Zu wenig Impfstoff gegen Affenpocken: Wut in der LGBTQIA+-Community wächst

Deutschland hat zwar Impfstoff gegen Affenpocken bestellt, aber viel zu wenig, heißt es aus der queeren Community. Viele sind sauer.
Die Wut in der deutschen LGBTQIA+-Community wächst aktuell täglich immer mehr an – Hintergrund ist die anscheinende Hinhalte-Taktik, mit der die Bundesregierung derzeit versucht, in besonderer Weise die Risikogruppe der schwulen und bisexuellen Männer in puncto Affenpocken zu beruhigen. Besonders brisant ist die Lage derzeit in Berlin, rund die Hälfte aller Infektionen werden aus der Landeshauptstadt gemeldet. Überraschend hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zwar kurzfristig die Lieferung von rund 20.000 weiteren Impfdosen angekündigt, doch für LGBTQIA+-Menschen ist auch dies nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Bis Ende September, so die aktuellen Versprechungen, sollen weitere 200.000 Impfeinheiten kommen – für die Deutsche Aidshilfe ist auch das viel zu wenig, sie forderte inzwischen mehrfach, die Bestellung auf mindestens eine Million Einheiten zu erhöhen.
Bisher schweigt die Bundesregierung dazu standhaft und die Wut in der Community wächst so weiter an. Verständlich, wie auch Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe gegenüber Buzzfeed News Deutschland bekräftigt: „Wir müssen in Deutschland allen Menschen mit einem Affenpocken-Risiko ein Impfangebot machen. Außerdem müssen Menschen überall auf der Welt die Chance auf eine Impfung bekommen. Die Bundesregierung sollte sich daher dafür einsetzen, dass mehr Impfstoff produziert wird, etwa durch die Vergabe durch Lizenzen an andere Firmen oder andere geeignete Mittel.“
Affenpocken: In Deutschland mangelt es an Impfstoff
Die Lage ist auch deswegen brisant, weil viele Menschen aus der bisher nach wie vor hauptsächlich betroffenen Risikogruppe der MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) sich grundsätzlich gerne zweifach impfen lassen würden, allein, es fehlt am Impfstoff. Dazu kommt, dass in der ersten Septemberwoche in Berlin das größte Fetisch-Festival Europas startet, rund 20.000 Besucher:innen aus aller Welt werden bei Folsom erwartet. Das Event ist als sex-positive Veranstaltung bekannt; bedenkt man die Tatsache, dass die meisten Infektionen nach wie vor durch engen sexuellen Kontakt übertragen werden, ist dies ein weiterer Aspekt, der nicht gerade zur Befriedung der Lage beiträgt.
Die Deutsche Aidshilfe warnt allerdings davor, das Festival und die Teilnehmer:innen zu stigmatisieren, denn nach zweieinhalb Jahren Pandemie haben gerade Großveranstaltungen wie diese für die gesamte LGBTQIA+-Community eine starke zwischenmenschliche Funktion. Zudem stellt Wicht weiter klar: „Die Prävention der Aidshilfe-Organisationen folgt schon immer dem Grundsatz: Wo Sexualität stattfindet und daher Übertragungen passieren können, klären wir über Risiken auf und weisen auf Schutzmöglichkeiten hin. So gehen wir auch mit Folsom um.“ Zudem wird auch das, in Berlin zuständige Präventionsprojekt Mancheck vor Ort sein, um Fetisch-Freund:innen über die möglichen Risiken zu informieren.
Schweiz investiert massiv in Impfstoff gegen Affenpocken
Die Wut steigt bei vielen trotzdem weiter an, wenn sie in Deutschlands Nachbarländer blicken. Auf massiven Druck der LGBTQIA+-Community hat die Schweiz vor kurzem erst 100.000 Impfdosen bestellt – mit Blick auf die Zahl der Einwohner:innen bedeutet dies, dass die Eidgenossen Impfstoff für rund 60 Prozent der homo- und bisexuellen Menschen eingekauft haben. „Wir haben ähnlich gerechnet wie die Schweizer*innen: Laut der letzten EMIS-Studie haben knapp drei Viertel der schwulen und bisexuellen Männer in Deutschland Sex außerhalb fester Beziehungen. Unser Epidemiologe Axel Jeremias Schmidt geht in seiner Rechnung von 800.000-850.000 schwulen und bisexuellen Männern in Deutschland aus. Daraus ergibt sich, grob gerechnet, dass weit mehr als eine halbe Million Menschen für eine Impfung infrage kommen, auch wenn nicht alle sie in Anspruch nehmen werden“, so Wicht.
Österreich geht derzeit einen anderen Weg und folgt der Empfehlung der EU-Arzneimittelbehörde EMA, den zur Verfügung stehenden Impfstoff zu strecken, um so möglichst vielen Menschen eine Basisimmunisierung zukommen zu lassen. Und Deutschland? Schweigen im Walde.
Queere Community könnte Vertrauen in die Bundesregierung verlieren
Dieses Schweigen der Bundesregierung bezüglich einer Aufstockung könnte laut Wicht auch zu einem weitreichenden Vertrauensverlust in der LGBTQIA+-Community führen. Positiv sei allerdings, dass inzwischen in den Medien weniger stigmatisierend über die Affenpocken berichtet wird: „Auch in der öffentlichen Diskussion wird nach unserem Empfinden recht verantwortungsbewusst mit der Situation umgegangen.
Viele Organisationen und Medien haben sich Gedanken gemacht, wie sie berichten können, ohne zu stigmatisieren. Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber Fehltritte wie in den ersten Wochen kommen nur noch relativ selten vor.“ In Anbetracht der aktuell leicht sinkenden Fallzahlen in Teilen Europas wie auch in Deutschland warnt der Fachmann allerdings vor voreiligen Schlüssen – mit Blick auf andere Länder zeigt sich, dass die Zahl der Neu-Infektionen durchaus wieder ansteigen könne. Die queeren Vereine sind vorbereitet und versuchen ihr Bestes – jetzt muss sich nur noch die Bundesregierung endlich bewegen.