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Wikiriot über Hass auf queere Menschen: „Es gibt keinen safe space“

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Von: Anna-Katharina Ahnefeld

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Die Hamburgerin Wikiriot bezeichnet sich selbst das „lauteste und vulgärste Feministin im Internet“.
Die Hamburgerin Wikiriot bezeichnet sich selbst als die „lauteste und vulgärste Feministin im Internet“. © PTO Media, Marie Buschhausen/Katja Ruge (Bildmontage)

Hamburgerin Wikiriot bricht mit vermeintlichen Tabus, spricht Queerfeindlichkeit an – und ist seit ihrer Teilnahme bei „Princess Charming“ eine der lautesten Stimmen der LGBTQIA+-Community.

Ihre Begrüßungsformel „Hallo, ihr Fickah“, ist mittlerweile fast schon legendär. Wir treffen die selbst erklärte „lauteste und vulgärste Feministin im Internet“, Wikiriot. Oder wie sie selbst sagt: Wiki Fucking Riot. Spätestens seit ihrer Teilnahme an der ersten lesbischen Datingshow „Princess Charming“ kommt man als queere Person an Wiki nicht mehr vorbei.

In ihrem neuen Podcast „Große Fresse, kleine Titten“ spricht sie gemeinsam mit Influencerin Kindakiri über queere Liebe und lesbischen Sex. Auf ihrem Instagram-Kanal klärt sie über vermeintliche Tabus, Queerfeindlichkeit und sexuelle Belästigung auf. Höchste Zeit für Buzzfeed News Deutschland, die Hamburgerin im Interview näher kennenzulernen.

LGBTQIA+-Aktivistin Wikiriot: Die Öffentlichkeit ist kein safe space

Du sagst von dir selbst, die lauteste und vulgärste Feministin im Internet zu sein. Ist das eine Art Schutz?

Nein. Ich finde es einfach cool, dass ich so bin und damit Zugang zu Menschen finde, die vielleicht nicht so akademisch geprägt sind. Aber natürlich ist das Laut-Sein eine Art, Dinge, die mich belasten, zu verarbeiten und meinen Gefühlen Raum zu geben.

Da muss ich spontan an deinen „Lauch der Woche“ denken. Ein von dir erfundener Negativ-Award, den du an eine Person „verleihst“, die sich online besonders diskriminierend geäußert hat.

Mit dem „Lauch der Woche“ möchte ich eine Lebensrealität aufzeigen, die viele Menschen leider noch immer teilen. Außerdem will ich dem täglichen Sexismus, Rassismus und der Queerfeindlichkeit den Mittelfinger zeigen. Ich bin überzeugt, dass man diesem Hass etwas entgegensetzen muss. Wenn die Leute einfach alles rauskacken, habe ich genauso die Freiheit zu sagen, dass das jetzt meine persönlichen Grenzen berührt.

Gerade Queerfeindlichkeit, die diese „Lauchs der Woche“ immer wieder an den Tag legen, ist ein Problem, das vielen Menschen gar nicht bewusst ist. Einfach, weil sie keine Berührungspunkte haben. Aber das bedeutet leider im Umkehrschluss, dass der Schutz der queeren Gemeinschaft ebenfalls kein Thema ist.

Der Großteil der Gesellschaft hat keine Berührungspunkte mit der queeren Community, abgesehen vom CSD. Daher checken diese Menschen nicht, welchem Hass man als queere Person die ganze Zeit ausgesetzt ist. Seit Neuestem date ich jemanden, und seitdem erfahre ich sehr viel Queerfeindlichkeit. Wenn wir zusammen herumlaufen, Händchen halten, uns küssen, tun, was Menschen eben tun, wenn sie verliebt sind, gibt es automatisch sexualisierende und körperlich übergriffige Situationen. Als ich meiner Oma davon erzählt habe, meinte sie ganz erschrocken: Was, das passiert noch? Ich dachte, wir sind jetzt alle okay damit. Und ich meinte: Ja, Oma, das ist schön, dass du das so siehst, aber ich erzähle dir das, damit du weißt, dass Queerfeindlichkeit noch immer ein sehr großes und existenzielles Problem ist.

Wie gehst du mit solchen queerfeindlichen Situationen um?

Früher bin ich verstummt, wenn ich irgendeine Form von Diskriminierung erfahren habe, war wie gelähmt. Dann war ich einmal mit einer Person unterwegs, die gecatcalled wurde und darauf laut und bestimmt reagiert hat – und es hat funktioniert! Seitdem gehe ich ähnlich damit um und reagiere, je nachdem, wie viel Freiraum für Reflexion diese Dynamik und Situation bietet. Manchmal kann man in den Diskurs gehen – und manchmal muss man einfach nur den Mittelfinger zeigen. Und manchmal, das lerne ich gerade, ist es auch besser, nichts zu sagen, weil es gefährlich werden kann, beispielsweise wenn wir nachts einer Gruppe Männer begegnen, die uns hinterherrufen, wie eklig wir sind, weil wir Lesben sind. Dann ist es manchmal besser, als weiblich gelesene Person, nichts zu sagen.

Ein richtiges Abwägen also, wie man wann reagieren kann – und trotzdem zu versuchen, die Person mit ihrem Hass nicht davon kommen zu lassen.

Selbst, wenn man abwägt, weil beispielsweise viele Menschen um einen herum sind, ist das leider keine Garantie dafür, dass diese auch einschreiten würden und man sicher ist. Viele queerfeindliche Vorfälle in der jüngsten Vergangenheit spielten sich tagsüber ab, in der Öffentlichkeit, und niemand hat wirklich geholfen.

Die Öffentlichkeit ist also kein safe space?

Egal, wo wir uns befinden, gibt es keinen safe space. Auch in queeren Räumen gibt es keine Garantie, dass man sicher ist. Deswegen spreche ich nicht gerne von safe space. Man kann sagen safer space, Räume, in denen es für uns etwas sicherer ist, aber nirgendwo ist es sicher.

Wikiriot spricht über Queerfeindlichkeit, vermeintliche Tabus – und den Konsens-Gedanken

Du brichst mit vermeintlichen Tabus: Körperbehaarung, Nacktheit, Nippel und Menstruation zeigen, um ein paar Beispiele zu nennen. Konntest du schon immer so selbstbewusst mit deinem Körper umgehen?

Behaarung ist Teil meines Körpers. Damit hatte ich noch nie ein Problem. Irgendwann, als ich auf Instagram gemerkt habe, dass das Thema etwas bei Menschen auslöst, habe ich angefangen, damit zu spielen. Ich habe positive Reaktionen erhalten, aber auch negative. Menschen störten sich daran, dass ich Körperhaare habe. Dann dachte ich mir: jetzt erst recht. Wenn jemand sich darüber aufregen muss, was ICH mit MEINEM Körper mache, hat diese Personen wirklich einen noch sehr weiten Weg vor sich. Genauso, wenn weiblich gelesene Personen sich freizügig kleiden, Fotos machen und Menschen sie dann fragen, warum sie ihren Körper so präsentieren. Dann denke ich mir: Ich präsentiere meinen Körper nicht, ich habe ihn halt einfach. Du reagierst darauf jetzt auf eine bestimmte Art und Weise, aber das Problem liegt nicht bei mir.

Du hast als Beruf Erzieherin gelernt und in Kitas gearbeitet. Hattest du damals schon eine Art Bildungsauftrag?

Rückblickend betrachtet, bestimmt. Aber ich bin damals mit 17 Jahren nicht in eine Kita gegangen, damit die Kinder queer-feministisch und mit einem guten Konsens-Gedanken aufwachsen. Für mich war schon immer klar, dass ich auf Augenhöhe mit Menschen, gleich welchen Alters, arbeiten möchte – und dass ich nichts mache, von dem ich nicht wollte, dass das jemand mit mir macht. Ohne zu wissen, dass Konsens ein wichtiges Thema ist, habe ich schon immer im Konsens gearbeitet und das an die Kinder weitergeben. Gerade Kindern gesteht man oft nicht zu, zu wissen, was sie wollen. Typisches Beispiel: Die Tante kommt und will das Kind umarmen, das Kind muss mitmachen, auch, wenn es nicht will. Aus Höflichkeit, lernt das Kind, muss ich meine eigenen Grenzen, meine eigenen Bedürfnisse, mein eigenes Nein übergehen. Das ist das Muster, mit dem wir aufwachsen. Deshalb verschwimmt das Gefühl für unsere eigenen Grenzen und dafür, dass wir Nein sagen dürfen. Dadurch verlernen wir auch, was die Grenzen von anderen Menschen sind. Und das bereits im Kindesalter! Wir müssen als Erwachsene erstmal lernen, was unsere Grenzen sind.

In diesem Zusammenhang: Krass, dass der Konsens-Gedanke erst in den vergangenen Jahren wirklich aufgekommen ist.

Feminismus war in meiner Teenagerinnen-Zeit noch kein Ding. Damals war mir, was Jungs und Männer von mir hielten, sehr wichtig. Ich dachte: Wenn ich begehrenswert bin, bin ich auch eine gute Frau. Jede Aufmerksamkeit war eine Bestätigung. Wenn irgendetwas passiert ist, dass ich nicht wollte, war ich selbst schuld. Ich hätte ja auch Nein sagen können. Vielleicht war mein Nein nicht oft genug oder entschieden genug. Das, was die Männer gemacht haben, konnte ja nicht falsch sein. Zu der Zeit gab es noch kein MeToo. Es ist einfach allen passiert, niemand hat darüber gesprochen und man war cool, wenn man die eine Person unter den Jungs war, die anerkannt wurde und begehrenswert war.

Wikiriot aus „Princess Charming“: Neuer Podcast „Große Fresse, kleine Titten“ über lesbischen Sex

Seit Kurzem hostest du den Podcast „Große Fresse, kleine Titten“. Und auch im Jahr 2022 ist ein lesbischer Sex-Podcast ein Ding, genauso, wie es auch Princess Charming war.

Es ist bezeichnend, dass dieser Podcast etwas Besonderes ist. Denn es gibt ja nicht erst lesbischen Sex, seitdem wir diesen Podcast haben. Umso tragischer, dass es vorher nur wenig Aufklärungsarbeit gab. Deshalb denken etwa immer noch viele Menschen, dass bei lesbischem Sex auf jeden Fall alle Beteiligten Vulven haben. Und heterosexuelle Menschen glauben, die einzige Möglichkeit, wie Lesben „richtigen“ Sex haben können, ist, dass sie ihre Vulven aneinander reiben. Wobei die natürlich dann nicht sagen, Vulva an Vulva, sondern Vagina an Vagina, – was anatomisch gar nicht geht, weil die Vagina innerhalb des Körpers ist. Womit wir beim nächsten Thema sind. Es hört einfach nicht auf! Es gibt so viele Baustellen, wo es an Aufklärung mangelt und das beginnt eben bei den korrekten Begrifflichkeiten, wie Vulva.

Gerade beim Thema korrekte Begrifflichkeiten fühlen sich viele schnell angegriffen, oder auf die Füße getreten, wenn ihnen eigene Fehler aufgezeigt werden. Sollten wir alle viel offener mit Fehlern oder Unwissenheit umgehen?

Unsere Fehlerkultur ist ganz schön am Arsch. Fehler werden oft mit Schwäche gleichgesetzt. Aber wenn wir uns weiterentwickeln wollen, machen wir Fehler. Manche Fehler werden wir immer wieder machen. Aber lasst es uns nicht immer als Angriff empfinden, wenn wir darauf aufmerksam gemacht werden. Nehmen wir das doch einfach an und sagen: Ich habe das in der Vergangenheit gemacht, das kann ich jetzt nicht mehr ändern, aber ich kann zukünftig gucken, dass diese Scheiße nicht mehr passiert. Es wäre geil, wenn Menschen das so sehen könnten. Aber dafür müsste sich das Bild dieser Leistungsgesellschaft verschieben. Niemand ist durchgängig diese perfekte Person, die wir nach außen versuchen zu sein. Ich will damit brechen und sagen, ich bin nicht fehlerfrei und werde das niemals sein.

In der zweiten Folge eures Podcasts habt ihr euch sehr schwierigen Themen gewidmet, wie sexuelle Übergriffe. Hat es Mut erfordert, deine eigenen Erlebnisse so offen zu thematisieren?

Ich bin eine der wenigen privilegierten Menschen, die es absolut genießt, im Mittelpunkt zu stehen. In Bezug auf das Thema sexualisierte Gewalt bin ich mittlerweile sehr resilient geworden, weil mir viel passiert ist. Irgendwann war ich an dem Punkt, dass ich mir gesagt habe, entweder schweige ich und trage das mein Leben lang mit mir herum, oder ich begreife, dass ich die Möglichkeit habe, die Macht zurückzuerlangen. Es passiert viel mehr, als Menschen darüber reden. Natürlich ist das legitim, niemand muss darüber sprechen. Aber ich glaube, es tut gut, wenn Menschen, die denken, alleine damit zu sein, hören, dass es anderen Menschen ähnlich ergangen ist. Ich habe als Reaktion auf die Folge sehr viele Nachrichten bekommen, viele waren dankbar, dass jemand Worte für etwas gefunden hat, dass ihnen widerfahren ist, – die sie aber selbst nicht aussprechen konnten.

(Interview: Katharina Ahnefeld)

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