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#TransMedienWatch: Initiative fordert Medien zu sensiblerem Umgang mit Trans-Themen auf

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Von: Robert Wagner

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Teilnehmer einer Demonstration gegen den Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht an der Humboldt-Universität stehen vor dem Hauptgebäude der Humboldt-Universität (2. Juli 2022).
Wurden in den Medien oft als gewaltbereite Extremisten dargestellt: Transgender-Aktivist:innen, die Anfang Juli vor der HU Berlin gegen einen fragwürdigen Vortrag demonstrierten. Diesen Missstand will #TransMedienWatch angehen. © Christophe Gateau/dpa

Die Transgender-Debatte nimmt an Fahrt auf, hat aber noch viele Defizite. Die Initiative #TransMedienWatch setzt sich für mehr Sachlichkeit und Respekt ein.

„Ist es nicht peinlich, wenn ausgerechnet HU-Juristen hier die Wissenschaftsfreiheit attackieren, ausgerechnet am Bebelplatz?“ Diese Frage richtete ein Reporter des rbb in einem Videobeitrag an einen Vertreter der Humboldt-Universtität Berlin (HU), nachdem diese am 2. Juli einen umstrittenen Biologievortrag abgesagt hatte. Der Referentin Marie-Luise Vollbrecht war vom Arbeitskreis kritischer Jurist*innen (akj) Transfeindlichkeit und wissenschaftliche Unredlichkeit vorgeworfen worden. Der Uni-Vertreter betonte in seiner Antwort gegenüber dem rbb, dass der HU die „Wissenschaftsfreiheit ein extrem wichtiges Gut“ sei, das man „mit allen Mitteln verteidigen“ werde.

Der Aufruf des akj zum Protest und die daraufhin erfolgte Ankündigung von Gegenprotesten hatten für die Absage des Vortrags gesorgt – wofür der rbb die Aktivist:innen des akj in einem Beitrag der „Abendschau“ in die Nähe des Nationalsozialismus rückte. Der Moderator spielte in seinem Beitrag historische Aufnahmen Bücher verbrennender Nazis ein, die 1933 auf dem Bebelplatz, gegenüber der HU, unter anderem Werke „ungenehmer Wissenschaftler“ den Flammen übergaben. Das entsprechende Video ist inzwischen in der Mediathek der ARD nicht mehr verfügbar. Zu Dokumentationszwecken verlinken wir hier ausnahmsweise einen rechtslastigen Twitter-Account, der diesen fragwürdigen Beitrag weiterhin öffentlich macht.

Diese Episode ist ein krasses Beispiel für die Schieflage in der medialen Berichterstattung über den von der Humboldt-Uni abgesagten transfeindlichen Vortrag, der die aktuelle Geschlechterdebatte noch mal angeheizt hat. Viele Medien übernahmen das Framing von zumindest potenziell gewaltbereiten Chaoten, die ideologisch verblendet unliebsame Wissenschaftler:innen zum Schweigen bringen wollen und die Wissenschaftsfreiheit bedrohen. Deniz Yücel sprach in der Welt von „aggressiver Unerbittlichkeit der Transgender-Aktivist:innen“, Autor Philip Eppelsheim in der FAZ gar von „Gesinnungsterror“. Das Anliegen der akj ging jedoch unter.

#TransMedienWatch will „trans*feindlicher Berichterstattung etwas entgegensetzen“

Genau das will die neue Inititiative #TransMedienWatch ändern, die Ende Juni mit Unterstützung der Kampagnenplattform innit.it gestartet wurde und von über 130 Organisationen aus der LGBTQI+-Szene unterstützt wird. Sie hat sich vorgenommen, „trans*feindlicher Berichterstattung in Deutschland etwas entgegenzusetzen“. Es gebe in der aktuellen Medienlandschaft die besorgniserregende Tendenz, „ein verzerrtes und lückenhaftes Bild der vielfältigen Lebensrealitäten von trans* Menschen“ abzubilden und den aktuellen Stand der Wissenschaft zu ignorieren.

Zu oft würden „Bilder und Begrifflichkeiten von trans*feindlichen Bewegungen aufgegriffen“, die Hass und Vorurteile gegenüber trans* Menschen schüren würden. „Wo es eine sachliche Auseinandersetzung und Aufklärung im Sinne einer demokratischen Gesellschaft und gleichgestellten Teilhabe bräuchte, tragen unkritisch übernommene Darstellungen zur Trans*feindlichkeit bei“, heißt es auf der Internetseite der Initiative. Die Medien hätten noch viel Nachholbedarf. Mit dieser Meinung ist #TransMedienWatch nicht allein: Für Tessa Ganserer ist der Diskurs über trans* Rechte noch nicht gänzlich im 21. Jahrhundert angekommen, wie sie im Interview mit BuzzFeed News Germany ausführt.

Die Debatte um den abgesagten Vortrag an der HU, hat diese Missstände sichtbar werden lassen. Inzwischen rückt der zweifelhafte Hintergrund der verhinderten Referentin Vollbrecht, auf den Belltower News und natürlich auch #TransMedienWatch aufmerksam machen, in den Vordergrund der Debatte, wie der Tagesspiegel berichtet. Vollbrecht gehört zu den Mitunterzeichner:innen eines transfeindlichen Gastbeitrags in der Welt, der ARD und ZDF vorwarf, mit Transgender-Themen „Kinder zu sexualisieren“.

Transfeindlichkeit nimmt seit einigen Jahren zu, auch in den Medien

Eine solche Initiative tut Not, sagt auch Janka Kluge vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e. V.) im Gespräch mit BuzzFeed News Germany. Die 62-Jährige ist Mitorganisatorin von #TransMedienWatch und eine Pionierin, wenn es um Transgender-Rechte geht. Sie hat bereits Anfang der 80er Jahre eine der ersten Selbsthilfegruppen für trans* Menschen in Deutschland gegründet. Damals vollzog sie selbst den Übergang (Transition) zur Frau, denn bei ihrer Geburt war ihr das männliche Geschlecht zugewiesen worden. Das Selbstbestimmungsgesetz, mit dem trans* Menschen das Leben erleichtert werden soll, geht auf das jahrelange Engagement von Menschen wie ihr zurück.

Seit einigen Jahren beobachtet Kluge allerdings eine „breite transfeindliche Berichterstattung“ und spricht von einem „weltweiten Roll-Back“, den reaktionäre Kräfte betreiben würden. Das habe sich in Deutschland bereits mit den „Demo für alle“-Protesten angekündigt, die 2016 in Stuttgart aufkamen. Die mühsam errungenen Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte seien bedroht, der Rechtsruck der vergangenen Jahre mache sich auch auf dem Gebiet der Transgender-Rechte bemerkbar. Sogar im Bundestag wird Transfeindlichkeit offen geäußert: Die Abgeordnete Tessa Ganserer wurde im Februar von der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch offen angegangen.

Umso größer sei die Verantwortung der Medien, sachlich und ausgewogen über dieses Thema zu berichten. Noch präge Unwissenheit und eine oberflächliche Betrachtung der komplexen Gegebenheiten die Berichterstattung, was schon bei grundlegenden Begriffen anfange. Heikel werde es, wenn Gegensätze aufgebaut würden, wo gar keine sind. Das geschehe in letzter Zeit häufiger, etwa wenn diskutiert wird, ob trans* Frauen überhaupt Umkleidekabinen oder Toiletten für Frauen nutzen dürfen – schließlich seien das Schutzräume für „echte“ Frauen. „Da wird eine Feind-Linie aufgebaut, die es in der Realität in dieser Form überhaupt nicht gibt“, sagt Kluge der Berliner Zeitung.

Transfeindlichkeit ist ein Einfallstor für rechte Propaganda

Trans* Menschen, insbesonderer trans* Frauen, werden auf diese Weise zu einer potenziellen Bedrohung von Frauen geframt. Ein Einfallstor für rechte Propaganda, die immer gegen Minderheiten zu hetzen versucht. Tatsächlich ist es unübersehbar: Der Hass auf sexuelle Minderheiten wird von Rechtsradikalen weltweit zunehmend gezielt geschürt. Trans- und queerfeindliche Narrative haben zuletzt stark zugenommen, wie die Amadeu Antonio Stiftung feststellt. In den sozialen Medien wie Twitter werden queere und trans* Menschen immer häufiger mit Pädophilie in Verbindung gebracht. Mithilfe von vermeintlich bedrohten Kindern lassen sich eben besonders gut Hass und Ängste schüren.

Die kleine Minderheit der trans* Community, die nun mithilfe des Internets sichtbarer geworden ist und selbstbewusst Rechte einfordert, eignet sich besonders gut als Projektionsfläche für Ressentiments und Hass quer durch alle Gesellschaftsschichten. Sie werden als „absonderlich“ und „unnormal“ dargestellt, als Bedrohung für die Mehrheitsgesellschaft, die „das Normale“ dominieren und „Normalität“ zersetzen wollen. Diese perfide Stragtegie hat erst jüngt die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst eindrucksvoll auf Twitter demonstriert, als sie einen entsprechenden Beitrag teilte. Sie beschränkt sich dabei nicht auf trans* Menschen, sondern meint im Grund alles, was der heteronormativen „Normalität“ widerspricht.

Der Hass auf trans* Menschen dient als „Hasskitt“

Die Ablehnung von trans* Menschen als mindestens lästiger, wenn nicht bedrohlicher „Abnormalität“ ist sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner für viele politische Milieus auch jenseits des klassischen Rechtsradikalismus. An den aktuellen transfeindlichen Diskurs sind auch radikale Feminist:innen beteiligt, die als TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminist) bezeichnet werden. Sie glauben an die Vorstellung von zwei säuberlich voneinander getrennten, natürlich gegebenen Geschlechtern und akzeptieren trans* Frauen nicht als Frauen, da sie biologisch weiterhin Männer seien. Die Biologiedoktorandin Vollbrecht, deren Vortrag an der HU abgesagt wurde, gehört offenbar in dieses TERF-Milieu, wie aus ihrem Twitterprofil hervorgeht. Kritiker:innen sagen, Personen wie Vollbrecht gehe es letztlich gar nicht um biologische Zweigeschlechtlichkeit.

Diese biologistische Betrachtungsweise haben TERFs mit Rechtsradikalen gemein. Mit ihren Argumenten, die darauf hinauslaufen, trans* Menschen als widernatürliche Skurrilität zu markieren, spielen sie reaktionären und rechtsradikalen Akteur:innen in die Hände. Ihr Argument, trans* Frauen würden „echten“ Frauen die Schutzräume wegnehmen und seien damit frauenfeindlich, kommt einer Einladung an Rechtsradikale gleich, sich als Bewahrer von Frauenrechten zu inszenieren. Der Journalist Sascha Lobo hat diese Zusammenhänge für Spiegel Online aufgeschrieben. Er spricht vom „Hasskitt“, als der die Transfeindlichkeit fungiert.

Vor diesem Hintergrund ist es fatal, dass Narrative transfeindlicher Bewegungen viel zu oft von Medien unkritisch übernommen werden und deren Akteur:innen sich wie Marie-Luise Vollbrecht als Opfer einer angeblichen Cancel Culture inszenieren können. Sie beteiligen sich auf diese Weise an der Marginalisierung einer Minderheit, die gerade erst begonnen hat, gesellschaftlich wahrgenommen zu werden. „Deswegen appellieren wir an Medien, abwertende Meinungsäußerungen nicht unhinterfragt zu übernehmen“, heißt es auf der Internetseite von #TransMedienWatch.

Janka Kluge ist zuversichtlich, dass ihre Initiative in der öffentlichen Debatte wahrgenommen werden und einen Beitrag zur Verbesserung der Situation von trans* Menschen leisten wird. „Aber es wird ein irre langer Weg. Gesellschaftliche Veränderungen sind immer lange Wege. So wie es auch beim Selbstbestimmungsgesetz der Fall war.“

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