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Pia Lamberty: „Wir werden kriegsmüde – aber genau das wird Russland ausnutzen“

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Von: Anna-Katharina Ahnefeld

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Pia Lamberty spricht mit BuzzFeed News über die Querdenker:innen-Bewegung und die Energiekrise in Deutschland.
Pia Lamberty spricht mit BuzzFeed News über die Querdenker:innen-Bewegung und die Energiekrise in Deutschland. © Frederic Kern/imago (Montage)

Ist die Energiekrise für das Querdenker:innen-Milieu eine neue Projektionsfläche? Sozialpsychologin Pia Lamberty erwartet in den kommenden Monaten große rechtsextreme Mobilisierungsversuche.

Der Winter naht – und die Angst vor kalten Wohnungen geht um. Wo Angst gedeiht, sind Feinde der Demokratie bekanntlich nicht weit. Längst ist die Corona-Pandemie in den Hintergrund gerückt. Mit Corona lassen sich keine Massen mehr mobilisieren. Doch andere Krisen stapeln sich dafür: Russland-Ukraine-Krieg, Inflation und Energiekrise bilden den Nährboden für neue Proteste.

Steht die Querdenker:innen-Bewegung deshalb schon in den Startlöchern und könnte bald gegen eine vermeintliche Energie-Diktatur auf die Straße gehen – mit dem Heizthema als neues Protestfeld? Erwartet Deutschland ein eskalativer Winter? Darüber spricht BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA mit der Sozialpsychologin und Autorin Pia Lamberty (38), die zu Verschwörungserzählungen forscht.

Energiekrise in Deutschland: Pia Lamberty zu Querdenker:innen-Milieu und Russland-Ukraine-Krieg

Frau Lamberty, die Corona-Pandemie ist in den Hintergrund gerückt. Deutschland beschäftigt sich mit dem Russland-Ukraine-Krieg und der Energiekrise. Ist das auch das Ende der Querdenker:innen-Proteste?

Nein. Beim verschwörungsideologischen Milieu ging es gar nicht unbedingt um Corona, sondern um ein Weltbild, in dem liberale Demokratien ein Feindbild darstellen. Dementsprechend werden alle Möglichkeiten genutzt, um gegen eine demokratische Gesellschaft zu hetzen. Proteste werden als Möglichkeit gesehen, den Umsturz voranzutreiben.

Haben Sie damit gerechnet, dass sich die Querdenker:innen direkt der nächsten Krise zuwenden?

Vor einem Jahr hatte ich erwartet, dass es bis zur nächsten Krisenlage ruhiger wird. Nun ist es mit den Krisen schneller gegangen, als ich gehofft hatte. Aber gesellschaftliche Probleme verschwinden ja nicht einfach. Sie sind vielleicht mal weniger sichtbar, aber tauchen immer wieder auf, wenn man sie nicht löst. Im Verlauf der Corona-Proteste sind große Netzwerke entstanden, die schnell wieder reaktiviert werden können. Ein großer Unterschied zur Prä-Pandemie.

Wenn wir von Krisen sprechen, muss selbstverständlich der russische Invasionskrieg in der Ukraine genannt werden. Inwiefern hat das Querdenker:innen-Milieu diese Krise vereinnahmt?

Wenn man sich das Milieu in Deutschland anschaut, gab es bereits 2014 bei dem russischen Angriff auf die Ukraine eine starke Vernetzung und Radikalisierung. Dass es eine Vereinnahmung gibt, ist also nicht überraschend. Tatsächlich hätte ich ab Februar 2022 mit mehr Protesten aus dem Milieu gerechnet. Ich war überrascht, als das nicht passiert ist.

Wir erleben bei der Energiekrise die Angst vor Einschränkungen. Eine Parallele zu der Corona-Pandemie. Wie groß ist da das Protestpotential?

Es wird große rechtsextreme Mobilisierungsversuche in den kommenden Monaten geben. Die stehen bereits in den Startlöchern und sehen die Energiekrise als Chance, gegen das System vorzugehen und ihre Agenda auf die Straße zu bringen. Ob das erfolgreich sein wird, ist noch nicht klar und hat damit zu tun, wie die Gesellschaft darauf reagiert. Es wird Vereinnahmungsversuche geben, also Proteste, die nicht von Rechtsextremen initiiert werden, die Rechtsextreme aber versuchen werden zu kapern. Und es wird auch eigene Formate geben.

Über Pia Lamberty

Pia Lamberty (38) ist eine deutsche Sozialpsychologin, die zu Verschwörungserzählungen forscht. Gemeinsam mit Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun (36) veröffentlichte sie bislang die Sachbücher „Fake Facts – Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen (2020)„ und „True Facts – Was gegen Verschwörungserzählungen wirklich hilft“ (2021). Am 30. September 2022 erscheint das dritte gemeinsame Buch „Gefährlicher Glaube: Die radikale Gedankenwelt der Esoterik“. Seit März 2021 ist Lamberty Geschäftsführerin des gemeinnützigen Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Sie arbeitet seit 2016 als Doktorandin in der Abteilung für Sozial- und Rechtspsychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Pia Lamberty.
Die Sozialpsychologin Pia Lamberty ist eine bekannte Expertin für Verschwörungsideologien. Sie erforscht unter anderem, was Menschen dazu bringt, an Verschwörungserzählungen zu glauben. © CeMAS

Es wird große rechtsextreme Mobilisierungsversuche in den kommenden Monaten geben. Die stehen bereits in den Startlöchern und sehen die Energiekrise als Chance, gegen das System vorzugehen und ihre Agenda auf die Straße zu bringen. 

Sozialpsychologin Pia Lamberty

Pia Lamberty: Russland-Ukraine-Krieg verschwindet aus Wahrnehmung – Unsicherheiten bei Energiekrise

Heizen könnte also das neue Impfen als Konfliktthema werden. Wird künftig gegen eine „Energie-Diktatur“ protestiert?

Das halte ich für sehr wahrscheinlich. Dieses Milieu greift gesellschaftliche Fragen und Ängste auf und deutet sie um. Rechtsextreme wittern hier eine große Chance für ihre eigene Propaganda. Als Gesellschaft, aber auch als Politik, gibt es Möglichkeiten, einer rechtsextremen Thematik etwas entgegenzusetzen. Die Menschen müssen mit ihren realen Sorgen gehört werden, denn die Teuerungen erleben wir ja alle. Die Angst vor Nachzahlungen, die Angst, wie der Winter wird, betrifft insbesondere Menschen mit niedrigem Einkommen stark. Es ist also wichtig, die soziale Gerechtigkeit in den Fokus zu rücken und Räume für einen demokratischen Diskurs zu schaffen. Natürlich kann man jetzt noch gar nicht sagen, was passiert und wie eskalativ der Winter wird. Dass es diese Versuche geben wird, ist jedoch sehr sicher.

Die Energiekrise ist ja bedingt durch den Russland-Ukraine-Krieg. Ist das Mobilisierungspotential besonders hoch, wenn Menschen selbst betroffen sind und Einschränkungen erleben? Eine kalte Wohnung spürt man in Deutschland natürlich viel unmittelbarer als einen Raketeneinschlag in der Ukraine.

Der Ukraine-Krieg verschwindet stärker aus der öffentlichen Wahrnehmung. Wir werden sozusagen „kriegsmüde“ – ich hasse dieses Wort – aber genau das wird Russland ausnutzen. Russische Desinformationskampagnen zielen bereits jetzt darauf ab, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland zu untergraben und die Solidarität mit der Ukraine zu schmälern. Das Ziel: weniger Waffenlieferungen und Sanktionen lockern, damit die EU, die USA und Nato-Staaten ins Wanken geraten. Dementsprechend wird versucht, die Stimmung, gerade auch angesichts Unsicherheiten bezüglich der Energiekrise, anzuheizen. Ich befürchte eine Diskursverschiebung in Richtung: Warum sollen wir auf Nord Stream 2 verzichten und im Kalten sitzen, während die Ukraine so und so viel Geld bekommt?

Gerade ist die Lage noch so, dass außer bei AfD-Wählern eine Mehrheit für Sanktionen und die Unterstützung der Ukraine ist, auch wenn das mit finanziellen Belastungen einhergeht. Aber dagegen wird eben aktiv gearbeitet. Wir sehen eine Melange von Kräften aus dem Inneren und Äußeren, die daran arbeiten, diesen Vorgang zu beschleunigen. Das Protestgeschehen rund um die Energiekrise darf also nicht nur auf einer nationalen oder lokalen Ebene betrachtet werden, sondern muss im geopolitischen Kontext verstanden werden.

Wen meinen Sie mit inneren und äußeren Kräften?

Zum einen hat man rechtsextreme Verschwörungsideologen, die genau diese Hetze gegen die Ukraine betreiben und für Solidarität mit Russland werben. Zum anderen hat man die äußere Bedrohung durch russische Desinformationskampagnen. Das ist eine Wechselwirkung. Der von Russland gegründete Auslandsfernsehsender RT wurde in der EU sanktioniert – und was ist geschehen? Ehemalige RT-Mitarbeiter sind jetzt beispielsweise beim Putin-treuen Youtube-Kanal InfraRot beschäftigt.

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Russland im Querdenker:innen-Milieu verharmlost – Eskalationspotential der Energiekrise

Wie kann man Alina Lipp in diesem Zusammenhang bewerten?

Einzelpersonen nehmen eine immer größere Rolle in russischen Desinformationskampagnen ein. Alina Lipp teilt russische Propaganda, reist nach Russland, sitzt dort in Talkshows und verbreitet Falsch-Informationen über die Situation in Deutschland. Das Problem ist: Einzelpersonen lassen sich schwerer sanktionieren, weil die Finanzströme nicht so einfach nachweisbar sind. Diese Gemengelage trifft gerade bei Menschen aus dem verschwörungsideologischen Milieu auf offene Ohren, weil es das Weltbild ist, das diese Menschen haben: Die Nato ist böse und die Amerikaner wollen uns nur Böses. Russland wird verharmlost und romantisiert.

Warum wird denn ausgerechnet Russland so verharmlost?

Wir beobachten im Querdenker-Milieu einen verklärten Blick auf Russland, auch im Sinne von: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Man ist gegen die Nato, gegen die USA, schlägt sich deswegen auf die Seite Russlands und sieht eine Dämonisierung Wladimir Putins. Russland symbolisiert für diese Menschen traditionelle Werte und starke Männlichkeits-Figuren.

Wie konkret könnte die Politik auf das von Ihnen beschriebene Eskalations-Potential der Energie-Krise im Kontext des Russland-Ukraine-Krieges im Herbst und Winter reagieren?

Wir sind in der Krise und die Antwort darauf können nicht Verschwörungserzählungen sein. Solidarität ist in der Pandemie leider sehr oft untergegangen. Wir müssen Lehren aus der Corona-Krise ziehen. Proteste sind nur dann problematisch, wenn sie zur Projektionsfläche von Rechtsextremen werden. Dem muss man etwas entgegensetzen. Es ist wichtig, dass sich Politik und Zivilgesellschaft damit auseinandersetzen, was uns im Herbst erwartet und wie wir Menschen unterstützen können, die noch härter von diesen ganzen Preissteigerungen betroffen sind.

Erwarten Sie auch dezentrale Proteste, wie wir sie im letzten Herbst und Winter gesehen haben?

Ja, das befürchte ich. Diese bedeuten weniger Planung und führen schnell zu einer Überforderung von Gesellschaft und Sicherheitsbehörden. Im lokalen und kommunalen Raum muss mögliches Mobilisierungspotential entdeckt und darauf reagiert werden. Die Politik sollte sich außerdem damit auseinandersetzen, was in bestimmten Gegenden spezielle Herausforderungen sind, etwa auch angesichts der Unterschiede zwischen östlichen und westlichen Bundesländern. Wir müssen uns darauf vorzubereiten, dass es Herausforderungen geben wird und überlegen, was demokratische Antworten sein können.

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