Russland, Iran und deren Erzfeinde: Warum China mit allen gute Beziehungen pflegt
China hält zu Saudi-Arabien und zu dessen Erzfeind Iran, zu Russland und gleichzeitig zur Ukraine. Einen Widerspruch mag Peking nicht erkennen – und folgt unbeirrt ganz eigenen Zielen.
München/Peking/Riad – Es war ein Empfang, wie ihn Xi Jinping liebt: Als Chinas Staats- und Parteichef Anfang Dezember in Riad aus seiner Boeing-747-400 stieg, rauschten sieben Kampfjets über den Flughafen von Saudi-Arabiens Hauptstadt hinweg, und ein halbes Dutzend Kanonen gaben Salutschüsse ab. Wenig später gab‘s vom saudischen Machthaber Kronprinz Mohammed bin Salman einen freundlichen Handschlag, während im Hintergrund die chinesische Nationalhymne angestimmt wurde. Ganz klar: Es war ein Treffen unter Freunden. Nur: Freunde hat China offenbar viele.
Denn nur einen Tag nach Xis Abreise aus Saudi-Arabien betonte Hu Chunhua, Chinas Vizepremierminister, die Freundschaft seines Landes zu einem Erzfeind der Saudis: Hu war in den Iran gereist, wo er unter anderem mit Präsident Ebrahim Raisi zusammenkam. Das war in etwa so, als würde Olaf Scholz nach Kiew fliegen und sein Vizekanzler Robert Habeck nur einen Tag später nach Moskau. Man unterstütze „die iranische Seite nachdrücklich darin, sich der Einmischung von außen zu widersetzen und die nationale Souveränität, die territoriale Integrität und die nationale Würde zu wahren“, schrieb nach dem Treffen Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. Chinas Außenministerium erklärte die Proteste gegen das Regime in Teheran, ganz im Sinne Irans, wenig später zur „inneren Angelegenheit“ des Landes.
Was die chinesische Seite allerdings verschwieg: Raisi war reichlich erzürnt über Xis Riad-Besuch, sprach von „Unzufriedenheit“ und forderte eine „Entschädigung“ von China. Nachlesen kann man das in einer Stellungnahme, die der Präsidentenpalast in Teheran veröffentlichte. Raisi war wohl auch deshalb so wütend, weil Xi zuvor in Riad zusammen mit den Saudis und anderen Golfstaaten gefordert hatte, dass Teherans Atomprogramm friedlichen Zwecken dienen müsse – und dass Gebietsstreitigkeiten zwischen dem Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten wegen dreier Inseln in der Straße von Hormus geklärt werden sollten. „Die drei Inseln im Persischen Golf sind untrennbare Teile des Iran und gehören für immer zum Mutterland“, schimpfte daraufhin Irans Außenminister bei Twitter. Offenbar fühlt sich das Land verraten: Noch im Vorjahr hatte China mit dem Iran eine auf 25 Jahre ausgelegte „strategische Partnerschaft“ vereinbart.
Freundschaft zu Russland trotz Ukraine-Krieg: „Chinas Außenpolitik ist opportunistisch“
Die Episode zeigt, in welchen Spannungsfeld Chinas Außenpolitiker unterwegs sind. Da ist es in der Diplomatie wie im richtigen Leben: Wer mit zwei Menschen befreundet ist, die sich gegenseitig nicht leiden können, wird sich früher oder später für einen von beiden entscheiden müssen. Oder eben damit leben, dass es immer wieder knirscht. China hat letzteren Weg gewählt und reicht jedem die Hände, der das möchte. Mit einer Einschränkung allerdings: Wer mit China befreundet sein will, darf keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan unterhalten. Denn Peking betrachtet den demokratisch regierten Inselstaat als „abtrünnige Provinz“ und Teil des eigenen Staatsgebiets. Weltweit allerdings sind nur 13 Staaten sowie der Heilige Stuhl im „Team Taiwan“ und haben die Insel als Staat anerkannt.

„Die chinesische Außenpolitik ist opportunistisch“, sagt Ivana Karaskova, Gründerin der osteuropäischen China-Denkfabrik Choice, dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. Die Regierung in Peking betone im Umgang mit anderen Ländern eher Gemeinsamkeiten als Unterschiede und verbreite Narrative, die „maßgeschneidert“ an die jeweiligen Empfänger angepasst seien. Konkret sieht das laut Karaskova dann so aus: Wenn chinesische Politiker in den Nahen Osten reisen, verweisen sie darauf, dass auch China ein muslimisches Land sei. Im Umgang mit Mittel- und Osteuropa werde „von einem gemeinsamen kommunistischen Erbe gesprochen“, in Afrika „von der gemeinsamen Erfahrung, kolonisiert worden zu sein“. Jeder bekommt das zu hören, was er hören will.
Ähnliche Erfahrungen wie der Iran musste auch die Ukraine im Umgang mit China machen. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs werden Pekings Diplomaten nicht müde, eine diplomatische Lösung für die „Krise“ in der Ukraine zu fordern. Eigene Initiativen blieben aber bislang aus. Stattdessen betont China bei jeder nur denkbaren Gelegenheit seine „felsenfeste“ Freundschaft zu Russland. Kurz vor Beginn des Ukraine-Kriegs – den China ganz im Sinne Moskaus nicht so nennt – unterzeichneten Xi Jinping und Wladimir Putin in Peking ein umfangreiches Freundschaftsabkommen. Mehrfach kamen die beiden Staatsoberhäupter seitdem zusammen, am Telefon und persönlich. Noch in diesem Jahr, so Kreml-Sprecher Dmitri Peskow unlängst, ist ein weiteres Gespräch geplant, im kommenden Jahr erneut eine persönliche Begegnung – es wäre das 40. Treffen der beiden autoritären Herrscher. Erst Mitte der Woche empfing Xi in Peking Dmitri Medwedew, den Vorsitzenden der Putin-Partei Einiges Russland.
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China und Saudi-Arabien: Beim Öl beginnt die Freundschaft
Ein Treffen zwischen Xi und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj fand hingegen bis heute nicht statt. Zuletzt musste sich der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba mit ein paar warmen, unverbindlichen Worten seines chinesischen Amtskollegen Wang Yi am Rande der UN-Generalversammlung in New York begnügen – und sich dabei versichern lassen, dass China die „Souveränität und territoriale Integrität aller Länder respektiert“. Im Kampf gegen Moskau helfen derartige Beteuerungen freilich wenig.
Ende vergangenen Jahres sagte Wang, es gebe zwei Trends in der internationalen Diplomatie. „Der eine besteht darin, in die Mentalität des Kalten Krieges zurückzukehren, um Spaltung und Feindschaft zu vertiefen und die Konfrontation zwischen den Blöcken zu schüren.“ Gemeint waren natürlich die USA. China hingegen, so Wang, „orientiert sich am gemeinsamen Wohl der Menschheit, um die Solidarität und Zusammenarbeit zu stärken, für Offenheit und Win-win-Ergebnisse einzutreten und Gleichheit und Respekt zu fördern“. Was nach einer durch und durch uneigennützigen Politik aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung allerdings als nicht ganz so selbstlos.
Denn die chinesische Regierung setzt durchaus Prioritäten. Beispiel Iran: Zwar bezieht Peking aus dem Land große Mengen an Rohöl, deutlich mehr fließt allerdings aus Saudi-Arabien in Richtung China. 18 Prozent von Chinas Rohölimporten kamen zuletzt von den Saudis, mehr als aus jedem anderen Land. In Teheran muss man also damit leben, dass Peking, wenn es den eigenen Interessen dient, auch mit dem eigenen Erzfeind gemeinsame Sache macht.
Chinas Handel mit Russland wächst
Dasselbe gilt für Russland und die Ukraine: Der Krieg hält Peking nicht davon ab, mit Moskau weiter fleißig Handel zu treiben – und diesen noch weiter auszubauen. Wie das Wall Street Journal unlängst unter Berufung auf Politikberater in Peking berichtet, wolle China in Zukunft noch mehr Öl, Gas und landwirtschaftliche Produkte aus Russland importieren. Der Handel zwischen beiden Ländern könnte in diesem Jahr auf 200 Milliarden US-Dollar steigen – mehr als doppelt so viel wie noch 2014 und deutlich mehr als die knapp 150 Milliarden im vergangenen Jahr. So hilft China indirekt, den russischen Krieg gegen die Ukraine zu finanzieren.
Um den Westen nicht ganz zu verprellen, distanziert sich China bisweilen von Russland – allerdings nur da, wo es nicht wehtut. So erklärte Xi Anfang November beim Peking-Besuch von Olaf Scholz, die internationale Gemeinschaft müsse „sich gemeinsam gegen den Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen aussprechen“. Das klang nach einer Breitseite in Richtung Kreml. Allerdings vermied es Xi seinerzeit tunlichst, den Namen Russland in den Mund zu nehmen. Und dass China den Einsatz von Nuklearwaffen ablehnt, war ohnehin längst bekannt.
„China hat die Absicht, die internationale Ordnung neu zu gestalten“
Peking gehe es vor allem darum, „für seine strategischen Interessen ein freundliches Umfeld zu schaffen“ und seine „Kerninteressen“ zu sichern, sagt China-Expertin Karaskova. Ganz oben steht für Chinas Kommunisten dabei die Wahrung der eigenen Herrschaft, erst dann kommen die Sicherheit des Landes und das wirtschaftliche Wohlergeben. Und noch ein Ziel verfolgt Xi Jinping: Die internationale Ordnung, die von den USA dominiert wird, soll nach chinesischer Vorstellung umgeformt werden. „Chinas internationaler Einfluss, seine Anziehungskraft und Gestaltungskraft haben sich deutlich verbessert“, sagte Xi Jinping im Oktober, zu Beginn des Parteitags seiner Kommunisten. Gemeint war das als Aufforderung, sich weiter anzustrengen, den Einfluss Washingtons zurückzudrängen.
Für Karaskova liegt darin der Schlüssel, um Chinas Russland-Nähe zu verstehen. „Peking will Moskau nicht verprellen, da es einen Verbündeten braucht, dessen ideologische Auffassung von der Weltordnung mit der chinesischen übereinstimmt“, sagt sie. Dazu gehört es auch, überall auf der Welt Partnerschaften zu schließen, um den Einfluss der USA zu begrenzen. „Die Volksrepublik China ist der einzige Konkurrent, der sowohl die Absicht hat, die internationale Ordnung neu zu gestalten, als auch zunehmend über die wirtschaftliche, diplomatische, militärische und technologische Macht verfügt, dies zu tun“, heißt es in der neuen US-Sicherheitsstrategie.
Überspannen will Peking den Bogen aber nicht. Schließlich ist das Land weiterhin auf westliche Technologie angewiesen, ebenso wie auf Absatzmärkte in den USA und Europa. „Das Ergebnis“, sagt Karaskova, „ist ein vorsichtiges Manövrieren zwischen den USA, der EU und Russland, um von der Situation zu profitieren.“