1. BuzzFeed
  2. News

„Eher scheinheilig“: Tumblr erlaubt Nacktheit und das sagen 4 queere Kreative dazu

Erstellt:

Von: Michael Schmucker

Kommentare

Non-binäre Person schaut auf ihr Smartphone.
Tumblr lässt wieder Bilder von Nacktheit und Queerness zu. © Cavan Images/Imago

Tumblr erlaubt wieder Bilder von Nacktheit und Queerness. Eine Chance „kinky queeres Leben in die Welt zu tragen“ oder hat die Plattform niemand mehr auf dem Schirm? LGBTQIA+-Kreative berichten.

Anfang der 2010er Jahre entwickelte sich der Blogging-Dienst Tumblr zu einer der wichtigsten Plattformen für queere Menschen allgemein und im Speziellen für LGBTQIA+-Künstler:innen, Kreative und Content-Creator:innen. Mit ein paar wenigen Klicks konnten Fotografien, Kunstwerke, Zeichnungen und Videos geteilt werden, durchaus auch, aber nicht nur von erotischer Natur, ohne dass die Gefahr bestand, gesperrt oder gelöscht zu werden.

Gerade für queere Querköpfe entwickelte sich die Plattform zu einem kurzzeitigen kreativen Paradies, während anderenorts online bereits die Sittenwächter:innen zuschlugen. Bereits damals wurden auf so manch anderem Online-Dienst immer wieder vor allem queere Werke gelöscht – diese grundsätzliche Tendenz hat sich in den Folgejahren auf Plattformen wie Instagram oder Facebook immer weiter verstärkt. Die Prüderie ist allgegenwertig, da sind sich die meisten queeren Künster:innen einig. 

Yahoo kauft 2013 Tumblr – LGBTQIA+-feindliche Länder sperren die Plattform

Umso dramatischer war es für viele queere Kreative, als im Jahr 2013 Yahoo den Blogging-Platzhirsch Tumblr für rund 990 Millionen US-Dollar aufkaufte. Es dauerte nicht lange, bevor sich die Bedenken der LGBTQIA+-Community schrittweise tatsächlich bewahrheiteten. Erst sperrten immer mehr LGBTQIA+-feindliche Länder die Plattform direkt, darunter beispielsweise auch Big-Player wie China oder Indonesien; die Begründungen glichen sich dabei und zielten stets auf das angeblich zu freizügige Verhalten der queeren Community online ab.

Dann kam es schließlich 2018 zum Supergau: Nachdem der App Store von Apple Tumblr aus dem Angebot entfernt hatte, reagierte der Blogging-Dienst umgehend und änderte Wochen später seine Nutzungsbedingungen. Fortan war jede Form auch nur angedeuteter Nacktheit selbst in künstlerischer Form bereits verboten.

2010 verbietet Tumblr Nacktheit – „dramatischer Einschnitt“ für queere Community

Schriftstellerin und Fotografin Marie Miro erinnert sich im Gespräch mit BuzzFeed News von Ippen.Media daran: „Ich weiß noch, dass das für mich, aber auch für viele meiner schwulen und lesbischen Freunde wirklich ein dramatischer Einschnitt war. Tumblr war für alle die Basis ihrer Arbeit, hierüber bewarben wir unsere Werke, Galerien und Kunden wurden auf uns aufmerksam, alsbald zog die Presse nach. Eine Zeit lang war Tumblr die Webseite, auf die jeder ging, der modern und queer war.“

Tausende E-Mails sollen Tumblr in diesen Tagen erreicht haben, doch alles Bitten und Betteln half offensichtlich nichts. „Viele Kreative haben hunderte oder tausende Stunden Arbeit in ihre Plattformen gesteckt und von einem Tag auf den anderen war 90 Prozent gelöscht. Das war krass!“, so Miro weiter. Inzwischen arbeitet sie als Kinderbuchautorin und Kommentatorin jenseits der digitalen Plattformen. 

Queere Community flüchtet zu Twitter

Binnen von drei Monaten verlor Tumblr mehr als 130 Millionen User:innen, ein Drittel aller Nutzer:innen. Die Zahlen gingen offensichtlich immer weiter in den Keller, bis Tumblr im August 2019 schließlich an den Betreiber der Plattform WordPress für magere 20 Millionen US-Dollar verkauft wurde. Die queere Community flüchtete indes zu Twitter und erlebte gerade in den letzten Monaten immer mehr nun auch dort, wie willkürliche Sperrungen und Löschungen vermehrt um sich griffen. Beinahe parallel mit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk meldete sich jetzt allerdings Tumblr wieder zu Wort und erklärte, dass die Blogging-Website ab sofort auch wieder Bilder von Nacktheit und Queerness zulassen werde.

Man begrüße erneut ein „breiteres Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten, Kreativität und Kunst“ und wolle dabei auch die „nackte menschliche Form“ nicht mehr ausschließen. Lediglich bei direkten visuellen Darstellungen von sexuellen Handlungen und natürlich bei illegalen sowie gewaltandrohenden Inhalten schreitet Tumblr weiterhin ein. 

Tumblr? „Das interessiert doch jetzt keine Sau mehr.“

Könnte Tumblr also für die LGBTQIA+-Community eine neue alte Heimat werden, gerade in Zeiten, in denen Musk auf Twitter in ungewisse Gefilde aufbricht? Der queere Buchautor und Comic-Zeichner Asmodis gegenüber BuzzFeed News dazu: „Das interessiert doch jetzt keine Sau mehr. Mich definitiv nicht!“ Dabei schwingt durchaus auch noch immer der Ärger über das damals rabiate Vorgehen von Tumblr mit: „Tumblr war meine erste Plattform, um meine erotischen Illustrationen zu bewerben. 2018 wurde auch ich vertrieben als Content Creator und Tumblr-Flüchtling und musste daraufhin auf Twitter ganz neu angefangen.“

Mit einem Augenzwinkern in Richtung Tumblr stellt Asmodis dabei heute klar: „Danke Tumblr, dass ihr so dumm wart! Twitter funktioniert für mich heute viel besser, ist intuitiver und bietet einfach viel mehr Möglichkeiten. Neue Follower zu bekommen und Inhalte zu teilen, funktioniert auf Twitter ganz wunderbar und wirkt viel ehrlicher. Ohne das Vertreiben von Tumblr, wäre ich wahrscheinlich zu bequem gewesen und hätte Twitters Potenzial wohl erst viel später für mich entdeckt.“ 

Fotograf findet Kehrtwende von Tumblr „eher scheinheilig“

Abwartend und interessiert zeigt sich da der international berühmte, schwule Fotograf Henning von Berg, der nebst Andy Warhol bereits vor über zwanzig Jahren zu den neunzig weltberühmtesten Fotografen gezählt wurde. Mittlerweile kann von Berg auf rund 460 Veröffentlichungen und 44 Ausstellungen in Galerien und Museen auf fünf Kontinenten zurückblicken. Gegenüber BuzzFeed News sagt er mit Blick auf Tumblr: „Ich finde die angekündigte Kehrtwende eher scheinheilig. Aber natürlich wissen wir alle noch nicht, wie ehrlich und nachhaltig das zukünftige Verhalten von Tumblr sein wird. Abwarten und genau beobachten!“

Und wie blickt die queere Musikszene auf Tumblrs Ankündigung? Der queere Sänger und Songwriter Maksim alias MKSM aus Berlin gewann 2019 den britischen LGBTQ Music Award als Newcomer des Jahres und performte beim GLOBAL PRIDE. „Tumblr habe ich nicht wirklich auf dem Schirm, auch als Künstler nicht. Insta, TikTok und Facebook reichen mir erstmal, aber wer weiß, was noch kommt“, so MKSM, der allerdings auch durchaus Positives an Tumblrs neuen Weg ausmachen kann:

Ja, sicherlich ist es profitgesteuert, allerdings ändert es nichts am Ergebnis: Mehr queere Inhalte und mehr queere Sichtbarkeit! Und das ist ja immer gut!

Maksim

Dem pflichtet am Ende auch die lesbische Autorin Marie Miro bei:

„Es ist eine Chance, kinky queeres Leben in die Welt zu tragen und ich denke, wir als queere Künstler sollten jede Chance nutzen, Vielfältigkeit sichtbar zu machen und für queere Kunst einzutreten. Denn was wäre die Welt ohne uns? Richtig, extrem langweilig!“ 

Marie Miro

Auch interessant

Kommentare