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#OhioChernobyl: Chinesische Außenamtssprecherin verstört nach Unglück mit giftigen Tweets gegen die USA

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Von: Christiane Kühl

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Luftaufnahme ausgebrannter Chemiewaggons nach dem Zugunfall in Ohio
Ausgebrannte Chemiewaggons Tage nach dem Zugunglück in Ohio: Tschernobyl 2.0? © IMAGO/mpi34

Zehn Tage nach dem Zugunfall mit ausgetretenen Chemikalien in Ohio lästert eine Sprecherin des chinesischen Außenamts über die USA. Das zeigt Pekings Obsession mit Washington

München/Peking – Chinas Wolfskrieger lassen selten eine Gelegenheit aus, bei politischen Krisen in den USA mit einer gewissen Schadenfreude zu reagieren. Ob es um die immer wieder furchtbaren tödlichen Schüsse weißer Polizisten auf Schwarze geht oder um die Versuche von Ex-Präsident Donald Trump, seine Wahlniederlage Ende 2020 als Betrug abzustempeln und den Amtsantritt seines Nachfolgers Joe Biden durch einen Sturm auf das Parlamentsgebäude zu sabotieren: All das waren willkommene Gelegenheiten, vor allem für einige als „Wolfskrieger“ bekannte Sprecher des Außenministeriums, um mit dem Finger auf die ungeliebte Supermacht zu zeigen – und zugleich die Überlegenheit des chinesischen Systems zu demonstrieren.

Eine neue Qualität allerdings ist die Reaktion der Außenamtssprecherin Hua Chunying auf den Chemieunfall im US-Bundesstaat Ohio Anfang Februar. Am 3. Februar war in dem Ort East Palestine ein Güterzug mit 50 Waggons entgleist. Mehrere Tankwagen fingen Feuer. Schnell war klar, dass der Zug giftige Chemikalien an Bord hatte, darunter die krebserregende Chemikalie Vinylchlorid, die in der Plastikherstellung eingesetzt wird. Bilder zeigten eine riesige Rauchwolke. Üblich sind bei Unglücken dieser Art Bekundungen des Mitgefühls. Doch Hua ätzte auf Twitter gleich mehrfach Richtung USA, wenn auch mit einigen Tagen Verspätung.

„Jetzt wissen wir, warum die US-Regierung sich über einen wandernden Ballon aufgeregt hat – um die Menschen von der chemischen Explosion in #OhioChernobyl abzulenken“, twitterte Hua diese Woche mit Bezug auf den von den USA abgeschossenen mutmaßlichen Spionageballon. „Für Washington ist der Ballon offensichtlich viel wichtiger als die Sicherheit und Gesundheit der Amerikaner.“ Ob sie selbst den Hashtag zur Verbindung des Unglücks zur Reaktorkatastrophe 1986 im damals sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl erdachte, ist unklar. In chinesischen Sozialmedien zieht der Vergleich zwischen Ohio und einer der größten Katastrophen der Neuzeit inzwischen jedenfalls weite Kreise. Auch ist die Rede von „Tschernobyl 2.0“.

Chemieunfall in den USA: Interne Kritik an Bahninfrastruktur und Sicherheit

Die lokalen Behörden hatten einen Teil der Fracht gesprengt, um eine unkontrollierte Explosion zu verhindern und die Chemikalien zu neutralisieren. Rund 2000 Bewohner wurden zeitweise evakuiert, Schulen und Geschäfte schlossen. Dann wurden Tausende tote Tiere gefunden. In der Region wächst die Angst vor einer Verseuchung des Wassers und späteren Wirkungen des Vinylchlorid und anderen der ausgetretenen Chemikalien wie dem für die Atemwege gefährlichen Chlorwasserstoff.

In der Tat bietet der Vorfall auch in den USA genug Anlass zur Kritik. Politiker kritisierten den Verfall der Bahninfrastruktur oder Reformen, die zu laxerer Kontrolle und damit weniger Sicherheit im Zugverkehr geführt hatten. Die Tatsache, dass die US-Medien erst nach Tagen überregional über den Vorfall berichteten und sich US-Verkehrsminister Pete Buttigieg erst zehn Tage später öffentlich äußerte, bietet Kritikern ebenfalls eine offene Flanke, über angebliche Geheimhaltung zu raunen. Auch international gab es zunächst nur wenig Berichterstattung; und schon wenige Tage nach dem Unglück stellte das katastrophale Erdbeben in der Türkei und Syrien ohnehin alles andere in den Schatten.

China: Einmischung in innere Angelegenheiten der USA

Doch die Kritik aus China tut in seinen Attacken auf die USA ist etwas, das sich selbst verbittet: Kritik an „inneren Angelegenheiten“ in einem für Diplomaten wenig angemessenen Tonfall. Auch das Parteiorgan Global Times kritisierte in gleich mehreren Berichten immer wieder eine schleppende Reaktion Washingtons auf das Unglück. Am Donnerstag griff dann sogar die chinesische Botschaft bei der EU in Brüssel das Narrativ auf. Aus einer Meldung der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua twitterte die Botschaft Sätze, die Ängste und Probleme betonen, keine Empathie. „Wir sollten wissen, wenn Züge mit Gefahrgut durch den Bundesstaat Ohio fahren“, zitierte sie aus der Meldung den Gouverneur von Ohio, Mike DeVine. Dieser hatte den US-Kongress zu einer besseren Regulierung der Sicherheit im Bahnverkehr aufgefordert.

„Warum twittert die chinesische Vertretung bei der EU über die Zugentgleisung in Ohio?“, kommentierte der China-Experte Noah Barkin von der Denkfabrik Rhodium Group. „Es ist ein schrecklicher Vorfall, der sicherlich auf große Versäumnisse hinweist. Aber sich schadenfroh im Elend anderer zu suhlen, sieht nicht gut aus. Und das wird man in Europa auch so sehen. Sehr merkwürdige öffentliche Diplomatie.“

China griff in den vergangenen Tagen zudem den Bericht des US-Investigativjournalisten Seymour Hersh auf, der die USA auf seinem Blog als Drahtzieher für die Sprengung der Nord Stream-Gaspipelines in der Ostsee sieht. Die USA weisen die Vorwürfe des preisgekrönten, aber auch immer wieder durch falsche Recherchen aufgefallenen Reporters zurück. Auch manche Experten zweifelten den Bericht an. aber China forderte die USA auf, der Welt den Vorfall zu erklären. Auf die Frage, warum die US-Medien nicht auf Hershs Story aufgesprungen seien, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning: „Es beweist, dass sich einige US-Medien nicht um die Wahrheit scheren.“

China besessen von Konkurrenz mit den USA

All das zeigt einmal mehr vor allem die Obsession in Peking mit den zunehmend als Feind angesehenen USA. China gibt den USA die Schuld für Russlands Invasion der Ukraine und wirft Washington eine Eindämmungspolitik gegenüber Peking vor. Nicht ganz falsch ist, dass sich auch in den USA die Haltung zu China immer weiter verhärtet – auch wenn US-Präsident Joe Biden angesichts der Ballon-Affäre gerade versuchte, die Wogen zu glätten: „Wir streben nicht nach einem neuen Kalten Krieg“, sagte Biden am Donnerstag. Er erwarte, mit Chinas Staatschef Xi Jinping über den abgeschossenen Ballon zu sprechen. Der Überflug des chinesischen Ballons im US-Luftraum könne durch einen einfachen Fehler in Verbindung mit schlechten Wetterverhältnissen ausgelöst worden sein, schrieb am Freitag die Washington Post.

Die Ballonaffäre sei ein „Test für die Fähigkeit der USA, Krisen richtig zu managen, und für die Ernsthaftigkeit, die Beziehungen zu China zu stabilisieren“, betonte Huas Kollege, Außenamtssprecher Wang Wenbin, am Freitag. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Wogen rasch wieder glätten. In Ohio wird unterdessen weiter aufgeräumt.

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