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Russland auf G20-Gipfel am Ende isoliert: Chinas Xi macht Kompromiss mit dem Westen

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Von: Christiane Kühl

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China hat auf dem G20-Gipfel eine russlandkritische Abschlusserklärung mitgetragen. Das ist eine schwere Niederlage für Wladimir Putin. Russlands Delegation um Außenminister Lawrow stand auf Bali alleine da.

Nusa Dua/Frankfurt – Der Kontrast zwischen Russland und China auf dem G20-Gipfel auf der indonesischen Insel Bali konnte kaum größer sein. Das wohl prägendste Russlandfoto aus dem Urlaubsort Nusa Dua zeigte Außenminister Sergej Lawrow im T-Shirt auf einem Balkon, allein mit ein paar Unterlagen. Im Netz gab es Spott, dass er mit iPhone und Apple Watch – Statussymbole aus den verhassten USA – abgebildet war. „Er stand in meiner Nähe und hat auch zwei Sätze gesagt. Das war das Gespräch“, ätzte Bundeskanzler Olaf Scholz über Lawrow. Dessen Chef, Russlands Präsident Wladimir Putin, hatte nicht selbst kommen wollen. Er schickte Lawrow vor – und zeigte sich selbst während des Gipfels lieber bei der Denkmalpflege in Russland.

Während Lawrow auf Bali von vielen gemieden wurde, scharten sich in Nusa Dua die Anwesenden um den angeblich besten Freund seines Landes: Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping.


Xi Jinping und seine Delegation verhandeln auf Bali über die G20-Abschlusserklärung
Xi Jinping beim Gespräch mit Australiens Premierminister Anthony Albanese (nicht im Bild): Auf dem G20-Gipfel in Bali ließ sich Chinas Staatschef nach langen Verhandlungen auf eine russlandkritische Abschlusserklärung ein. © Mick Tsikas/Imago

Xi sprach am Montag mehr als drei Stunden mit US-Präsident Joe Biden. Am Dienstag traf er Frankreichs Emmanuel Macron, Marc Rutte aus den Niederlanden, Spaniens Pedro Sánchez, Australiens Anthony Albanese und Südkoreas Präsidenten Yoon Suk-yeol. Nach fast drei Jahren selbstgewählter Corona-Isolation trat Xi zurück ins Rampenlicht der Weltpolitik. Und es gelang nach zähem Ringen unter Einschluss Chinas ein überraschender Kompromiss für die Abschlusserklärung, die Putin nicht gefallen dürfte.

Dass die Staaten die Erklärung gemeinsam verabschiedet haben, verkündete am frühen Mittwochnachmittag Ortszeit der indonesische Präsident und Gastgeber Joko Widodo. Darin heißt es: „Die meisten Mitglieder verurteilen den Krieg in der Ukraine aufs Schärfste und betonen, dass er unermessliches menschliches Leid verursache und die bestehenden Schwachstellen in der Weltwirtschaft verschärfe.“ Die Formulierung „die meisten“ lässt China einen gewissen Freiraum, ohne den Xi das Dokument wohl kaum mitgetragen hätte.

Russland bei G20-Gipfel isoliert – auch dank China

Lawrow war da schon längst nicht mehr da. Sein Wüten auf Bali gegen die Erklärung war verpufft. Russland hatte sie letztlich annehmen müssen, getröstet nur durch den Zusatz: „Es gab andere Auffassungen und unterschiedliche Bewertungen der Lage.“ Am traditionellen Dinner in Bali-typischen Batik-Hemden am Dienstagabend nahm Lawrow noch teil, dann stieg er mit seiner Delegation ins Flugzeug nach Moskau. Und Putin ließ dutzende Raketen auf die Ukraine regnen. Denn sein Ziel, die G20 oder den Westen zu spalten, hatte Lawrow nicht erreicht.

Als in der Nacht zum Mittwoch dann der Einschlag einer Rakete auf polnischem Staatsgebiet – und damit auf Territorium der Nato –bekannt wurde, wurde das erneut deutlich. Gegen 3 Uhr morgens wurde Scholz von seinem außenpolitischen Berater Jens Plötner geweckt. Scholz telefonierte sogleich mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda und sprach ihm sein Beileid aus. US-Präsident Joe Biden berief eilig ein Krisentreffen der auf Bali anwesenden Staats- und Regierungschefs der G7 ein. Er informierte die Verbündeten, dass es sich bei dem Geschoss wohl um eine ukrainische Luftabwehrrakete handelte, die nicht beabsichtigt auf polnischem Gebiet gelandet sei. Die Bilder der nächtlichen Krisensitzung gingen um die Welt.

Und auch wenn Chinas Vertreter bei der Sitzung fehlten – und somit auch nicht zu sehen waren – ist klar: Ohne Chinas Einverständnis wäre die erfolgreiche Isolation Russlands auf dem G20-Gipfel nicht möglich gewesen.

Scholz lobt klare Worte der G20-Abschlusserklärung

„Dass es hier Verständigungen gegeben hat, die weit über das hinausreichen, was zu erwarten war, das bleibt der Erfolg dieses Gipfels“, sagte Olaf Scholz am Mittwoch vor dem Rückflug nach Berlin. Die Staats- und Regierungschefs hätten „erstaunlich klare Worte“ gefunden. Vormals neutrale Länder wie Indien und Südafrika hätten dazu beigetragen. „Der russische Präsident steht mit seiner Politik in der Welt fast allein da“, so Scholz. „Er hat keine starken Bündnispartner.“ Sprich: Auch China nicht.

China hatte in den Verhandlungen zunächst fest an der Seite Moskaus gestanden. Und niemand wusste, wie sich andere wichtige G20-Länder wie Brasilien, Indien und Mexiko positionieren würden. Sie hielten sich bislang mit Kritik an Russland zurück – nach Ansicht von Experten vor allem aus wirtschaftlichem Interesse. Indien zum Beispiel kaufte russisches Öl zu Sonderpreisen – und enthielt sich im Gegenzug bei russlandkritischen UN-Abstimmungen. Chinas Diplomaten weigerten sich stets, den russischen Angriff als „Invasion“ oder „Krieg“ zu bezeichnen. Nun steht das Wort „Krieg“ ganz selbstverständlich in der Abschlusserklärung.

Auch werden darin der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen als „unzulässig“ bezeichnet. Zuvor hatten sich unter anderem Scholz, Biden und Macron in bilateralen Treffen Xi Jinpings Ablehnung eines Atomwaffeneinsatzes gesichert. Chinas Außenminister Wang Yi gehörte zu den wenigen, die sich mit Lawrow trafen. Wang Yi erklärte anschließend, China habe zur Kenntnis genommen, dass Russland seinen Standpunkt bekräftigt habe, ein Atomkrieg sei „unmöglich und unzulässig“. Ob der Russe diese Aussage von selbst getroffen oder von Wang dazu gedrängt worden war, ist unbekannt.

Fest steht jedenfalls: China hat auch selbst keinerlei Interesse an einem Atomkonflikt. Putins Atomdrohung mag daher sogar der Grund gewesen sein, dass Xi die Tür zum Westen wieder einen Spaltbreit geöffnet hat.

China und Russland: Risse – aber noch kein Ende der Freundschaft

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sah daher sogar Grund für Optimismus zu Chinas künftiger Rolle im Ukraine-Krieg. Er glaube, „dass China in den kommenden Monaten eine Vermittlerrolle übernehmen kann“, sagte Macron auf seiner Abschluss-Pressekonferenz in Bali. Es solle so vor allem eine Wiederaufnahme einer Landoffensive nach dem Winter verhindert werden. Macron will sich dafür bei einem Besuch in China Anfang des kommenden Jahres einsetzen. 

Der Kompromiss Chinas mit dem Westen ist eine Niederlage für Putin. Auch wenn längst nicht ausgemacht ist, dass Xi Jinping Putin plötzlich fallenlässt. China agiert stets kühl und in nur seinem eigenen Interesse. Moskau und Peking eint die Gegnerschaft zur vom Westen dominierten Weltordnung. Auch China ist angewiesen auf Lieferungen Öl und Gas aus Russland. Doch Bali riss einen winzigen Spalt auf zwischen China und Russland. Solange die Allianz mit Russland Xis strategischen Zielen nützlich ist, wird er sie aufrechterhalten. Länger nicht.

China und der Westen: Es bleibt kompliziert

Doch das heißt noch lange nicht, dass auf einmal eitel Sonnenschein zwischen China und dem Westen herrscht. China bleibt Partner, Konkurrent und systemischer Rivale zugleich, wie es die EU nennt. Xi Jinping zeigte in Nusa Dua deutlich, dass er Unterschiede macht zwischen verschiedenen Staaten. Mit Biden schüttelte er die Hände und sprach er mehr als drei Stunden. Biden und die USA sind für China ebenso wichtig wie umgekehrt, aller Spannungen zum Trotz. Doch den neuen britischen Premierminister Rishi Sunak ließ Chinas Staatschef abblitzen. Sunak hätte Xi gern getroffen, doch seine konservative Partei, die Tories, gelten als china-kritisch. Sunaks Vorgängerin Liz Truss hatte noch vor wenigen Wochen angekündigt, China als „Bedrohung“ für die nationale Sicherheit einzustufen. Dass Sunak am Dienstag umschwenkte und es bei der Bezeichnung „Rivale“ belassen will, half nicht mehr.

Kanadas Premierminister Justin Trudeau traf Xi nur informell, auch Chinas Beziehungen zu Kanada gelten als belastet. Und dann gab es auch noch Ärger. Auf einem Video vom Mittwoch ist Xi zu sehen, wie Xi sich bei Trudeau über mangelnde Vertraulichkeit beschwerte: „Alles, was wir gestern diskutiert haben, ist Zeitungen zugespielt worden. Das ist nicht angemessen.“ Wer ernsthaft sei, führe den Dialog mit gegenseitigem Respekt. Trudeau antwortete: „In Kanada glauben wir an freie, offene und freimütige Gespräche.“ Vielleicht ließe sich der Dialog fortsetzen, so Trudeau. Er wolle „konstruktiv“ mit Xi Jinping zusammenarbeiten. „Aber es wird Dinge geben, bei denen wir nicht übereinstimmen werden.“ Xi wirkte erst ungehalten und sagte dann: „Schafft die Bedingungen.“ Daraufhin schüttelte er Trudeau die Hand, machte wieder ein freundliches Gesicht und ging von dannen. (ck/mit Material von dpa)

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