Iran-Proteste: ISW sieht Situation auf Messers Schneide – Video zeigt Frauen-Demo an Uni
Seit sechs Wochen protestieren die Menschen im Iran. Frauen, Männer und Kinder gehen auf die Straßen, um für ihre Freiheiten zu kämpfen. Viele bezahlen mit dem Tod.
- Revolutionsgarden im Iran: Außenministerin Baerbock stellt Einstufung als Terrororganisation in den Raum
- Iranische Polizei: Drohnen-Einsatz für Kontrolle der Demonstranten
- Nach dem Tod von Mahsa Amini: Proteste im Iran gehen in die siebte Woche
- Dieser News-Ticker zu den Protesten im Iran ist beendet. Hier gibt es die neuesten Entwicklungen.
Update vom 31. Oktober, 16.10: Im Iran gehen die systemkritischen Proteste in die siebte Woche. Seit Beginn der Demonstrationen wurden laut der Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights mindestens 215 Menschen durch brutales Vorgehen der Sicherheitskräfte getötet – unter den Todesopfern waren demnach 27 Kinder. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verurteilte am Montag das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte im Iran gegen Demonstranten und stellte weitere EU-Sanktionen in Aussicht. „Es bestürzt mich, dass bei den Protesten im Iran friedlich demonstrierende Menschen ums Leben kommen“, schrieb Scholz auf Twitter. „Wir verurteilen die unverhältnismäßige Gewalt der Sicherheitskräfte und stehen den Menschen im Iran bei.“
Experten der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) gehen indes davon aus, dass das Regime im Iran sein Vorgehen gegen die Proteste weiter intensivieren wird. Dies werde entweder dazu führen, dass die Demonstranten ihre Proteste beenden oder es werde „einen anhaltenden und zunehmend gewalttätigen Aufstand gegen das politische Establishment anheizen“, hieß es in einem ISW-Bericht vom Sonntag. Offenbar bauen die Protestierenden bereits eine Infrastruktur auf, die für einen langwierigen Kampf gegen das Regime erforderlich wäre - etwa ein Netzwerk zur Versorgung und Koordination.
Befehlshaber ruft zum sofortigen Ende der Proteste auf, doch Demonstrationen gehen weiter
Obwohl der Befehlshaber der Islamischen Revolutionsgarden, Generalmajor Hossein Salami, zu einem sofortigen Ende der Aufstände aufgerufen hatte, gingen die Proteste dem ISW-Bericht zufolge offenbar weiter. Auch ein von der Iran-Expertin Natalie Amiri geteiltes Video zeigt eine große Menschenmenge, die offenbar am Montag in Teheran auf die Straße ging. Protestorganisationen mobilisierten zudem laut ISW-Bericht zu weiteren Demonstrationen vom 1. bis 3. November.
Arte-Journalist am Freitag in der iranischen Region Kurdistan festgenommen
Der iranische Journalist Vahid Shamsoddinnezhad, der für die Produktionsfirma Keyi Productions im Auftrag von ARTE über die Ereignisse in seinem Land berichten sollte, wurde am 28. September in Saqqez, einer Stadt in der iranischen Region Kurdistan, festgenommen. Seit Montag befindet er sich nach Angaben Artes in Teheran in Haft. Es sei ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden.
Außenministerin Baerbock hält Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation für möglich
Update vom 30. Oktober, 20.02 Uhr: Außenministerin Annalena Baerbock hält wegen des harten Vorgehens der iranischen Behörden gegen die dortige Protestbewegung eine mögliche Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation für möglich. In der vergangenen Woche habe Baerbock deutlich gemacht, dass die Sanktionen ausgebaut werden.
Baerbock sagte in einem am Sonntag ausgestrahlten Interview der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“, „dass wir ein weiteres Sanktionspaket auf den Weg bringen werden, dass wir prüfen werden, wie wir die Revolutionsgarden auch als Terrororganisation listen können“. Die USA haben die iranische Revolutionsgarde (IRGC) unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump bereits als Terrororganisation eingestuft. Auf einer entsprechenden Liste der Europäischen Union steht die Organisation allerdings noch nicht.
Die Einstufung würde es den EU-Staaten etwa ermöglichen, in der EU vorhandene Vermögenswerte der Organisation einzufrieren. Die EU bereitet nach früheren Angaben Baerbocks derzeit weitere Strafmaßnahmen gegen den Iran vor. Die IRGC ist im Iran die Eliteeinheit der Streitkräfte und wichtiger als die klassische Armee. Sie unterstehen direkt dem obersten Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei. Die Einheit hat politischen und wirtschaftlichen Einfluss im Land.
Iran-Demonstrationen: Polizei setzt Drohnen für Kontrolle der Proteste ein
Erstmeldung vom 30. Oktober: München/Teheran — Dutzende Bilder und Videos aus dem Iran gehen durch die Welt. Sie zeigen die Proteste gegen die autoritäre Führung des islamischen Landes und die Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Sie machen auch deutlich, wie brutal das Regime gegen die Aktivisten vorgeht. Hunderte Menschen sind bereits gestorben und die Revolutionsgarde droht den Demonstranten immer schärfer. Zusätzlich soll die iranische Polizei Drohnen einsetzen, um die Proteste besser kontrollieren zu können.
Revolutionsgarde droht den Demonstrierenden — „Letzte Tag der Unruhen“
Im Iran gehen immer noch Tausende Menschen auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Doch der Ton der Revolutionsgarde wird immer schärfer. Am Samstag hatte der Kommandeur der Revolutionsgarden (IRGC), Hussein Salami, in einer Rede ein Ende der Demonstrationen verlangt. „Die Demonstranten sollten die Geduld des Systems nicht überstrapazieren“, warnte der General nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Irna.

„Heute ist der letzte Tag der Unruhen. Kommt nicht mehr auf die Straßen“, sagte Salami. Niemand werde den Demonstranten erlauben, weiter Unsicherheit zu stiften und die Universitäten des Landes in ein „Schlachtfeld“ zu verwandeln. Beobachter werteten die Rede des IRGC-Kommandeurs Salami als letzte Mahnung, die Proteste zu beenden. Befürchtet wird, dass demnächst auch das Militär und die Revolutionsgarden gegen Demonstranten eingesetzt werden.
Iranische Polizei — Drohneneinsatz für Kontrolle der Demonstrationen
Von den Worten hatten sich die Demonstrierende nicht abhalten lassen und führten die Protestaktionen in vielen Teilen des Landes weiter fort. Wie auch in den letzten Wochen gingen die Sicherheitskräfte gewaltsam gegen die Aktivisten vor. Zudem berichteten iranische Medien, dass die iranische Polizei Drohnen einsetzen soll, um die systemkritischen Proteste zu kontrollieren. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Tasnim - die als Sprachrohr der iranischen Revolutionsgarden gilt - sollen die Drohnen besonders den Spezialeinheiten dabei helfen, das Geschehen effektiver zu beobachten.
Daneben sollen die Drohnen auch selbst gebastelte Bomben von Demonstranten ausfindig machen. Um welche Drohnen es sich bei den Polizeieinsätzen handelt, ließ Tasnim offen. Die Polizei und Sicherheitskräfte behaupten, dass die Demonstranten vermehrt mit Molotowcocktails öffentliche Einrichtungen in Brand setzen. Auch seien einige von ihnen bewaffnet und hätten in den vergangenen Wochen mindestens 27 Sicherheitskräfte getötet. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Beobachter sehen Gewaltbereitschaft aufseiten der Demonstranten jedoch als eine Reaktion auf das brutale Vorgehen der Polizei.
Nach dem Tod von Mahsa Amini — Proteste im Iran gehen in die siebte Woche
Auslöser der Proteste war der Tod 22-jährigen iranischen Kurdin Mahsa Amini. Die Sittenpolizei hatte sie festgenommen, weil sie gegen die islamischen Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll. Die junge Frau starb in Polizeigewahrsam. Seit sechs Wochen hört man aus vielen Städten die Rufe „Frauen, Leben, Freiheit“. Auch in Deutschland und anderen europäischen Städten gehen die Menschen auf die Straße und zeigen sich mit der iranischen Bevölkerung solidarisch. Seit Mitte September sind laut Angaben von Menschenrechtsorganisation mindestens 250 Menschen getötet worden und mehr als 10.000 verhaftet worden.
Des Weiteren ist das Internet im Iran weiterhin eingeschränkt. Viele soziale Netzwerke sind gesperrt, um Absprachen zwischen Demonstranten zu erschweren. Die Führung in Teheran macht „Feinde“ des Landes - allen voran die USA und Israel - für die Unruhen verantwortlich. Die Forderung der Bürger nach mehr Freiheit wurde bislang als ausländische Verschwörung bezeichnet - und ignoriert. (vk/dpa)