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Winterblues sind für mich Schnee von gestern – dank Expert:innen weiß ich auch, warum

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Andere wünschen sich momentan sehnlichst den Sommer, aber ich nicht. Ich liebe den Winter. Komisch? Nicht unbedingt. Expert:innen erklären mir, warum.

Bye Bye Hot Girl Summer. Der Cozy Girl Winter hat seinen Höhepunkt erreicht – und ehrlich gesagt, könnte ich darüber nicht glücklicher sein. Ich weiß, es ist seltsam, aber während viele Menschen jedes Jahr aufs Neue das Ende der Sommerzeit und die Rückkehr zur Winterzeit fürchten, gehe ich mit dem Wissen schlafen, dass ich in meine dunkle, düstere, eiskalte Lieblingsjahreszeit eintrete.

Versteht mich nicht falsch, ich liebe den Sommer. Aber ich hasse den Winter nicht, und ich fühle mich sogar wohl, während viele Menschen um mich herum einfach nur versuchen zu überleben – ohne dass ich es ihnen übel nehme.

Winterblues oder saisonal abhängige Depression?

Es ist seit Jahrzehnten wissenschaftlich erwiesen, dass die kürzeren, dunkleren Tage mit chemischen Veränderungen im Gehirn einhergehen, so das National Institute of Mental Health (NIHM). Das wiederum kann dazu führen können, dass Menschen sich lethargisch fühlen, sich sozial zurückziehen und das Interesse an Aktivitäten verlieren, die ihnen eigentlich Freude bereiten.

Dies wird gemeinhin als „Winterblues“ bezeichnet, aber es gibt auch eine ernstere, diagnostizierbare Erkrankung, die saisonal abhängige Depression (Seasonal Affective Disorder, SAD), bei der es sich um eine Form der schweren Depression handelt.

Eine Frau in Winterkleidung sitzt an einem See und schaut traurig
Viele Menschen neigen im Winter zu depressiven Verstimmungen © Cavan Images/IMAGO

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Menschen wie ich empfinden die kalte Jahreszeit als besonders angenehm

Ich gebe zu, die kalte Jahreszeit ist nicht perfekt. Ich kann es nicht ertragen, wie lange es dauert, mein Zwiebelschicht-Outfit anzuziehen, wie kalt sich das Auto am Morgen anfühlt und wie meine Nase nach zwei Minuten in der Kälte anfängt zu laufen. Ich mag nicht einmal Winteraktivitäten wie Schlittschuhlaufen oder Skifahren (Ski Resort-Vibes haben aber schon was). Vielleicht ist ja bei diesen 12 Dingen, die man im Winter machen kann, was dabei.

Aber aus irgendeinem Grund, den ich und einige Expert:innen, die sich mit dem saisonalen Wohlbefinden beschäftigen, nicht genau erklären können, kann ich über all das hinwegsehen. Stattdessen sind es die Kapuzenpullis und Jogginghosen, das gedämpfte Licht, die nach Kiefernholz duftenden Kerzen, die erfrischende kalte Luft, die warmen Getränke, das Essen mit Pumpkin-Spice, die Lagerfeuer, die flauschigen Schals und die Schönheit des Schnees. All das gibt mir die wohlige Wärme, die mir das winterliche Wetter nicht bieten kann.

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Wintermonate können für manche Menschen besonders belastend sein

Ich weiß, dass nicht alle diese Ansicht teilen und dass der Winter für viele Menschen eine schwierige Zeit sein kann. Vor allem für diejenigen, die von Obdachlosigkeit, finanziellen Problemen oder Krankheit betroffen sind: Autounfälle ereignen sich leichter, Verletzungen durch Ausrutschen auf Glatteis und Schneeschaufeln sind an der Tagesordnung. Besonders krass waren 2022 die Schneestürme in den USA und Japan.

Heizungsrechnungen können ganz schön hoch oder gar nicht zu bezahlen sein. Ich bin unglaublich dankbar, in einer Position zu sein, die es mir ermöglicht, die schönen Seiten einer ansonsten gefährlichen oder stressigen Jahreszeit zu erleben.

„Subjektives Erleben der Dinge“ beeinflusst Einstellung zum Winter

Ich weiß aber, dass ich nicht die Einzige bin, die den Winter mag. Woran liegt es also, dass manche Menschen in der kalten Dunkelheit aufblühen, während andere lieber einen Winterschlaf halten, bis er vorbei ist? Darüber gibt es so gut wie keine Untersuchungen. Einige Expert:innen, mit denen wir sprachen, meinten, es könne biologische Gründe dafür geben, aber vor allem eine Theorie sticht dabei hervor: Wie wir über das Wetter denken, beeinflusst, wie wir es erleben.

„Wir haben die Vorstellung, dass unsere Biologie unser Schicksal ist und dass diese Dinge die Realität bestimmen, aber unser subjektives Erleben der Dinge spielt eine viel größere Rolle, als den Menschen bewusst ist“, sagt Gesundheitspsychologin Kari Leibowitz. Sie untersucht, wie es Menschen, die in nördlichen Regionen leben, im Winter geht. „Jede Jahreszeit hat ihre Vor- und Nachteile. Aber wir neigen dazu, uns auf die negativen Aspekte des Winters zu konzentrieren, anstatt darüber nachzudenken, wie wir uns auf die Jahreszeit einlassen, uns an sie anpassen, mit ihr arbeiten und all ihre Besonderheiten genießen können.“

Winterzeit ist für deinen Körper am natürlichsten

Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass die Umstellung auf die Winterzeit (in den meisten Teilen der USA in der Regel im November) unseren Körper in seinen natürlichsten Zustand zurückversetzt, so Joseph Takahashi. Er ist Experte für biologische Uhren und Vorsitzender der neurowissenschaftlichen Abteilung am University of Texas Southwestern Medical Center.

Die Winterzeit entspricht eher dem zirkadianen Rhythmus des Menschen – der 24-Stunden-Körperuhr, die der Sonne folgt und aus einem komplexen Zusammenspiel von Genen, Enzymen und Hormonen besteht. Diese biologische Uhr steuert die täglichen Schwankungen von Stimmung, Appetit, Immunfunktion, Verdauung, Blutdruck, Körpertemperatur, Blutzucker und vielem mehr.

Zeichnung: Ein Mädchen lächelt, sie liest ein Buch, eine schlafende Katze
So wird auch der Winter zu einer schönen Jahreszeit. © Sabrina Mellado for BuzzFeed News

Umstellung von Sommer- zu Winterzeit hat positive Effekte auf unseren Körper

Studien zeigen, dass die Vorverlegung der Sommerzeit um eine Stunde im Frühjahr mit verschiedenen Gesundheitsrisiken verbunden ist, darunter Schlafstörungen, die oft für einen vorübergehenden Anstieg von Verkehrsunfällen, Fehlern am Arbeitsplatz und Verletzungen verantwortlich gemacht werden. Auch das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko steigt, zumindest kurzfristig. Wissenschaftler:innen bezeichnen dies als „zirkadianen Versatz“, weil sich die Körperuhr nie vollständig an diese Veränderung anpasst.

Eine Rückkehr zur Winterzeit könnte jedoch erklären, warum sich manche Menschen im Winter besser fühlen. Die Synchronisierung mit dem Zeitplan der Sonne könnte „viel gesünder sein, nicht nur für Stoffwechselmarker, sondern auch für die psychische Gesundheit“, so Takahashi. Wir wissen jedoch, dass Millionen von Menschen in den USA an einer saisonalen affektiven Störung (SAD) leiden und Symptome haben, die im Herbst oder Winter beginnen und im Frühjahr oder Sommer wieder verschwinden.

Mangel an Tageslicht fördert in den Wintermonaten depressive Verstimmungen

Expert:innen wissen nicht, was SAD verursacht, aber es könnte damit zusammenhängen, dass weniger Tageslicht einen niedrigen Serotoninspiegel (das Hormon, das die Stimmung reguliert) und einen hohen Melatoninspiegel (das Hormon, das den Schlaf reguliert) im Gehirn verursacht. Zusammen tragen beide dazu bei, den Tagesrhythmus des Körpers aufrechtzuerhalten.

Ob es einen genetischen Unterschied zwischen Winterliebhaber:innen und Winterhasser:innen gibt, bleibt abzuwarten, so der Psychiater Dr. Norman Rosenthal, der 1984 den Begriff „saisonale affektive Störung“ (SAD) erstmals beschrieb und prägte.

„Warum einer Person der Winter nichts ausmacht und anderen wiederum schon, liegt offensichtlich an den verschiedenen Gehirnen“, sagte der klinische Professor für Psychiatrie an der Georgetown University School of Medicine gegenüber BuzzFeed News US. „Aber diese genetischen Unterschiede, die mit ziemlicher Sicherheit zum Vorschein kommen werden, sind noch nicht geklärt oder aufgedeckt worden.“

Kultur, Erziehung und persönliche Erfahrung beeinflussen deine Sichtweise auf den Winter

Du entscheidest, wie du den Winter empfindest, aber ohne Zweifel spielen auch Kultur und Erziehung dabei eine Rolle. Ich bin in Miami aufgewachsen und habe keine andere Jahreszeit als den Sommer erlebt, bis ich zum Studium nach Boston ging. Für mich ist der Winter immer noch mit einem besonderen Gefühl der Neuerung, des Spaßes und der Aufregung verbunden, das ich als Kind nie hatte. Wahrscheinlich trägt gerade deshalb dieses saisonale Hoch zu der guten Stimmung bei, die ich jedes Jahr empfinde und auf die ich mich freue.

Aber ich kenne viele Menschen in Miami, die den Winter im Norden hassen und immer hassen werden, weil sie ihn nicht gewohnt sind. Es überrascht nicht, dass sich überwältigend viele Menschen in Floria darüber einig sind, dass kaltes und verschneites Wetter einfach nur scheiße ist. Aber das gilt nicht nur für Florida, so Leibowitz, sondern für die gesamten USA. „Wenn man erst einmal merkt, wie sehr die negative Einstellung zur Winterzeit in der amerikanischen Kultur vorherrscht, sieht man sie überall“, sagt sie.

Negative Gedanken stärken eine negative Einstellung gegenüber dem Winter

Schalte einfach einen beliebigen Nachrichtensender ein, und du wirst schnell Meteorolog:innen finden, die dir sagen, dass du dich auf eine bevorstehende Kaltfront vorbereiten solltest. Es wird wohl kaum vorkommen, dass du daran erinnert wirst, es dir stattdessen gemütlich zu machen oder das Wetter zu genießen.

„Wenn wir glauben, dass die Dunkelheit uns beeinträchtigt und depressiv macht, ist es wahrscheinlicher, dass sie uns depressiv macht“, so Leibowitz. „Viele dieser sich selbst erfüllenden Prophezeiungen schaffen Realitäten.“ Die negative Einstellung zum Winter ist auch in unserer Sprache verankert – glückliche Menschen haben ein „sonniges Gemüt“ und alles Deprimierende ist „dunkel“.

Auch in Österreich heißt es: „Winter is Coming – again“, und auch hier reagieren die Leute mit gemischten Gefühlen.

Eine positive Einstellung zum Winter ist in Norwegen ein gesellschaftliches Phänomen

In Norwegen, so Leibowitz, ist das Gegenteil der Fall. Dort stellen Unternehmen Decken und Lagerfeuer zur Verfügung, damit man im Freien essen kann, und Einwohner:innen sind es gewohnt, sich unabhängig vom Wetter im Freien zu bewegen – „die grundlegenden Dinge, die die Botschaft vermitteln, dass es möglich ist, im Winter draußen zu sein, und Spaß zu haben.“

Diese Perspektive hat Leibowitz‘ eigene Beziehung zum Winter verändert, wie er mir erzählte. Das lag zum Teil daran, dass er in eine Gesellschaft eintauchte, die den Winter kollektiv genoss. Forscher:innen nennen dies „mindset contagion (dt. Mentalitätsansteckung)“.

Eine Gruppe Freunde machen glücklich ein Selfie
Norweger:innen wissen mit den kalten, dunklen Wintermonaten umzugehen. © Westend61/IMAGO

Wir sollten Wege finden, den Winter weniger scheußlich zu machen

Der Winter kann beschissen sein, aber viele von uns müssen trotzdem mit ihm fertig werden. Wir sollten also Wege finden, ihn etwas weniger scheußlich zu machen und die kalte Dunkelheit zu umarmen, anstatt sie zu bekämpfen.

Im Jahr 2014 zog Leibowitz nach Tromsø, Norwegen, einer Insel mit 70.000 Einwohner:innen mehr als 300 Kilometer nördlich des Polarkreises, um zu untersuchen, wie die Bewohner:innen mit den langen Wintern zurechtkommen. Zwei Monate davon verbringen sie in völliger Dunkelheit, weil die Sonne nie über den Horizont aufsteigt.

Menschen, die im Norden leben, erleben den Winter trotz Kälte und Dunkelheit positiv

Eine Studie, die 2020 im International Journal of Wellbeing veröffentlicht wurde, ergab, dass die Menschen umso glücklicher und zufriedener mit der Jahreszeit waren, je positiver sie den Winter sahen. Leibowitz fand auch heraus, dass Menschen, die weiter nördlich leben, wo die Temperaturen kälter und die Tage dunkler sind, eine noch positivere Einstellung zur Winterzeit haben als diejenigen, die weiter südlich leben.

„Sie sahen den Winter nicht als eine schreckliche Jahreszeit an, die sie überleben mussten“, so Leibowitz. „Stattdessen konzentrierten sie sich auf all die Dinge, die sie am Winter genießen, und auf all die Möglichkeiten, die er ihnen bietet.“ In Norwegen wird diese Idee koselig genannt, was so viel wie Gemütlichkeit bedeutet, erklärt Leibowitz. Dabei geht es darum, sich bewusst unter Decken zu kuscheln, bei Kerzenlicht zu essen, ein Buch am Kamin zu lesen – was immer Freude und Behaglichkeit bereitet.

Gemütliches Set aus Pantoffeln, einem Wollpulli und Tee
Es gibt viele Dinge, mit denen man sich den Winter angenehmer machen kann. © Panthermedia/IMAGO

So einige Dinge machen die kalten Wintermonate angenehmer

Leibowitz‘ Rat ist einfach: „Man mag 99 Dinge am Winter hassen, aber konzentriere dich auf diese eine Sache“, die dir Freude bereitet, egal wie klein dieser Funke auch sein mag. Vielleicht ist es die morgendliche Tasse Kaffee, eingewickelt in eine Decke im Garten, die Verabredung mit den Eltern aus der Nachbarschaft, mit den Kindern Schneeengel zu machen, oder eine leckere warme Suppe.

Tu einfach das, was sich richtig und besonders anfühlt. Aber denke daran, dass es Zeit und etwas Experimentierfreude braucht. Nach draußen zu gehen und das Licht zu genießen, wenn du kannst, sei eine weitere gute Möglichkeit, die Jahreszeit zu genießen. „Die Norweger:innen haben das Sprichwort ‚Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung‘“, sagte Leibowitz. (Wir in Deutschland übrigens auch). „Die Leute denken oft, dass das Wetter so richtig miserabel sein wird, aber wenn man sich richtig anzieht, ist es gar nicht mal so schlimm.“

Gemütlichkeit wird als Trend oder Must-have verkauft

Versuche jedoch, nicht in die Kapitalismus-Falle zu tappen, warnte Leibowitz. Geschäfte lieben es, das Gefühl der Gemütlichkeit, nach dem wir uns alle sehnen, zu monetarisieren. Im Winter machen sie das vor allem mit „kuscheligen“ Decken, „kuscheligen“ Hausschuhen und Kerzen, die für noch mehr „Gemütlichkeit“ sorgen sollen. Werbung wie diese erweckt den Anschein, Gemütlichkeit habe eine gewisse Ästhetik (was wohl auch so ist) und sei ein Trend, den man braucht und nicht verpassen darf. Besser verpassen sollte man auch den „Young and Beautiful“ Trend auf TikTok.

„Es stimmt, dass die Gegenstände, die uns umgeben, unsere Psyche und unsere Gefühle beeinflussen. Aber wenn wir wirklich tiefer gehen, geht es mehr um ein Gefühl der psychologischen Sicherheit und des Friedens als darum, die richtigen Dinge zu haben“, sagte Leibowitz. „Wenn man darüber nachdenkt, wie man das kultivieren kann, besonders in der dunklen, kalten Jahreszeit, ist das ein guter Ort, um seine Aufmerksamkeit und Energie darauf zu richten.“

Eine positive Einstellung gegenüber dem Winter ist nicht für alle unbedingt möglich

Während es manchen Menschen hilft, heiße Schokolade zu trinken und ihren Lieblingsfilm zu sehen, ist es für andere komplizierter. Es ist möglich, dass eine Person, die bereits glücklich und zufrieden mit ihrem Leben ist, eher eine positive Wintereinstellung hat als jemand, der dies nicht ist. Und manche Menschen können aus verschiedenen Gründen, einschließlich einer SAD-Diagnose, keine positive Einstellung zum Winter entwickeln oder aktiver werden, obwohl sie es wirklich wollen.

Der Punkt ist, dass es nicht deine Schuld ist, wenn du im Winter Probleme hast. Niemand muss „einfach seine Einstellung ändern“, wenn die Umstände, sei es ein Gesundheitszustand oder eine Lebenssituation, dies erschweren, so Leibowitz. Aber es ist wichtig zu wissen, wie viel man von der eigenen Denkweise kontrollieren könne und wie viel von anderen Faktoren beeinflusst werde.

Freust du dich immer noch nicht auf den Winter? Wer sagt denn, dass es nicht auch gemütlich ist, im Winterhass zu schwelgen? Jedem das Seine. Ich hingegen habe sofort im November den roten Teppich ausgerollt, habe den Winter mit meiner wärmsten Begrüßung empfangen und genieße seitdem die kalten Tage.

Nicht nur der Winter, sondern auch TikTok, Snapchat und Co. können Depressionen hervorrufen.

Autorin ist Katie Camero. Dieser Artikel erschien am 11.11.2022 zunächst auf buzzfeednews.com. Aus dem Englischen übersetzt von Aranza Maier.

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