Werbeverbot für Süßigkeiten würde Kinder nicht davon abhalten, sie zu essen

Um Kinder zu schützen, fordert ein Bündnis, die Werbung für Süßigkeiten einzuschränken. Doch die Vorliebe für ungesunde Lebensmittel hat auch andere Ursachen.
Ein Bündnis aus Ernährungs- und Kinderschutzorganisationen möchte Werbung für ungesunde Lebensmittel einschränken. Denn diese „beeinflusst nachweislich die Präferenzen und das Essverhalten von Kindern und Jugendlichen“, heißt es in dem Appell, der dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Rnd) vorliegt. Werbung für Süßigkeiten und Co. im TV, Radio und auf Streamingdiensten soll zwischen 6 und 23 Uhr verboten werden. Außerdem sollen im Umkreis von Schulen, Kitas und Spielplätze keine Werbeplakate für Ungesundes aufgestellt werden.
Unterzeichnet haben den Appell unter anderem die Deutsche Diabetes Gesellschaft, der Bundeselternrat, das Deutsche Kinderhilfswerk, Foodwatch, die Verbraucherzentrale, der WWF sowie die AOK und die Techniker-Krankenkasse.
Um Kinder und Jugendliche zu schützen, fordern Suchberater:innen, dass Alkohol-Werbung verboten wird.
Biologische Ursachen für den Heißhunger von Kindern auf Süßigkeiten
Kinder und Jugendliche essen laut dem Bündnis zurzeit doppelt so viele Süßigkeiten wie empfohlen, aber nur halb so viel Obst und Gemüse. Forscher:innen der Universität Washington und des Monell Centers veröffentlichten im Jahr 2009 Forschungsergebnisse zur Frage, warum Kinder gerne Süßigkeiten essen. Knochenwachstum führt den Ergebnissen zufolge zu einer gesteigerten Vorliebe für süßen Geschmack. Deshalb essen besonders Kleinkinder, die noch in ihrer Wachstumsphase sind, gerne Süßigkeiten. Auch für andere Ernährungsverhalten gibt es biologische Ursachen: Forschende fanden heraus, dass für Essstörungen wie Magersucht ein Gen verantwortlich ist.
Der Heißhunger von Kinder auf Zucker hat aber auch noch eine andere biologische Ursache. Laut Professor Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit, bestehe die Vorliebe nach etwas Süßem von Geburt an. „Sie wird schon durch den leicht süßen Geschmack der Muttermilch oder der Babynahrung geprägt“, sagte er gegenüber dem Portal der Kinder- und Jugendhilfe.
Die Gesellschaft prägt die Liebe zu Süßigkeiten bei Kindern
Schon in der Sprache ist die Liebe zu Süßigkeiten festgelegt. Der Begriff „süß“ wird laut dem Portal der Kinder- und Jugendhilfe schon immer mit „lieb“ oder „geliebt“ verbunden. Englische Kosenamen heißen „sweetheart“ oder „honey“. Wenn wir ein „süßes Baby“ sehen, wird uns „weich ums Herz“.
Maja Göpel, Politökonomin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin, vergleicht das Verbot von Süßigkeiten-Werbung mit Anti-Nikotin-Werbung. Gegenüber dem Deutschlandfunk sagt sie, sie „hatte nicht den Eindruck, dass es diese fürchterlichen Bilder auf den Zigarettenpackungen gewesen sind, sondern eben eher viele der öffentlichen Räume, wo Geselligkeit stattfindet, werden jetzt rauchfrei“. Die Psychologie könne es bestätigen, dass für eine Schüssel Chips auf dem Tisch, „wenn ich sie riesig mache“, die Chance natürlich auch viel größer sei, „als wenn ich sie klein mache.“
Übergewicht bei Kindern stieg auch durch mangelnde Bewegung in Pandemie
In dem Appell gegen Süßigkeiten-Werbung wird laut Rnd auf das Übergewicht von Kindern und Jugendlichen hingewiesen. Immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland haben krankhaftes Übergewicht, zeigt auch eine neue Untersuchung der Kaufmännische Krankenkasse in Hannover (KKH): Zwischen 2011 und 2021 stieg die Zahl der von Adipositas betroffenen sechs- bis 18-Jährigen um 33,5 Prozent.
Neben ungünstiger Ernährung gibt es laut der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) auch andere Ursachen für Übergewicht: Erbanlagen und mangelnde Bewegung. Aileen Könitz, Ärztin und Expertin für psychiatrische Fragen bei der KKH, nennt die Inaktivität im Lockdown als Grund für die zunehmende Zahl an Kindern mit Übergewicht: „Homeschooling mit stundenlangem Sitzen vor dem PC, fehlender Sportunterricht, kaum Treffen mit Freunden, geschlossene Sportstätten“
„Fehlendes Ernährungswissen“ laut Werbewirtschaft ausschlaggebend für Übergewicht
Bernd Nauen, Geschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW), äußerte sich am 7. November in der Tagesschau zu den Forderungen von dem Bündnis. Ein Werbeverbot würde unter anderem nichts „an den tatsächlichen Ernährungsmustern, die in den Familien herrschen“ ändern. Bereits im September nannte der ZAW auch „fehlendes Ernährungswissen“ laut Tagesschau als ausschlaggebend für Übergewicht. Das Bündnis gehe nicht auf die Frage ein, „wie Kinder an einen ausgewogenen und gesunden Lebensstil herangeführt werden können“.