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Ökonom fordert Übergewinnsteuer von bis zu 90 Prozent für Lebensmittel- und Energiekonzerne

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Von: Jana Stäbener

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Lebensmittel werden immer teurer, Konzerne verdoppeln ihre Gewinne. Übergewinnsteuer und die Streichung der „unsozialen Mehrwertsteuer“ könnten helfen.

Die Entwicklungsorganisation Oxfam warnte mit Nachdruck vor steigender Ungleichheit in der Welt und in Deutschland. Erstmals seit 25 Jahren hätten extremer Reichtum und extreme Armut zuletzt gleichzeitig zugenommen. Vor allem Lebensmittel- und Energiekonzerne erzielten trotz Krise hohe Gewinne. Einige Lebensmittelproduzenten nutzen wohl „schamlos die Gunst der Stunde aus“, sagt der Ökonom Lukas Scholle zu BuzzFeed News DE.

Symbolbild Lebensmittelpreise: Einkaufswagen voller Lebensmittel mit einem Kassenbeleg
Lebensmittelunternehmen gehören zu den Krisengewinnern – rund 95 von ihnen haben 2022 ihre Gewinne verdoppelt. Schaut man sich beim Einkaufen momentan den Kassenzettel an, verwundert das wohl kaum. ©  U. J. Alexander/IMAGO

Übergewinne: Bereichern sich Lebensmittelkonzerne an der Krise?

Der Oxfam-Bericht erschien am Montag, 16. Januar 2023, pünktlich zum Start des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos. Laut ihm haben 95 Lebensmittel- und Energiekonzerne weltweit ihre Gewinne im Jahr 2022 mehr als verdoppelt. Sie erzielten demnach 306 Milliarden US-Dollar an Zufallsgewinnen und schütteten 257 Milliarden US-Dollar (84 Prozent) davon an Aktionärinnen und Aktionäre aus.

Was sind Übergewinne?

Als „Übergewinne“ definiert der wissenschaftliche Dienst des Bundestages Gewinne, die über einen „Normalgewinn“ hinausgehen, berichtet der Deutschlandfunk. Meist werden für die Berechnung Vergleichszeiträume aus Vorkrisen- oder Friedenszeiten herangezogen und dann Renditen definiert, die in diesen Zeiten üblich waren. Ökonom Gustav Horn sagte im Deutschlandfunk, es müsse sich „um Spekulationsgewinne handeln, die nicht auf einer konkreten Leistung beruhten“ und ein „Merkmal von Übergewinnen sei, dass sie durch das Ausnutzen von Umbruch- oder Krisenphasen entstehen.“

Die Vorsitzende des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Ramona Pop, forderte eine sogenannte Übergewinnsteuer auch für die Lebensmittelbranche. „Ob und wie stark sich Lebensmittelkonzerne und Handel an der Krise bereichern, wird sich am Ende an ihren Gewinnen zeigen, ob es auch dort Übergewinne gibt“, sagte sie der Bild am Sonntag.

Bei den Energiekonzernen würden solche krisenbedingten Übergewinne „zu Recht zumindest teilweise abgeschöpft und an die Verbraucherinnen und Verbraucher zurückgegeben“, führte Pop aus. Sie halte das für ein gutes Modell – auch für die Lebensmittelbranche. Denn dort sind Kund:innen des Öfteren frustriert, wenn sie aufs Preisschild schauen – bei Lidl zum Beispiel.

Lebensmittelpreise: Nicht nur Inflation, sondern auch „schamlose“ Produzenten

Es gebe sicherlich „Lebensmittel, bei denen Produzenten oder Händler schamlos die Gunst der Stunde ausnutzen und sich auf Kosten der Menschen bereichern“, sagt der Ökonom und Bundestagsreferent Lukas Scholle zu BuzzFeed News DE. Dafür sieht er drei Indikatoren: Erstens hätten andere Branchen bei Preissteigerungen auch ihre Gewinne erhöht, zweitens habe Oxfam die bereits gestiegene Gewinne im Lebensmittelsektor festgestellt, und drittens gehe auch das Bundeskartellamt den Anstiegen bei den Lebensmittelpreisen schon auf den Grund (siehe Tweet unten).

Als wir Scholle fragen, warum Lebensmittelkonzerne damit durchkommen, ihre Produkte in der Inflation auf echte „Mondpreise“ zu erhöhen, wie es auch Mars, Whiskas und Coca-Cola vorgeworfen wurde, antwortet er: „Eine logische Erklärung wäre, dass bei jenen Produkten alle ihre Gewinne aufstocken oder einzelne Produzenten ein so gutes Alleinstellungsmerkmal haben, dass sie damit durchkommen.“ Ein weiteres Problem sei, dass Marktmechanismen zur preislichen Unterbietung erst über eine gewisse Zeit hinaus wirkten. 

Übergewinnsteuer für Lebensmittelunternehmen müsste „ambitionierter vorgehen“

„Aber inwiefern helfen Übergewinnsteuern, für die sich auch Ricarda Lang schon einsetzte, Verbraucher:innen bei ihrem Wocheneinkauf?“, fragen wir Scholle. Der bezweifelt, dass sie diese direkt zu spüren bekämen. „Ob man mit der Übergewinnsteuer die Preise effektiv senken kann, wage ich zu bezweifeln.“ Dennoch könne er sich, wenn sich die „Indikatoren für Übergewinne“ erhärten, eine Übergewinnsteuer für Lebensmittelunternehmen vorstellen.

„Es gibt doch keinen Grund, dass wir Energiekonzerne die Übergewinne zum Teil wieder abnehmen, aber Lebensmittelkonzerne damit davonkommen lassen“, sagt Scholle zu BuzzFeed News DE. Er nimmt damit auf den Energiekrisenbeitrag Bezug, bei dem Gewinne für 2022 und 2023, die den Durchschnittswert 20 Prozent übersteigen, mit 33 Prozent besteuert werden.

„Man müsste aber ambitionierter vorgehen, als Lindner es mit dem Energiekrisenbeitrag macht“, so Scholle. Der sei das absolute Minimum, wodurch die Energiekonzerne immer noch mit dem „Großteil der Übergewinne davonkommen“ würden. Eine ambitioniertere Übergewinnsteuer setze beispielsweise schon bei zehn Prozent oberhalb des Durchschnitts der Vorjahresgewinne an. Außerdem hätte sie laut Scholle einen höheren Steuersatz wie 50, 70 oder 90 Prozent.

Ökonom fordert Streichung der „unsozialen Mehrwertsteuer“

Wie auch der Bundesagrarminister Cem Özdemir, der die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse abschaffen will, sieht Lukas Scholle die Lösung auch eher bei dieser Steuer. „Man könnte die Lebensmittel auf einen Schlag bezahlbarer machen, indem man die unsoziale Mehrwertsteuer streicht“, sagt der Wirtschafts-Kolumnist. Im Gegensatz zu Özdemir fordert Scholle dies aber nicht nur für Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte.

„Besser wäre eine Streichung bei allen Grundnahrungsmitteln – wie es Spanien zu Jahresbeginn erst gemacht hat. Es gibt nämlich keinen Grund, dass man bei Obst hinschaut, das um 4,7 Prozent teurer wurde, aber bei Getreideerzeugnissen wegschaut, die um 21,5 Prozent teurer wurden.“ Um wie viel welche Lebensmittel teurer wurden, hat sich Anfang Januar 2023 der mdr angeschaut. Der Sender verglich die Preise für fettarme Milch, Käseaufschnitt, Sonnenblumenöl, Marmelade, Spaghetti, Toast, Zucker und Hackfleisch, mit denen von März 2022. Die Ergebnisse:

Bei diesen Preissteigerungen sei auch klar: Es brauche eine „angemessene Höhe des Bürgergelds“, sagt Scholle. „Damit werden Lebensmittel auch wieder bezahlbar.“ Doch es sind nicht nur die Lebensmittel, die sich Menschen aus den unteren Einkommensschichten kaum mehr leisten können, weil sie (Beispiel Zucker) um bis zu 90 Prozent teurer geworden sind.

Anfang des Jahres schon kritisierte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), dass das Bürgergeld lange nicht ausreiche. Vor allem Stromkosten seien für Bürgergeld-Empfänger:innen kaum zu stemmen, da sich die Bürgergeld-Sätze nicht schnell genug an die Inflation anpassen würden, lautete damals der Vorwurf.

Apropos hohe Lebensmittelpreise: Dank Energiekrise und Inflation geben Menschen auch weniger für nachhaltige Produkte aus.

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