Taiwan-Lage spitzt sich zu: Wie der Konflikt mit China zustande kam - und worum es geht

Der Besuch von Nancy Pelosi in Taiwan versetzt China in Aufruhr. Warum eigentlich? Der Hintergrund des Konfliktes.
München/Peking/Taipeh – Alles noch mal gutgegangen – zumindest vorerst: Am späten Dienstagabend (Ortszeit) landete Nancy Pelosi sicher auf dem Flughafen von Taipeh. Zuvor hatte es Spekulationen gegeben, das Flugzeug der US-Politikerin könnte von chinesischen Kampfjets abgedrängt oder gar abgeschossen werden. Nach allem, was man derzeit weiß, geschah während des Fluges allerdings: nichts. Ganz ohne Reaktion blieb der umstrittene Besuch der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses freilich auch nicht. Noch am Dienstag schickte Peking Militärflugzeuge in die Nähe von Taiwan. Ab Donnerstag will Peking außerdem Manöver rund um Taiwan abhalten, bei denen auch scharf geschossen werden soll.
Nancy Pelosi, die Nummer drei in der Polithierarchie der USA, ist als Vertreterin eines demokratischen Staates zu Besuch bei den Vertretern eines anderen demokratischen Staates: So könnte man auf diesen Besuch blicken. Die kommunistische Führung in Peking sieht das naturgemäß völlig anders. Für die Volksrepublik China ist Taiwan ein Teil des eigenen Territoriums, eine „abtrünnige Provinz“, über die Peking zwar keine Gewalt hat, die aber doch fest zum eigenen Staatsgebiet gehört. Faktisch hingegen ist Taiwan ein eigener Staat, mit einer eigenen Regierung, einer eigenen Armee und mit einer Demokratie, wie sie lebhafter kaum sein könnte. Im Demokratieindex des Economist landete das Land zuletzt auf Platz 8 und damit sogar vor Deutschland (die Volksrepublik China findet sich auf Rang 148 wieder).
Die Taiwaner gelten als äußert protestfreudig (ein paar von ihnen demonstrierten am Dienstag auch gegen den Pelosi-Besuch), gleichgeschlechtliche Paare dürfen sich seit drei Jahren das Jawort geben. Präsidentin Tsai Ing-wen ist eine der fortschrittlichsten Politikerinnen Asiens. Da verwundert es kaum, dass sich weniger als zwei Prozent der Bürgerinnen und Bürger Taiwans eine schnelle Rückkehr zu China wünschen. Die überwältigende Mehrheit der Menschen hat längst eine eigene, taiwanische Identität entwickelt. Für sie ist die Vorstellung, Teil der kommunistischen chinesischen Diktatur zu werden, ein Graus.
China droht Taiwan mit der „Wiedervereinigung“ – notfalls auch mit Gewalt
China droht dennoch seit Jahren damit, Taiwan mit dem kommunistischen Festland „wiederzuvereinigen“. Notfalls solle das mit militärischer Gewalt geschehen, betonte Staats- und Parteichef Xi Jinping mehrfach. Trotz der martialischen Töne wünscht man sich aber auch in Peking eine friedliche Lösung des Taiwan-Problems. Schließlich wäre eine militärische Invasion der Insel auch für das hochgerüstete China alles andere als ein Kinderspiel. Taiwan verfügt über moderne Abwehrwaffen und viele Reservisten, die Bürgerinnen und Bürger des Landes üben zudem regelmäßig den Ernstfall. Der Ukraine-Krieg dürfte Peking zudem gezeigt haben, was passiert, wenn man in ein Land einmarschiert und nicht mit offenen Armen empfangen wird, sondern mit massivem Widerstand.
Manche Analysten glauben dennoch, dass Peking schon bald Ernst machen könnte. Zum Beispiel schon 2027, wenn die Volksbefreiungsarmee – Chinas Militär, das eigentlich der bewaffnete Arm der Kommunistischen Partei ist – den 100. Jahrestag seiner Gründung begeht. Oder aber erst 2049, wenn die Volksrepublik 100 Jahre alt wird. So oder so: Für Chinas Kommunisten ist eine „Wiedervereinigung“ mit Taiwan eine „historische Aufgabe“, die gelöst werden muss, friedlich oder militärisch oder durch wirtschaftlichen Druck.
China und Taiwan: Ein Konflikt, der seit Jahrzehnten schwelt
Der Konflikt zwischen China und Taiwan geht auf den chinesischen Bürgerkrieg zurück, der 1927 – also einige Jahre nach dem Ende des Kaiserreichs und der Gründung der Republik China – ausbrach: Nach dem Sieg der Kommunisten und der Ausrufung der Volksrepublik China durch Mao Zedong im Jahr 1949 flohen die unterlegenen Nationalisten, die Kuomintang, nach Taiwan, wo seitdem die 1912 gegründete Republik China weiterlebt.
Taiwan war erst wenige Jahre zuvor aus der japanischen Kolonialherrschaft entlassen worden, war also faktisch nie ein Teil der Volksrepublik. Der Nationalisten-Führer Chiang Kai-shek regierte Taiwan über Jahrzehnte mit harter Hand als Diktator und wollte sogar das kommunistische Festland zurückerobern. Erst sein Sohn Chiang Ching-kuo öffnete Taiwan in den 80-ern langsam für die Demokratie. Tsai Ing-wen ist bereits die vierte frei gewählte Präsidentin des Landes.
Offiziell anerkannt wird die asiatische Musterdemokratie allerdings nur von den wenigsten Staaten, auch nicht von der Bundesrepublik Deutschland. Besuche von ausländischen Spitzenpolitikern wie jetzt von Nancy Pelosi würde China am liebsten verhindern. Dennoch reisen immer wieder die Vertreter westlicher Demokratien Taiwan, zuletzt auch die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Nicola Beer.
Die USA nahmen 1972 Kontakt zum kommunistischen China auf, als Richard Nixon in Peking mit Mao Zedong und Premier Zhou Enlai zusammentraf. Sieben Jahren später brach Washington die diplomatischen Beziehungen zu Taipeh ab und erkannte im Zuge der sogenannten „Ein-China-Politik“ die Regierung in Peking an. Die „Ein-China-Politik“ besagt, dass Staaten, die diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik aufnehmen, anerkennen müssen, dass Hongkong, Macao und Taiwan ein Teil Chinas sind. Zur Regierung in Taipeh unterhält Washington nur informelle Beziehungen. Gleichzeitig verpflichtete sich die US-Regierung allerdings, Taiwan mit Verteidigungswaffen zu beliefern, und dringt darauf, dass eine Vereinigung mit China nur auf friedlichem Wege erfolgen dürfe.
Taiwan: Wichtig für die Weltwirtschaft – und die Geopolitik der USA
Zuletzt waren von Joe Biden allerdings immer wieder auch Töne zu hören, die den Taiwanern mehr versprachen als nur die Lieferung von Waffen. Im Mai, während eines Besuchs in Japan, sagte der US-Präsident Taiwan im Falle eines chinesischen Einmarsches militärische Unterstützung zu. „Das ist die Verpflichtung, die wir eingegangen sind“, so Biden. China „spielt mit der Gefahr“, betonte er. Die USA würden zwar die Ein-China-Politik unterstützen, aber nicht die Idee, sie mit Gewalt umzusetzen. „Das ist einfach nicht angemessen.“ Wenig später ruderte das Weiße Haus zurück – an der bisherigen Politik der US-Regierung werde sich nichts ändern, hieß es. Washington hatte es bislang offengelassen, wie man auf eine Invasion der Chinesen reagieren werde. Diese sogenannte „strategische Ambiguität“ sollte auf China abschreckend wirken.
Tatsache ist: Ein chinesischer Angriff auf Taiwan hätte enorme Auswirkungen auf die gesamte Welt. Vor allem wirtschaftlich, weil einer der wichtigsten Halbleiterhersteller, das Unternehmen TSMC, auf der Insel seinen Sitz hat. Die Chips von TSMC stecken weltweit in Handys und zig weiteren Elektronikprodukten. Für die USA hat Taiwan zudem eine herausragende strategische Bedeutung. Denn zusammen mit anderen Staaten der Region – Südkorea, Japan und den Philippinen – bildet es eine Art amerikanisch dominierte Kette um China herum. Fällt Taiwan, würde sich für Peking das Tor zum Pazifik öffnen. Schwer vorstellbar, dass die Weltmacht USA das zulassen würde. (sh)