1. BuzzFeed
  2. Politik

Neue Block-Konfrontation: Lawrow träumt von Anti-West-Allianzen – aber wollen das die Partner?

Erstellt:

Von: Bedrettin Bölükbasi, Andreas Schmid

Kommentare

Sergej Lawrow und Wladimir Putin beim „Russland-Afrika-Gipfel“ (Archivbild).
Sergej Lawrow und Wladimir Putin beim „Russland-Afrika-Gipfel“. Der Kreml schielt aber nicht nur auf die Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten. (Archivbild). © Gavriil Grigorov/TASS Host Photo Agency

Großspurig verkündet der Kreml, „zwei Dutzend“ Länder wollen sich zu Russland orientieren. Wie realistisch ist das Vergrößern einer Anti-West-Allianz?

Moskau – Eigentlich war das Votum eindeutig. 141 Staaten forderten vergangene Woche in der UN-Resolution eine Friedenslösung im Ukraine-Krieg und einen russischen Truppenabzug. Sieben Staaten votierten inklusive Russland gegen den Text, 32 enthielten sich. Trotz alledem sieht sich Russland international keineswegs isoliert. Außenminister Sergej Lawrow träumt offen von einer neuen, starken Allianz. Unter Russlands Führung gegen den Westen. „Zwei Dutzend“ Länder würde sich dafür schon in Moskau bewerben. Doch wie konkret ist das alles? Schafft Russland gerade ein Gegengewicht zur Nato? Oder steckt hinter den Ankündigungen vor allem heiße Luft?

Lawrow träumt von neuen Partnern: Interessenten „dramatisch gestiegen“

Russland ist bereits in zwei internationalen Bündnissen aktiv. Den BRICS-Staaten geht es vor allem um wirtschaftliche Zusammenarbeit. Mit an Board sind die beiden (faktischen) Atommächte Indien und China. Beide kooperieren mit Russland auch in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), in der auch mehrere ehemalige Sowjetsaaten aktiv sind. Die Gruppe der acht Staaten unter Führung Chinas und Russlands hat sich Sicherheit und Zusammenarbeit auf die Fahnen geschrieben und will eine Alternative zu der aus ihrer Sicht westlich dominierten Weltordnung schaffen.

Geht es nach Lawrow, könnten beide Staatenbündnisse in Zukunft wachsen. So sei die Zahl der Länder, die BRICS und SCO beitreten wollen, „dramatisch gestiegen“, zitierte ihn die russische Nachrichtenagentur Tass.

Diese Länder sollen laut Lawrow Interesse an einem Russland-Bündnis haben

Lawrow betonte, dass es sich um Länder handle, die „in ihren Regionen eine wirklich wichtige Rolle spielen“. Konkret nannte der Putin-Minister Ägypten, die Türkei, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Indonesien, Argentinien, Mexiko sowie „eine Reihe afrikanischer Staaten“ und meinte: „Allein die Aufzählung der Namen zeigt, dass die Versuche [des Westens], unser Land zu isolieren, gescheitert sind.“ Aber stehen diese Länder wirklich an Russlands Seite?

Vorweg: Sämtliche von Lawrow genannten Staaten stimmten in der UN-Resolution gegen Russland. Für Russland votierten nur die üblichen Partner Belarus, Eritrea, Mali, Nicaragua, Nordkorea, Syrien.

Insgesamt sind bei Lawrows-Kandidaten durchaus ein paar Annäherungen gen Moskau zu beobachten. So kritisierte Mexikos Präsident Lopez Obrador die Ukraine-Politik der Nato. Der Krieg würde Eigeninteressen der Großmächte dienen. Argentinien plante vor Kriegsbeginn eine engere Kooperation mit Russland. Präsident Alberto Fernandez verurteilte dann jedoch die Invasion und bot Wolodymyr Selenskyj im Sommer Unterstützung bei der Friedensfindung an.

Indonesien wiederum ist zwiegespalten. Das nach Bevölkerung viertgrößte Land der Erde ist abhängig von in der Ukraine und in Russland produzierten Düngemitteln sowie Agrarprodukten wie Weizen und spürt die Auswirkungen des Krieges. „Das Leben von Hunderten von Millionen, sogar Milliarden Menschen ist betroffen“, sagte Indonesiens Präsident Joko Widodo vergangenes Jahr bei einem Besuch in Moskau. Zuvor war er nach Kiew gereist, was Beobachter als subtile Unterstützung der Ukraine werteten. Beim G20-Gipfel schließlich widersetzte sich Indonesien jedoch dem öffentlichen Druck des Westens, Russland auszuladen.

Indonesiens Präsident Joko Widodo zu Gast in Moskau und Kiew.
Händeschütteln mit den Kriegsparteien: Indonesiens Präsident Joko Widodo zu Gast in Moskau und Kiew. © Itar-Tass/Ukrinform/Imago (Montage)

Ägyptens neuer Kurs in Richtung Russland - inklusive „intensiver Militärkooperation“

Ägypten ist nach Indonesien der größte Weizenimporteur und auch in anderen Bereichen sind die Afrikaner stark abhängig von Russland. Die Stiftung Wissenschaft und Politik erklärt dazu: „Vor allem hat Kairo in den letzten Jahren eine intensive Militärkooperation mit Moskau aufgebaut. Allein zwischen 2014 und 2020 wurden russische Rüstungsgüter im Wert von über 3,2 Milliarden US-Dollar importiert.“ Unter Neu-Präsident Sisi habe sich die ägyptische Außenpolitik endgültig gewandelt. „Mit dieser Neuorientierung wurde die starke Westbindung des Landes beendet, die prägend für die 30-jährige Mubarak-Ära war.“

Warum aber stimmte Ägypten dann bei den Vereinten Nationen mehrmals gegen Russland? „Das Votum lässt sich mit den wirtschaftlichen Abhängigkeiten vom Westen erklären“, schreibt das SWP. „Das hochverschuldete Land braucht ein neues Abkommen mit dem IWF und hierfür die Unterstützung der Europäer und der USA.“ Der Kreml könnte darauf setzen, dass auch andere Länder aus Eigeninteresse gegen Russland stimmten – eigentlich aber offen für Kooperation sind.

Mehrere afrikanische Staaten enthielten sich bei der jüngsten UN-Abstimmung, etwa BRICS-Staat Südafrika oder Mali, wo Russland militärisch aktiv ist. In den vergangenen Jahren suchte Russland vermehrt den Anschluss an afrikanische Staaten. Die CDU/CSU-Fraktion erkennt bereits eine „zunehmende russische Unterstützung für oftmals autokratischer Regime in Afrika“ und will das Thema am Freitag (3. März) im Bundestag behandeln.

Ölreiche Partner: Russische Beziehungen an den Golf

Die VAE sowie Saudi-Arabien pflegen – wie andere Golfstaaten auch – gute Beziehungen zu den USA und Russland. Im Ukraine-Krieg geraten sie so schnell zwischen die Fronten. Dabei geht es um Sicherheitspolitik sowie um wirtschaftliche Interessen. Beide Länder leben von ihren Ölreserven. Womöglich agieren sie deshalb eher zurückhaltend, wenn sich etwa die VAE im Sicherheitsrat enthalten. Die Beziehungen zu Russland innerhalb der OPEC sollen nicht gefährdet werden.

Laut den Wissenschaftlern des SWP sind sich Riad und Abu Dhabi ihrer sicherheitspolitischen und militärischen Abhängigkeit bewusst. „Sie werden aber weiter Zurückhaltung üben, bis Washington Zugeständnisse macht. Aber auch dann wird ihr Interesse an möglichst guten Beziehungen zu Russland nicht schwinden.“

Experte zu Russland-Türkei-Beziehungen: Mitgliedschaft „nicht gerade realisitsch“

Bleibt noch die Türkei, deren Nennung in Lawrows Liste besonders brisant ist. Schließlich ist das Land Mitglied der Nato. Im Ukraine-Krieg trat die Türkei als Vermittler auf. So handelte Präsident Recep Tayyip Erdogan unter anderem das Getreideabkommen aus. Das Land ist allein geografisch in der Schwarz­meer­re­gion bedeutend und pflegt enge Beziehungen zur Ukraine und zu Russland. Der türkische Russland-Experte Kerim Has hält eine Mitgliedschaft der Türkei bei der SCO oder bei BRICS jedoch für unwahrscheinlich. „Das ist nicht gerade ernst und realistisch, zumindest für den Augeblick“, erklärt der Experte IPPEN.MEDIA

Die Nato-Mitgliedschaft der Türkei sei „aus technischer Sicht die wichtigste Hürde“ vor einem Beitritt bei der SCO. Auch wenn die Opposition bei der Türkei-Wahl 2023 gegen Erdogan triumphieren sollte, sei ein konkreter Schritt für eine Mitgliedschaft unwahrscheinlich, so Has. Schließlich würde eine Mitgliedschaft der Türkei in der SCO nicht nur das Land selbst, sondern auch das Umfeld, das türkische Hinterland sowie regionale und transatlantische Beziehungen direkt beeinflussen. Daher glaube er nicht, dass weder Erdogan noch die Opposition diesen „wichtigen und kritischen Schritt“ gehen könnten oder würden, betont der Russland-Experte.

Auch bei BRICS erwartet Has zumindest unter den aktuellen Umständen keine Mitgliedschaft der Türkei. Dies begründet er dabei primär mit der prekären Wirtschaft des Landes. BRICS sei nicht direkt eine internationale Organisation im Sinne der SCO, sondern lediglich eine Art Plattform mit Fokus auf wirtschaftliche Zusammenarbeit. „Die Türkei würde eine Mitgliedschaft bei BRICS wahrscheinlich wollen, besonders unter diesen schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen“, erklärt er.

Auch Russland würde das begrüßen, findet der Experte. Allerdings: Has zufolge ist für die türkische Wirtschaft kurzfristig keine Besserung in Sicht, was die BRICS-Staaten zusätzlich belasten würde, statt sie zu entlasten, sollte das Land der Gruppe beitreten. Daher sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass die BRICS-Staaten außer Russland einen Beitritt der Türkei positiv betrachten würden. „Ich denke, der Ball liegt bei BRICS“, unterstreicht Has gegenüber unserer Redaktion. Insgesamt scheinen Russlands großspurige Töne von neuen Partnern aber erst einmal nur theoreitscher Natur. (as/bb)

Auch interessant

Kommentare