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Marcus Urban: Geht es „ums Eingemachte“, ist die LGBTQIA+-Community der FIFA egal

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Von: Michael Schmucker

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Bei der WM in Katar gehe es letztlich um Geld, Ressourcen und Macht, da „fallen Menschenrechte schnell mal unter den Tisch“, sagt Ex-Fußballer und Diversity-Coach Marcus Urban.

Mit einer Mischung aus Verwunderung und Wut blickt die LGBTQIA+-Community nach Katar und insbesondere auf FIFA-Chef Gianni Infantino. Seit Monaten versucht der schweizerisch-italienische Fußballfunktionär ein blütenweißes Bild von der Fußballweltmeisterschaft (WM) im November zu zeichnen, allen Kritiker:innen, die auch die Ausbeutung bei der Fußball-WM in Katar anprangern, zum Trotz. Eine besonders ärgerliche Situation für die LGBTQIA+-Community, die in Katar aufgrund ihrer Sexualität mehrjährige Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe erwarten.

WM in Katar: Entscheidung „ist durchwegs rein ökonomisch“

Am Dienstag, 27. September 2022, legte Infantino erneut eine Rolle rückwärts hin und sprach in Zürich von „beachtlichen Fortschritten“, die Katar gemacht habe. Er sagte, man werde weiterhin mit den Behörden in Katar zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die bevorstehende Weltmeisterschaft ein Turnier wird, bei dem „alle willkommen sind“, so berichtet die Sportschau. Für queere Menschen klingt das oftmals wie blanker Hohn – auch weil Homofeindlichkeit selbst im deutschen Profi-Fußball größer ist, als gedacht.

Marcus Urban, der erste deutsche Profifußballer, der sich als homosexuell outete, arbeitet heute als Diversity-Couch und erklärt gegenüber BuzzFeed News DE von IPPEN.MEDIA: „Die Entscheidung für Katar ist durchwegs rein ökonomisch. Man kann sich hinstellen und sagen, so eine Großveranstaltung wird in kein undemokratisches Land vergeben, das würde aber dann die ganzen letzten Entscheidungen betreffen. Oder man geht anders an die Frage heran und versucht durch die Vergabe auch die Menschenrechtsaspekte in diesen Ländern medial zu thematisieren.“

Auch im Jahr 2022 erhalten zahlreiche Fußballspieler Hassnachrichten – viele davon homophob oder rassistisch.

Marcus Urban und Rechts ist eine LGBTQIA+-Flagge zu sehen.
Im Gespräch mit BuzzFeed News DE bezeichnet Ex-Fußballer und Diversity-Coach Marcus Urban die Entscheidung für Katar als „durchwegs rein ökonomisch“. © Eventpress/Panthermedia/IMAGO/Collage

Queere Menschen können schlecht nach Katar reisen und dort „Händchen halten“

Es ist eine schwierige Frage, die sich mit Sicherheit nicht leicht beantworten lässt, wobei für den Fußball-Enthusiasten auch klar ist: „Ich denke, dass eine Fußballweltmeisterschaft oder eine Olympiade nicht dazu führen wird, dass sich solche Länder grundsätzlich ändern, so wie wir das wünschenswert finden. Wenn wir uns anschauen, wie es in Ländern wie Russland oder China weitergegangen ist nach dem Ende solcher sportlichen Großveranstaltungen, dann erübrigt sich die Frage nach langfristigen Veränderungen sehr schnell.“

Auch die Forderungen, man müsse klare Kante gegenüber den Despoten dieser Welt zeigen, greife zu kurz: „Olympiaden und Fußballweltmeisterschaften, die für uns riesige und wichtige Veranstaltungen sind, sind für Herrscher, Diktatoren und Autokraten einfach nur ein Spielzeug. Zu glauben, dass eine solche Veranstaltung grundsätzlich etwas ändert oder gar die Einstellungen von Diktatoren beeinflussen könnte, ist schlicht naiv. Was diese Herrscher mit ihren Ländern vorhaben, ist viel größer und bedeutender als eine Fußballweltmeisterschaft.“

Auch in puncto Sicherheit zweifeln viele queere Menschen die Versprechungen an, weswegen viele LGBTQIA+-Reisebüros bisher kaum Buchungen in das Emirat verzeichnen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass vor Ort eine komplette Sicherheit gewährleistet werden kann, man kann kein ganzes Land überwachen. Wenn Homosexualität unter schwerer Strafe steht, halte ich es für unwahrscheinlich, dass die Menschen dort erfreut sein werden, wenn zwei Männer zum Beispiel Händchen halten oder sich küssen“, so Urban. Wegen Katars Umgang mit Menschenrechten stand auch Robert Habeck in der Kritik, weil er sich vor dem Energieminister so tief verbeugte.

Wenn Homosexualität unter schwerer Strafe steht, halte ich es für unwahrscheinlich, dass die Menschen dort erfreut sein werden, wenn zwei Männer zum Beispiel Händchen halten oder sich küssen.

Marcus Urban, Diversity-Coach und Ex-Profi-Fußballer

Kapitänsbinde „One Love“ statt Regenbogenflagge – die Häme ist groß

Der Deutsche Fußballbund wollte nun allerdings doch ein Zeichen setzen. Anstatt der eindeutigen Regenbogensymbolik als Statement für die Rechte der LGBTQIA+-Community, präsentierte der Verein zusammen mit mehreren anderen europäischen Clubs eine Kapitänsbinde für Katar, auf der ein buntes Herz mit der Aufschrift „One Love“ zu sehen ist. In der Community selbst ist die Häme seitdem groß, viele attestieren dem DFB ein völliges Versagen in puncto Einsatz für Menschenrechte.

Urban selbst sieht das kritischer: „Ich kann die Idee nachvollziehen, dass es um Diversity und Vielfalt geht und ein ganzer Blumenstrauß an Themen sich darin wiederfinden soll, also Menschenrechte, Frauenrechte, LGBTQIA+, aber auch Natur und Nachhaltigkeit. Natürlich ist die Symbolik nicht so bekannt wie die Regenbogenflagge und als Menschenrechtler wünsche ich mir Klarheit und Eindeutigkeit, wenn es um Menschenrechte geht. Aber mir ist auch bewusst, dass oftmals diplomatisch Kompromisse geschlossen werden müssen und man sich aufgrund von gewissen Abhängigkeiten sehr gut überlegen muss, was man bereit ist, zu sagen.“

LGBTQIA+-Rechte werden wieder einmal über Bord geworfen, wenn es ernst wird

So sehr sich die unterschiedlichen Verflechtungen von Politik und Sport auch nicht mit einem Fingerschnippen entwirren lassen, so sehr bleibt in der Community aber einmal mehr der Eindruck zurück, dass LGBTQIA+-Rechte wieder einmal über Bord geworfen werden, wenn es ernst wird. „Das ist definitiv so! Das ist aber auch in Unternehmen der Fall. Oftmals ist das Thema Vielfalt oder Antidiskriminierung nicht in den Satzungen verankert. Sobald es also ums Eingemachte geht – Geld, Ressourcen, Macht – fallen Menschenrechte schnell mal unter den Tisch.“

Sobald es also ums Eingemachte geht – Geld, Ressourcen, Macht – fallen Menschenrechte schnell mal unter den Tisch.

Marcus Urban

Solange das auch im Fußball in den Verbänden nicht fest als Regelung verankert sei, könne sich das auch dort immer wieder verändern, je nachdem, wer gerade im Chefsessel sitze. Ganz auf die WM verzichten, möchte der ehemalige Profikicker deswegen nicht – im Gegenteil: „Ich werde die WM natürlich anschauen, für mich hat das auch eine humorvolle Seite, wenn wir dann im Wintermantel, mit Glühwein in der Hand beim Public Viewing draußen sitzen werden. Und immerhin, Deutschland ist immer dafür gut, bis ins Finale zu kommen.“

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