ging, die mir wichtig waren.

Immer mehr und mehr, bis zum Burn-out

Erst als die Last zu schwer wurde, konnte ich mich aus diesem Kreislauf befreien. Ich riss mir beim Basketballspielen die Achillessehne, weil ich nicht in Form war. Die immer extremeren politischen Ansichten meiner Mutter zwangen mich, mehr Zeit damit zu verbringen, unsere Beziehung wieder in Ordnung zu bringen. Ich wehrte mich gegen langfristige romantische Beziehungen, weil mir die emotionale Energie für eine gleichberechtigte Partnerschaft fehlte. Es fiel mir schwer, den Tag zu überstehen, ohne einen oder vier Joints zu rauchen. Und Cannabis wird zwar legal, birgt aber auch einige Gefahren.

In diesem Frühjahr, als sich die finanzielle Situation an meinen Arbeitsplatz wieder verschlechterte, war ich zum ersten Mal in meiner Karriere mit beruflichen Entscheidungen überfordert. Ich gestand mir selbst ein, dass ich ausgebrannt war und begann damit, mich um die Teile meines Lebens zu kümmern, die ich vernachlässigt hatte. In diesem Sommer nahm ich den längsten Urlaub meines erwachsenen Lebens. Ich fing an, eine Therapie zu machen. Ich habe aufgehört, zu jeder beruflichen Gelegenheit „Ja“ zu sagen. Anstatt endlos produktiv zu sein, habe ich mir geschworen, mehr im Gleichgewicht zu leben. Es ist ein ständiger Kampf.

Wie wird es für Tom Brady weitergehen?

Ich frage mich, wie Brady diese Übergangsphase, in der er sich gerade befindet, verarbeitet. Er ist jetzt 45 Jahre alt, holt immer noch alles aus seinem Körper heraus und behauptet sich immer noch in einem Sport, in dem nur wenige Spieler bis Ende 30 durchhalten. Aber große Veränderungen in seinem Leben drohen seine sorgfältig ausgearbeitete Routine zu stören. Die mehr als 20 Jahre lange Karriere, der er sein Leben gewidmet hat, neigt sich langsam, aber sicher dem Ende zu – ebenso wie seine 13 Jahre währende Ehe. Ich denke Scheidungsanwält:innen würden ihm sicher Tipps geben, wieso seine Beziehungen gescheitert ist.

Er kann sich mit Arbeit ablenken. Er kann versuchen, weiterzuspielen, bis er 50 ist. Er kann seine Energie darauf konzentrieren, ein Football-Trainer oder ein Geschäftsmann zu sein. Oder vielleicht ist dies der Moment, in dem er sich von der toxischen Last befreit, die so viele Männer uns auferlegt haben, um unser Ego zu befriedigen. Vielleicht wird er erkennen, dass die Welt an ihm vorbeigezogen ist. Vielleicht wird er sich Sorgen machen, dass eines Tages, wenn Trainer ihren jungen Spielern von Tom Brady erzählen, seine Geschichte nicht als Inspiration, sondern als abschreckendes Beispiel dienen wird.

Autor ist Albert Samaha. Der Artikel erschien am 25. Oktober 2022 auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Friederike Hilz.

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