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Gorbatschows Tod: Der Westen trauert in Dankbarkeit – und Putins Vertraute versuchen einen Spagat

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Von: Victoria Krumbeck

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Michail Gorbatschow ist tot. Dem Westen bleibt er als Vater der Wiedervereinigung in Erinnerung - im eigenen Land als Verursacher des Zusammenbruchs der Sowjetunion.

München - Am Dienstagabend erreichte die Meldung von Michails Gorbatschows Tod die Welt. Der letzte Staatschef der Sowjetunion verstarb im Alter von 91 Jahren in einem Moskauer Krankenhaus. Noch sind Fragen offen: Gerüchten zufolge litt Gorbatschow an einer Nierenerkrankung, eine offizielle Bestätigung fehlt jedoch.

Einen Platz in den Geschichtsbüchern hat der Politiker aber sicher. Im westlichen Ausland war und ist Gorbatschow dabei hoch angesehen. In Russland wurde sein Wirken oft auf den Zusammenbruch der Sowjetunion reduziert. Ein Dauerthema auch für Wladimir Putin. Auch russische Politiker äußerten sich am Mittwoch zu Gorbatschows Tod.

Michail Gorbatschow - Im Westen geliebt und im Osten geächtet

Keinen Streit über Gorbatschows Rolle gibt es in Deutschland: „Gorbi“ nannten ihn die Deutschen in den Nachwendejahren anerkennungsvoll; viele bezeichneten ihn als „Vater“ der Einheit. Mit seiner Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) leitete er in Russland Reformprozesse ein. Der Prozess breitete sich in anderen Sowjetstaaten aus. Schließlich brach die Sowjetunion zusammen – der Kalte Krieg war beendet, die Beziehungen zwischen dem Westen und den Ländern des Ostblocks entspannten sich.

Michail Gorbatschow ist Tod. Im Westen trauern die Staatschefs. Putin kondolierte den Angehörigen, doch der Zerfall der Sowjetunion ist nicht vergessen.
Michail Gorbatschow starb in Moskau im Alter von 91 Jahren. © Maksim Blinov/IMAGO

Im Westen gefeiert, im Osten verpönt? Eine einfache Zusammenfassung der Resonanz auf Gorbatschows Politik, aber wohl keine ganz falsche. „Er wird in die Geschichte als ein Mann eingehen, der eine historische Transformation zum Wohle der Menschheit eingeleitet hat“, sagte der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger der BBC „Newsnight“. Die Menschen in Europa schuldeten Michail Gorbatschow „große Dankbarkeit“.

„Michail Gorbatschow hat auch mein Leben grundlegend verändert“, sagte nun auch Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die selbst in der DDR aufwuchs. „Er hat vorgelebt, wie ein einzelner Staatsmann die Welt zum Guten verändern kann“, so Merkel. Auch andere Politiker und Politikerinnen äußerten sich zum Tod Gorbatschows.

Nach dem Tod von Michail Gorbatschow - Putin reagiert

Russlands Präsident Wladimir Putin drückte den Angehörigen sein Beileid auf Telegram aus. Seine Kondolenz fiel aber eher zwiespältig aus: „Michail Gorbatschow war ein Politiker und Staatsmann, der gewaltigen Einfluss auf den Lauf der Weltgeschichte ausgeübt hat“, so Putin.

Gorbatschow habe das Land zu einer Zeit „dramatischer Veränderungen“ geführt, hieß es in einem Schreiben aus dem Kreml. „Besonders betonen möchte ich die große humanitäre, wohltätige und aufklärerische Tätigkeit, die Michail Sergejewitsch Gorbatschow all die letzten Jahre ausübte“, lautete es im Statement weiter.  Offen blieb zunächst, ob Russland dem früheren Sowjet-Präsidenten ein Staatsbegräbnis ausrichten wird.

Doch Putin konnte auch anders. Zu Lebzeiten kritisierte er Gorbatschow für den Zerfall der Sowjetunion. „Der Zusammenbruch der UdSSR war die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Für das russische Volk ist das zu einem echten Drama geworden“, sagte Putin noch vergangenes Jahr anlässlich des 30. Jahrestages des Zusammenbruchs der Sowjetunion.

Russlands Präsident Wladimir Purin sprach den Angehörigen von Gorbatschow sein Beileid aus. Den Zerfall der Sowjetunion beschrieb er als „Katastrophe“.
Für Wladimir Putin war der Zerfall der Sowjetunion eine „Katastrophe“. © Mikhail Klimentyev/IMAGO

Der Vorsitzende der rechtsextremen Liberaldemokratischen Partei (LDPR), Leonid Sluzki, schrieb: „Man kann Gorbatschow aus christlicher Sicht bedauern.“ Der Zusammenbruch der Sowjetunion „begann jedoch in der Ära der Perestroika und des neuen Denkens und spielte denen in die Hände, die versuchten, die Sowjetunion von der politischen Weltkarte auszulöschen“, erklärte der Außenpolitiker Sluzki nach Angaben der russischen Staatsagentur Tass auf Telegram.

„Gorbatschow war zweifellos der auffälligste Politiker seiner Zeit. Dennoch bleibt er für jeden, der in der Sowjetunion geboren wurde, eine komplexe und widersprüchliche historische Figur“, sagte der LDPR-Vorsitzende weiter. Damit könnte er durchaus im Sinne der Kreml-Propaganda gesprochen haben. Sluzki steht ohnehin fest hinter dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Tod von Michail Gorbatschow: Russlands Politiker zwischen Kritik und Anerkennung

Der Tod Gorbatschows stelle eine „Tragödie für das Land“ dar, schrieb unterdessen der stellvertretende Sprecher des Föderationsrates, Konstantin Kossatschow auf seinem Telegram-Kanal. Es sei auch alle Tragödie „für alle unter uns, deren Leben sich mit seiner Hilfe zum Besseren verändert hat“. Kossatschow fügte einordnend hinzu: „Zum Besseren – trotz des Untergangs der Sowjetunion und der großen Not seiner ehemaligen Landsleute.“ Auch er steht auf westlichen Sanktionslisten.

Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis verurteilt Gorbatschow scharf. „Die Litauer werden Gorbatschow nicht verherrlichen. Wir werden nie die simple Tatsache vergessen, dass seine Armee Zivilisten ermordete, um die Besetzung unseres Landes durch sein Regime zu verlängern“, schrieb er am Mittwoch auf Twitter. In der Nacht zum 13. Januar 1991 waren im Freiheitskampf der damaligen abtrünnigen Sowjetrepublik 14 Zivilisten getötet und Hunderte verletzt worden. Sie versuchten den Fernsehturm in Vilnius vor der Erstürmung durch sowjetische Spezialeinheiten zu schützen.

„Seine Soldaten schossen auf unsere unbewaffneten Demonstranten und zermalmten sie unter seinen Panzern. So werden wir ihn in Erinnerung behalten.“ Der litauische Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas bezeichnete Gorbatschow auf Facebook als „Verbrecher“, der keine Reue gezeigt habe.

Kremlkritiker würdigen verstorbenen Gorbatschow

Derweil zollten russische Regierungskritiker dem verstorbenen Gorbatschow Respekt. Der Journalist und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow hatte Gorbatschow als Mann des Friedens gewürdigt. Ihm seien Menschenrechte wichtiger als die Belange des Staates gewesen, schrieb der Chefredakteur der unabhängigen russischen Tageszeitung Nowaja Gaseta in einem am Mittwoch auf deren Website veröffentlichten Text.

Der inhaftierte russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny würdigte den Politiker, insbesondere für seinen „friedlichen Abschied von der Macht“. „Er ist friedlich und freiwillig zurückgetreten und hat den Willen seiner Wähler respektiert“, schrieb der Kremlkritiker auf Twitter über Gorbatschow. Das allein sei nach den Maßstäben der ehemaligen Sowjetunion „eine große Leistung“.

Gorbatschow war als Sohn einer Bauernfamilie geboren worden. Er studierte in Moskau von 1950 bis 1955 Jura und durchlief ein Diplomstudium als Agraringenieur. Politische Karriere machte er in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). Mit 54 Jahren - im Jahr 1985 - gelang ihm der Aufstieg zum Generalsekretär der KPdSU. Ein paar Jahre später, 1988, wurde er schließlich der Präsident der Sowjetunion. Für seine Bemühungen erhielt Gorbatschow 1990 den Friedensnobelpreis. Er brachte vielen Menschen die Freiheit. (vk)

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