Baerbock in Lissabon: Diese Krisen muss die Außenministerin 2023 meistern

Annalena Baerbock reist für ihren ersten Auslandsbesuch im neuen Jahr nach Portugal. Monate voller außenpolitischer Krisen liegen hinter ihr – auch 2023 birgt großes Konfliktpotential.
Lissabon – Der Morgen am Fluss Tejo, wo das Hotel der Delegation der Außenministerin liegt, startet friedlich. Eine rote Sonne geht über der berühmten Hängebrücke Ponte de 25 Abril auf, die oft mit der Golden Gate Bridge in San Francisco verglichen wird. Ein Naturschauspiel, das beinahe vergessen lässt, wie sehr Portugal mittlerweile von der Klimakrise betroffen ist. Hitze und Dürren stellen eine wachsende Bedrohung dar. Vergangenes Jahr verzeichnete das Land erstmals knapp 45 Grad an der Algarve.
Doch nicht nur die Klimakrise treibt Annalena Baerbock (Grüne) nach Portugal. Ihr erstes Jahr als Außenministerin war geprägt durch multiple andere Krisenherde wie Russlands Krieg in der Ukraine, die Demonstrationen in Iran und zuletzt die steigenden Spannungen zwischen Serbien und Kosovo. 2023 dürfte kaum ruhiger werden. Bei ihrer Lissabon-Reise geht es daher neben der internationalen Klimapolitik und Russland auch um den künftigen Umgang mit der Volksrepublik China und kritischen Rohstoffen.
Außenpolitische Herausforderungen 2023: Annalena Baerbock bei erster Auslandsreise in Lissabon
Die Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA begleitete Annalena Baerbock vom 03. auf den 04. Januar nach Portugal. Dort benannte sie während ihrer Rede bei einer Konferenz der Leiter:innen der portugiesischen Auslandsvertretungen und der anschließenden Pressekonferenz mit dem portugiesischen Amtskollegen João Gomes Cravinho außenpolitische Schwergewichte im neuen Jahr.
- Russlands Krieg in der Ukraine: Russlands Invasion der Ukraine wird aller Wahrscheinlichkeit nach das Jahr 2023 dominieren. Es ist ein traditioneller Krieg, wie ihn im 21. Jahrhundert kaum jemand für möglich gehalten hatte. Ein Ende der Kampfhandlungen ist nicht in Sicht. So sagte Baerbock in ihrer Rede bei der portugiesischen Botschafterkonferenz in Lissabon: „Putin hat nur im Sinn, die Ukraine zu zerstören“, – und betonte die weitere Notwendigkeit für Waffenlieferungen an Kiew. In ihrer Rede bei der portugiesischen Botschafterkonferenz rief sie den Westen auf, auch 2023 eng und solidarisch an der Seite der Ukraine zu stehen. „Wenn man in einer Situation des Unrechts neutral bleibt, dann hilft man nicht dem Opfer, sondern steht an der Seite des Unterdrückers“, sagte Baerbock. Der Wunsch nach Frieden 2023 sei groß, doch solange Russland die Ukraine selbst an den Festtagen angreife, sei das ein Angriff auf die Menschlichkeit. Deswegen müsse man, solange es nötig sei, an der Seite der Ukraine stehen.
- Nationale Sicherheitsstrategie: „In den vergangenen Monaten hat sich gezeigt, dass die europäische Sicherheit nicht in Stein gemeißelt ist“, sagte Baerbock in Portugal. Daher entwickelt Deutschland erstmals eine nationale Sicherheitsstrategie, um „nicht die Fehler der Vergangenheit, wie im Umgang mit Russland, zu wiederholen“, so die Ministerin. Die zentralen Punkte der neuen Strategie seien Verteidigung, Energieversorgung, Handel, Cyberabwehr, Kampf gegen die Klimakrise, die globalen Lieferketten, der Schutz der Infrastrukturen und Medikamentensicherheit. „Wenn wir etwa bei den Medikamenten nicht in der Lage sind, unsere Bürger zu versorgen, haben wir offensichtlich ein Problem“, betonte die Grünen-Politikerin.
- Klimakrise: Szenen von Eis und Schnee wie aus dem Film „The Day After Tomorrow“ in Nordamerika und sommerliche Temperaturen zu Neujahr in Europa werfen ein deutliches Schlaglicht auf die Klimakrise. Für Außenministerin Annalena Baerbock ist das Thema seit jeher ein Kernanliegen, und so hat sie die internationale Klimapolitik vom Umweltministerium in ihr Ministerium geholt, wo der Klimaschutz nun eines der Herzstücke der Baerbock-Agenda ist. Die Grünen-Politikerin tritt seither als Deutschlands oberste Verhandlerin bei den UN-Klimakonferenzen – wie zuletzt in Scharm El-Scheich – auf. Weil die COP27 in Ägypten keinen wirklichen Durchbruch bei neuen Klimazielen brachte, richten sich die Augen jetzt auf die anstehende COP28 im Herbst 2023 in Dubai. Das im Pariser Klimaabkommen beschlossene 1,5 Grad-Ziel droht zu scheitern; es kommt jetzt darauf an, wenigstens das Mindestziel von zwei Grad Erderwärmung zu erreichen. Eine größere Erhitzung würde die Lebensbedingungen auf der Erde erheblich verschlechtern. „Die Klimakrise ist eine der größten Sicherheitsrisiken unserer Zeit“, betonte Baerbock daher auch während ihres Aufenthaltes in Lissabon. „Unser Ziel, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, ist wichtiger denn je“, so die Außenministerin.
Annalena Baerbock in Portugal: Diese globalen Herausforderungen werden das Jahr 2023 bestimmen
- Kritische Rohstoffe: Die Lieferung kritischer Rohstoffe stellt laut Baerbock eine große Herausforderung dar. Abhängigkeiten etwa von Ländern wie China sind ein Risiko. Dabei geht es nicht nur um Öl oder Gas für die Energiesicherheit, sondern auch um Mineralien, die für den Hochtechnologiesektor oder die Energiewende gebraucht werden. Lithium etwa, oder Metalle wie Kobalt oder Nickel, dazu die in vielen Elektronik-Komponenten steckenden Seltenen Erden. Solche Rohstoffe sollten künftig in Lagern in größerer Menge vorgehalten werden, heißt es in der Ende 2022 an den Spiegel geleakten China-Strategie des Auswärtigen Amtes. Europa besitzt diese Rohstoffe entweder gar nicht unter eigenem Boden – oder hat den Abbau vor Jahren aufgegeben. Die größten Kobaltvorkommen liegen im riesigen Krisenstaat Kongo. Den Abbau der Seltenen Erden gab die EU vor vielen Jahren aus Kosten- und Umweltgründen auf. Die überwältigende Mehrheit dieser Spezialstoffe werden derzeit in China abgebaut und verarbeitet. Aus einer solchen Abhängigkeit von einzelnen Ländern möchte sich das Außenministerium herauskämpfen – zumal viele der rohstoffreichen Staaten eben genau jene sind, die wenig auf demokratische Werte geben.
- Systemwettstreit: US-Präsident Joe Biden hatte kurz nach Amtsantritt zu einer Konferenz demokratischer Staaten geladen. Seither treiben die USA eine Debatte über die Rivalität der Systeme und Werte voran, an der sich auch die EU und Deutschland zunehmend beteiligen. Vor allem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine legte offen, wie fatal Abhängigkeiten von einem autoritär regierten Staat sind. Über Jahre hinweg hing insbesondere die Bundesrepublik an dem Erdöl- und Erdgastropf des Kreml. Und Chinas Menschenrechtslage zeigt, wie sehr sich Politiker:innen oder Geschäftsleute für gute Gewinne verbiegen müssen. So stellte auch Baerbock in Lissabon klar: „Wir erleben einen Systemwettstreit zwischen denjenigen, die die internationale Ordnung und die internationalen Gesetze erhalten und denen, die diese abschaffen wollen.“
- China: „China ist unser Partner und Rivale zugleich“, sagte Baerbock bei der Pressekonferenz in Lissabon am Mittwoch. „Wir wollen uns nicht abkoppeln, aber wir wollen die Fehler, die wir mit Russland gemacht haben, nicht wiederholen“, so die Grüne. Fakt ist: Der alte für China geltende außenpolitische Ansatz „Wandel durch Handel“ hat sich allerspätestens seit 2022 als falsch erwiesen. Der Handel mit China explodierte, doch der politische Wandel in der Volksrepublik blieb aus. Heute hält Staatschef Xi Jinping zumindest verbal zu Russland. Und auch das chinesische Streben nach dem Status einer globalen Supermacht wird die Weltpolitik 2023 schwieriger machen: Mit wachsendem Selbstbewusstsein nimmt China bei seiner Interessenpolitik immer weniger Rücksichten. Auch werden die Einschüchterungsversuche gegen das demokratisch regierte Taiwan, das Peking für sich beansprucht, immer heftiger. China habe sich in den vergangenen Jahren systematisch vom internationalen Recht und den Regeln für einen fairen Wettbewerb entfernt, sagte Baerbock kurz vor ihrer Reise zum Fachinformationsdienst Table.Media.