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„Ausländerquote“ bei Union Berlin? Schwere Diskriminierungs-Vorwürfe gegen Bundesligisten

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Werden Jugendspieler mit Migrationshintergrund bei Union Berlin aussortiert? Zahlreiche Kinder und Eltern machen dem Verein Vorwürfe. © imago sportfotodienst

Zahlreiche Jugendliche und deren Eltern werfen dem 1. FC Union Berlin vor, minderjährige Spieler schlecht zu behandeln und vor allem Kinder mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund zu benachteiligen. Das zeigen monatelange Recherchen von BuzzFeed News Deutschland und der Märkischen Allgemeinen Zeitung.

Von Laurenz Schreiner und David Joram

Zuerst kommt der Beton, grau und hässlich. Dann tritt Kida Khodr Ramadan ins Bild, der berühmte Schauspieler aus Berlin, bekannt aus der Serie „4 Blocks“, mit Goldkette und weißen Sneakers. „Auf der Straße herrscht ein Gesetz“, sagt er. „Die Familie ist alles.“ Ramadan erzählt weiter: „Ich kenne so eine Familie. Ihr Einfluss reicht von Kreuzberg bis nach Köpenick. Man nennt sie die Eisernen.“ 

Das ist viel Pathos für ein Imagevideo, aber Ramadan, passend gekleidet im rot-weißen Trainingsanzug, dreht ja auch für den 1. FC Union Berlin, den berühmten Fußballverein aus dem Berliner Stadtteil Köpenick. „Gemeinsam tragen wir die Werte in jeden Kiez. Und wenn mich mal wieder Kids auf der Straße ansprechen, weil sie Teil der Familie werden wollen, dann sage ich: Geh zu Union. Die sind eisern!” 

Das Video mit Ramadan erscheint am 17. September 2020 auf Youtube. Elf Tage vorher landet im anonymen Postfach des Berliner Fußball-Verbands eine Nachricht, die auf gewaltige Risse in der Union-Familie hindeutet. Absender sind Eltern von Jungen, die bis vor Kurzem in der Jugendabteilung des Fußball-Bundesligisten 1. FC Union Berlin gespielt haben. Sie wundern sich über die hohe Zahl an Spielern mit Migrationshintergrund, die den Verein verlassen mussten, „darunter waren sogar Spieler, die eine Saison zuvor als Talent geholt bzw. mit Förderverträgen ausgezeichnet wurden.“ Insgesamt nennen die Verfasser Namen von 19 Spielern aus den Jahrgängen 2003 und 2004, die angeblich aussortiert wurden. 

Die Verfasser fragen: „Waren die vorherigen sportlichen Verantwortlichen so inkompetent und haben diese untalentierten Spieler als Talente zu Union Berlin geholt  oder hat der neue Sportliche Leiter Andre Hofschneider die „Ausländerquote“ durchgesetzt, so dass in den Nachwuchsmannschaften wieder nur einige wenige Spieler mit Migrationshintergrund zu sehen sind ??“

Eisern Union-Schriftzug auf einem Haus
Ganz viel Pathos: Die „Eisernen“ von Union Berlin sehen sich selbst als Familie, die zusammensteht, anpackt und sich kümmert. © imago

Im Fußballgeschäft ist es normal, dass Spieler die Jugendabteilung eines Bundesligisten verlassen müssen. Doch die Vorwürfe in dem Brief gehen über die übliche Kritik enttäuschter Fußball-Eltern hinaus. BuzzFeed News Deutschland und die Märkische Allgemeine Zeitung haben zu den Vorwürfen recherchiert und in den vergangenen drei Monaten mit 18 ehemaligen Spielern sowie elf Eltern gesprochen, teilweise am Telefon, teilweise auf langen Spaziergängen, oft mehrere Male. Dazu haben wir mit aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern des Vereins sowie mit Beratern gesprochen.  

Die Recherchen zeigen, wie problematisch der Umgang mit Jugendlichen im Nachwuchsleistungszentrum von Union Berlin ist. Den neuen Cheftrainer des Zentrums, André Hofschneider, nennen mehrere Spieler und ihre Eltern einen Diktator. Die Betroffenen berichten von zum Teil sehr harten disziplinarischen Maßnahmen, von fehlendem pädagogischen Gespür und von Willkür. Minderjährige Spieler, die jahrelang für den Verein gespielt haben, wurden offenbar ohne Erklärung von einem Tag auf den anderen rausgeworfen. Mehrere berichten, danach massive psychische Probleme gehabt zu haben. 

Quote von Spielern mit Migrationshintergrund bei Union Berlin von 40 auf 10 Prozent gefallen

Die Recherchen zeigen auch, dass die schlechte Behandlung offenbar vor allem Spieler mit Migrationshintergrund trifft. Zahlreiche türkisch- oder arabischstämmige Familien fühlen sich von den Mitarbeitern des Bundesligisten benachteiligt und als Menschen zweiter Klasse behandelt. Spielerberater warnen Jugendliche mit Migrationshintergrund, sich auf Union Berlin einzulassen, weil sie dort angeblich niemals so wertgeschätzt würden wie ihre Mitspieler ohne sichtbaren Migrationshintergrund. Und: In den Jahrgängen 2003 und 2004, die in dem anonymen Brief thematisiert werden, ist die Quote von Spielern mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund innerhalb von gut zwei Jahren – seit Hofschneiders Antritt als Cheftrainer – von über 40 auf zehn Prozent gefallen.

Unsere Reporter recherchieren weiter zu Problemen im Nachwuchsfußball, nicht nur bei Union Berlin. Falls Sie Informationen für uns haben, können Sie sich gerne jederzeit vertraulich unter recherche@buzzfeed.de bei uns melden und wir kommen auf Sie zu.

„Was mich gar nicht überrascht, ist die Spielerfluktuation. Wir nennen das die Auffrischungsrate. Die ist in den NLZs strukturell angelegt und insofern normal“, sagt Professor Arne Güllich, der an der Universität Kaiserslautern seit vielen Jahren zum Nachwuchsfußball forscht. „Was mich allerdings sehr überrascht, ist die Art und Weise, wie man scheinbar mit den Spielern umgeht. Das ist ja genau das Gegenteil dessen, wofür der Sport steht, nämlich für gegenseitigen Respekt und Fair Play. “ Schließlich habe der Verein für die jungen Spieler in seinem Nachwuchsleistungszentrum eine große Verantwortung. „Herabwürdigender Umgang mit Kindern hat nirgendwo etwas zu suchen, schon gar nicht im Leistungssport““, sagt Güllich.

Union Berlin hatte auf die konkreten Fragen von BuzzFeed News Deutschland und Märkischer Allgemeiner Zeitung zunächst nur allgemein geantwortet und um einen persönlichen Gesprächstermin nach Ablauf der eingeräumten Frist gebeten. Einen Tag vor dem geplanten Gesprächstermin sagte der Bundesligist das Treffen wieder ab und begründete dies damit, dass wir Teile der Recherchen dem DFB und dem Berliner Fußballverband zur Einschätzung zugesandt hatten. Union Berlin veröffentlichte daraufhin umgehend unseren gesamten Fragenkatalog inklusive der Antworten auf der eigenen Webseite und behauptete dort, wir würden eine „vorwurfsvolle oder bereits wertende Berichterstattung“ planen

In der veröffentlichten Stellungnahme schreibt Union Berlin von „anonymen Anschuldigungen“, mit denen der Verein seit mehreren Monaten konfrontiert werde. Der Verein betont das eigene soziale Engagement und die gute Betreuung der Kinder durch lizensierte Trainer und Sportpsychologen. Es gebe standardisierte Abläufe, die Entwicklung der Kinder werde kontinuierlich begleitet, es werde immer im Kollektiv mehrere Trainer mit dem Scouting gemeinsam entschieden. Der Verein bemühe sich für Spieler um neue Vereine, ein Auslandsstudium oder Ausbildungsplätze.

Union Berlin schreibt: Eine Ausländerquote existiert nicht

„Die Auf- und Übernahmekriterien unseres NLZ sind auf die sportliche und schulische Leistungsfähigkeit sowie auf das Sozialverhalten ausgerichtet“, schreibt der Verein. „Andere Kriterien, wie Religionszugehörigkeit oder Migrationshintergrund, existieren nicht.“ Eine Ausländerquote existiere nicht. „Sie wäre weder mit der Satzung noch mit der Nachwuchskonzeption vereinbar.“

Cheftrainer André Hofschneider reagierte nicht auf detaillierte Fragen von BuzzFeed News und Märkischer Allgemeiner Zeitung.

Der Berliner Fußballverband und der Deutsche Fußball Bund wollten sich auf Anfrage nicht konkret äußern. 

Die Kinder und Eltern sind trotz zahlreicher Treffen und Telefonate sehr vorsichtig, namentlich von ihren Erfahrungen zu berichten. Die Familien haben Angst, dass bei einer Nennung die Karriere des Sohnes beendet wäre. Wir haben daher alle Namen von Betroffenen in diesem Text geändert. 

Ein Spieler, der zunächst bereit war, sich öffentlich zu äußern, zieht nach mehreren Gesprächen seine Zusage zurück. Sein Berater habe ihm davon abgeraten, er würde damit seine Karriere riskieren. Ein anderer schreibt uns kurz nach unserem letzten Gespräch per WhatsApp, dass er „nix über Union veröffentlichen möchte [...] weil es andere Mannschaften auch mitbekommen würden“. Ein Vater erzählt uns bei einem Treffen in einem Berliner Café, sein Sohn hätte ihm gesagt: „Papa, quatsch mit niemandem! Der hatte soviel Angst, dass er dann gar keine Chance mehr bekommt.“

Die Aussagen der Spieler, Eltern, Berater und Mitarbeiter decken sich jedoch in großen Teilen und sind auch über verschiedene Gespräche hinweg konsistent. Immer wieder wird von ähnlichen Situationen, Aussagen und Problemen berichtet. 

„Bei Union Berlin stand man unfassbar unter Druck, vor allem wenn man verletzt oder krank war“

Die Jugendlichen, mit denen wir gesprochen haben, träumen seit Jahren vom Profifußball. Sie geben dafür vieles auf, trainieren neben der Schule mindestens viermal die Woche, fahren am Wochenende zu teils weit entfernten Spielen – und das, obwohl der Erfolg extrem unwahrscheinlich ist.  

Berlin, Stadion FEZ Wuhlheide und kleine Schwimmhalle im FEZ, 17.04. 2020
Das Nachwuchsleistungszentrum von Union Berlin in Berlin-Köpenick. © imago/Matthias Koch

„Bei Union stand man unfassbar unter Druck, vor allem wenn man verletzt oder krank war“, beschreibt ein Spieler rückblickend die Jahre, die er in Unions Jugendmannschaften gespielt hat. „Man hat sich selbst Vorwürfe gemacht und sich schlecht gefühlt, wenn man mal krank war und dann nicht zum Training kommen konnte. Und man musste quasi Angst haben, dass das Konsequenzen hat, weil darauf einfach keine Rücksicht genommen wurde“, schreibt der Spieler in einer WhatsApp-Nachricht an uns. Dieses Gefühl sei „ehrlich schrecklich“ gewesen und habe ihn „zum Teil in der Zeit sehr kaputt gemacht“. Das Problem sei gewesen, „dass man nie gut genug war, nie wusste, wo man gerade steht, nie wusste, ob sie deine Leistungen gut fanden und zufrieden sind oder nicht, und das halt mit 16 Jahren.“

Mehrere Spieler, mit denen wir gesprochen haben, äußern sich  ähnlich. „Der Umgang mit uns war sehr katastrophal. Die haben teilweise gar nicht mit uns geredet. Wir mussten auf die zugehen“, sagt ein Spieler, als er bei einem Spaziergang über seine Zeit bei Union erzählt. „Ein Gespräch haben die gar nicht gesucht. Immer nur einmal im halben Jahr: da kam dann halt dieses Entwicklungsgespräch.“ In sogenannten Förder-, Entwicklungs- oder Orientierungsgesprächen sollen die Klubs den Spielern ihre Perspektiven aufzeigen. Manche Spieler sagen allerdings, ihnen seien in diesen Gesprächen gute Chancen aufgezeigt worden - den Verein hätten sie dann trotzdem verlassen müssen. 

Union Berlin schreibt, es gebe „trotz unterstützender Angebote Spieler, die aus psychologischer Sicht den Schritt in den absoluten Leistungsbereich nicht schaffen.“ Und weiter: „Freude am Wettkampf und am täglichen sich Messen mit den Besten ist unumgänglich, um sich in der Leistungsspitze durchzusetzen.“ 

Kaum ein Spieler schafft es aus den Nachwuchsleistungszentren in die Bundesliga

Erst einmal geht es aber darum, überhaupt in einem Verein wie Union angenommen zu werden, der ein sogenanntes Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) betreibt.  Die wenigen Plätze, die die Spieler auf eine Karriere im Profifußball vorbereiten sollen, sind sehr begehrt. Die Vereine überlegen sich genau, für wen sie Geld ausgeben und pädagogische Verantwortung übernehmen.

Die Nachwuchsleistungszentren schreibt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) für alle 36 Vereine aus der Ersten und Zweiten Liga vor. Union Berlin hat sein Zentrum im Jahr 2002 gegründet. Dort trainieren Kinder in elf Mannschaften von der U8 bis zur U19. Gerade baut Union ein neues Gebäude. Der Berliner Senat hilft mit 8,8 Millionen Euro Steuergeld, der Bund gibt 4,5 Millionen Euro dazu. „Für das Zusammenwachsen der Stadt spielt Union eine wichtige Rolle“, sagt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller 2017. Ziel des Vereins ist es, so steht es auf der Webseite, „optimale Entwicklungsbedingungen für die heranwachsenden Nachwuchsfußballer zu schaffen“ und möglichst vielen Spielern den Weg in den Profifußball zu ermöglichen. 

Den Weg an die Spitze schaffen in Deutschland jedoch nur sehr wenige. 2018 analysierte die ARD, dass es in den vergangenen Jahren nur etwa jeder 30. Spieler aus den Nachwuchsleistungszentren in die ersten Ligen Europas geschafft hat. Auch bei Union hat es der Nachwuchs schwer: Der Klub hat in der aktuellen Bundesliga-Saison als einziger Verein noch keinen „local player“ eingesetzt. Der Deutschen Fußball-Liga zufolge gilt als local player, wer zwischen dem 15. und 21. Lebensjahr mindestens drei Jahre beim eigenen Verein ausgebildet wurde. In den Vorjahren sah es kaum besser aus, nur drei Spieler schafften seit 2010 dauerhaft den Sprung in die erste Mannschaft von Union.

Amar ist einer der Jungen, dessen echter Name auf der Liste im anonymen Brief steht. Er wechselt 2015 von einem kleineren Verein zum 1. FC Union Berlin. Lange Zeit läuft alles gut für ihn. Amar trägt stolz das Union-Trikot. „Er war Stammspieler, hatte einen fantastischen Trainer, alles war gut“, sagt Amars Vater. Amar gilt bei den Eisernen, wie sich der Verein selbst nennt, als Führungsspieler und überzeugt sportlich. Union erkennt Amars Potenzial und bietet ihm einen Fördervertrag an. Mit einem solchen Vertrag können Vereine Jugendspieler über einige Jahre an sich binden, im Gegenzug zahlen sie ein Taschengeld. 250 Euro bekommen die Vertragsspieler bei Union pro Monat. Amar unterschreibt. „Ich hatte ein super Verhältnis mit den ganzen Spielern, den Betreuern und den Trainern“, sagt Amar. 

Hat Union Berlin bewusst nicht mehr im Wedding, in Kreuzberg oder Neukölln gescoutet?

Zwischen 2015 und 2018 holt Union viele Spieler mit Migrationshintergrund. Es ist offenbar eine strategische Entscheidung, die die damalige Leitung des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) um Trainer André Meyer und den Scout Oliver Rathenow treffen. Der Klub will nicht nur mit seiner Männermannschaft spitze sein. Auch die Jugend, die damals klar im Schatten des Stadtrivalen Hertha BSC steht, soll gestärkt werden. Der Verein will die besten Spieler aus ganz Berlin und scoutet jetzt auch in Kreuzberg, Neukölln und dem Wedding. In Amars Mannschaft, bei den Unter-16-Jährigen, haben im Herbst 2018 insgesamt 17 von 24 Spielern einen Migrationshintergrund. „Wir waren eine bunte Truppe“, sagt einer der Spieler. „Wenn du nach Magdeburg fährst, erwarten die von Köpenick was anderes. Aber man war ja nicht alleine, man hat sich gegenseitig bestärkt“, sagt ein anderer. 

Union Berlin schreibt, das „Haupteinzugsgebiet für die Talentsuche ist Berlin-Brandenburg. Diese strategische Ausrichtung besteht seit zwei Jahrzehnten unverändert.“

Im Oktober 2018 kommt ein neuer Cheftrainer ans Nachwuchsleistungszentrum: André Hofschneider. Hofschneider ist das, was man einen „echten Unioner“ nennt, eine Vereinslegende. Er ist in Ost-Berlin geboren, hat zwischen 1988 und 1994 selbst für Union gespielt. Später arbeitet er als Trainer der U19-Mannschaft und als Co-Trainer der Männermannschaft. Zweimal, im Februar 2016 und im Dezember 2017, übernimmt er als Cheftrainer die Profis. 

André Hofschneider im Trikot von Hansa Rostock.
André Hofschneider spielte von Ende der 1980er bis Mitte der 2000er Jahre für Union Berlin, Hansa Rostock, 1860 München, Arminia Bielefeld und den FC Augsburg. © imago

Vor seinem ersten Engagement schreibt der Berliner Tagesspiegel, man müsse sich in die Achtziger Jahre zurückversetzen, wolle man André Hofschneider verstehen. In die Zeit, in der er als Profi-Fußballer sozialisiert wurde und Fußballmannschaften häufig streng hierarchisch organisiert waren. „Die Platzhirsche ließen ihn spüren, dass sie seine Anwesenheit nicht sonderlich schätzten. Bei Auswärtsfahrten musste der 19-Jährige Hofschneider lange im Bus stehen, weil niemand für ihn Platz machen wollte“, schreibt der Tagesspiegel. „Er schleppte Ballnetze, putzte Schuhe und wehe ein Wort des Klagens kam über die Lippen. Dann gab‘s Ärger. Aber so richtig. Hofschneider ließ alles über sich ergehen, bis er irgendwann akzeptiert war.“ 

Im Mai 2018 endet Hofschneiders zweite Amtszeit als Trainer der ersten Mannschaft bei Union Berlin. Von 18 Spielen hat er nur fünf gewonnen, ein Neuanfang ist erwünscht. Der Verein fängt Hofschneider auf und gibt ihm den Posten im Jugendbereich – sein Vertrag läuft unbefristet, er soll angeblich sehr gut verdienen. Einer der früheren leitenden Trainer des NLZ, André Meyer, verlässt den Verein und wird Trainer beim Regionalligisten Union Fürstenwalde, der Scout Oliver Rathenow wechselt etwas später zum FC Bayern München. 

Von jetzt an ist Hofschneider der mächtigste Mann beim Nachwuchs von Union Berlin

Von jetzt an ist Hofschneider der mächtigste Mann im NLZ, wenn es um sportliche Entscheidungen geht. Er kann den Trainern in die Aufstellungen reinreden und mitbestimmen, welche Spieler im Verein bleiben dürfen – und welche ihn verlassen müssen. Der Rückhalt für Hofschneider im Verein ist groß. Sowohl Unions Präsident Dirk Zingler als auch Lutz Munack, der als Geschäftsführer für den Nachwuchsfußball verantwortlich ist, gelten als enge Vertraute.

Dirk Zingler und André Hofschneider.
Dirk Zingler (rechts) ist Präsident und mächtigster Mann bei Union Berlin. Hier feiert er mit André Hofschneider. © imago

Hofschneider will, dass die Dinge am NLZ nach seinen Wünschen laufen – das spüren auch die jungen Spieler. Zwei Väter von ehemaligen Spielern und ein Mitarbeiter des Nachwuchsleistungszentrums beschreiben ihn als einen „Diktator“. Der Vater eines ehemaligen Spielers sagt: „Das Verhalten von dem finde ich menschlich grausam. Sowas habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen.“ Und ein Spieler, der mittlerweile zu einem anderen Verein gewechselt ist, sagt: „Auf einmal wurde es bisschen komisch: Es hat mir immer gut gefallen, alle wurden gut behandelt. Aber seitdem dann Herr Hofschneider da war, hat er angefangen, Leute, die ihm nicht gefallen haben, schlecht zu reden.“

Auf die konkreten Vorwürfe reagierte Union Berlin in seiner Stellungnahme nicht. André Hofschneider hat auf eine Anfrage nicht geantwortet.

Kurz darauf, in der Saison 2019/2020 ändert sich die Situation für einige Spieler am NLZ. Im November 2019, wenige Tage vor einem Auswärtsspiel der U17 gegen Halle, betritt André Hofschneider vor dem Training die Kabine der Mannschaft. Die Stimmung ist gereizt, kurz zuvor hat das Team 0:5 verloren. Hofschneider kündigt einen radikalen Schnitt an, spricht davon, „Signale“ setzen zu wollen. „Dinge“ sollen geschehen, mit denen niemand rechne. Nach dem Training ist klar: Spieler, die vorher einen Stammplatz hatten, sitzen jetzt auf der Ersatzbank oder stehen gar nicht erst im Kader. Ein Junge, der acht Jahre für den Verein gespielt hat und einen gültigen Fördervertrag besitzt, muss wenige Wochen später den Vertrag auflösen und kommt plötzlich nicht mehr zum Training.

Fussball Saison 2019 20 Baltic Sea Cup 1 Spieltag Internationale Nachwuchs Runde für U21 U 2
André Hofschneider ist seit 2018 Cheftrainer am Nachwuchsleistungszentrum von Union Berlin. Einige Spieler nennen ihn Diktator. © imago/Matthias Koch

Union Berlin schreibt: „Aufgrund der sportlichen Situation (Abstiegskampf), wiederholten, schlechten Spielleistungen und dem mangelhaften leistungsorientierten Umgang einiger weniger Spieler der Mannschaft mit der Situation, war zu dem oben angesprochenen Zeitpunkt eine deutliche Ansprache unumgänglich.“ Und: „Eine Vertragsunterzeichnung ist ebenso wie eine Vertragsauflösung grundsätzlich nur im beiderseitigen Einvernehmen möglich.“

Auf einmal sei der Anruf von Union Berlin gekommen: Du bist raus!

Für Amar endet die Zeit beim 1. FC Union ein paar Monate später, als sein Handy klingelt. Der Vater erinnert sich an diesen Tag: „Plötzlich rief der Trainer von Viktoria an, direkt bei meinem Sohn und meinte: Hör zu, du bist ja bei Union schon raus, willst du nicht zu uns kommen? Da war er aber noch nicht bei Union raus. Es hat keiner mit ihm gesprochen. Paar Stunden später schreibt ihm der Trainer von TeBe eine Nachricht und sagt dasselbe: Du bist ja bei Union raus. Mein Sohn meinte: Kein Mensch hat mit mir gesprochen.“ Amar ruft danach bei seinem Trainer in der U17-Mannschaft an und fragt, ob er überhaupt noch für Union spielen darf. Der U17-Trainer habe ihm geantwortet, dass er nichts anderes gehört habe, aber bei André Hofschneider nachfragen werde. Als der U17-Trainer sich das nächste Mal bei Amar meldet, scheint alles in Ordnung, so berichten es Amar und sein Vater. Er habe mit Hofschneider gesprochen und nur Positives über die Leistung von Amar gehört. Sein kommender Trainer aus der U19 werde sich bei ihm melden. Einige Tage später hat Amar Geburtstag. Morgens früh ruft ihn der U19-Trainer an. „Ich dachte, er will mir gratulieren“, sagt Amar. Aber der Trainer habe gesagt: „Du bist raus.“ Amar ist geschockt: „Es gab vorher nie ein Gespräch, da kam nur der Anruf.“ 

Seit 2017 spielt auch Hassan für den 1. FC Union. Er fällt der damaligen Nachwuchsleitung auf, als diese das Scouting auf ganz Berlin ausweitet. Nachdem er ein paar Mal beim Probetraining in Köpenick war, will ihn der Verein zu sich holen. Hassan fühlt sich wohl. „Es lief alles gut“, sagt er. Hassan gilt als Führungsspieler, überzeugt sportlich. Das Potenzial erkennt Union und bietet ihm sogar einen Fördervertrag an. Hassan unterschreibt. Ein paar Monate später, André Hofschneider hat mittlerweile das Amt als NLZ-Chef übernommen, habe Hassan in dessen Büro kommen müssen. „Er meinte, dass ich zu schlecht bin und mich zusammenreißen soll“, erinnert sich Hassan. Ab Sommer 2019 läuft es für Hassan nicht mehr, er bekommt immer weniger Einsätze. „Da ging es den Berg runter“, sagt er. Letztlich entscheidet er sich, seinen Vertrag aufzulösen, der Verein ist einverstanden. Eine Unterschrift später ist Hassans Zeit bei Union vorbei.

In derselben Mannschaft wie Hassan und Amar spielt auch Ömer. Er wechselt 2018 von einem kleineren Verein in Berlin zu Union. Nach einer Saison bei der U16 bereitet er sich im Sommer 2019 für die U17 vor. Im ersten Training nach der Sommerpause soll André Hofschneider auf ihn zugekommen sein und gesagt haben: „Du wirst hier nicht spielen. Such’ dir einen neuen Verein.“ Für Ömer kommt das völlig unerwartet. Weil er so schnell keinen neuen Verein findet, bleibt er noch ein halbes Jahr bei Union, spielt aber nur noch wenige Minuten. Heute sagt er: „Ich wünschte, ich hätte in dieser Zeit etwas anderes gemacht.“ 

„Bestätigen können wir, dass wir in einem Einzelfall vorab mit einem anderen Verein Kontakt hatten, um dem Spieler ein werthaltiges Vereinsangebot machen zu können“, schreibt Union Berlin in seiner Stellungnahme. „Der Spieler hatte zu diesem Zeitpunkt einen auslaufenden Vertrag und von uns kein neues Vertragsangebot vorliegen. Wir können nicht ausschließen, dass andere Vereine auf Spielerabgänge bei uns spekulieren und Spieler entsprechend frühzeitig kontaktieren.“ Nicht bestätigen könne der Verein dagegen die beschriebene Gesprächsführung. „Der Satz „Du bist raus.“ wurde von unserem U19 Trainer in keinem der Telefonate verwendet.“ Grundsätzlich würden alle Gespräche persönlich, direkt und in einem angemessenen Rahmen geführt. Wegen der Corona-Pandemie seien drei Spieler am Telefon über ihre Kündigung informiert worden. „In diesen Gesprächen wurden sportliche und soziale Aspekte als Begründung für die Entscheidung angeführt.“

Amar, Hassan und Ömer stehen alle auf der Liste mit 19 Namen, die die Verfasser des anonymen Briefes geschrieben haben.

13 neue Spieler seit 2018, kein einziger mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund 

BuzzFeed News und die Märkische Allgemeine Zeitung haben die Zahlen nachrecherchiert. Im Sommer 2018, vor Hofschneiders Amtsantritt, spielen 45 Jungen aus den Jahrgängen 2003 und 2004 in der Jugendabteilung des 1. FC Union. Davon haben 19 einen türkischen oder arabischen Migrationshintergrund. Zwei Jahre später, zum Saisonbeginn 2020, sind es von 30 Spielern noch drei. Einer dieser drei Spieler wird den Verein im Sommer zusätzlich verlassen. Innerhalb von zwei Jahren ist die Quote von über 40 auf zehn Prozent gefallen. Seit Hofschneider die Nachwuchsabteilung führt, hat Union 13 neue Spieler aus den Jahrgängen 2003 und 2004 geholt. Keiner hat einen türkischen oder arabischen Migrationshintergrund.

Wandbild Gewachsen auf Beton mit Boateng Bruedern Auf einer Hauswand in Berliner Stadtteil Wedding ist ein Bild der Brue
Die Boateng-Brüder aus dem Wedding sind das große Vorbild vieler Jugendspieler. Hat Union Berlin Spieler mit Migrationshintergrund gezielt aussortiert? © imago/Jochen Eckel

„Eine U19 besteht, im Unterschied zu den Mannschaften davor, aus zwei Jahrgängen“, schreibt Union Berlin. „Eine Verabschiedung von 10 bis 12 Spielern nach der U17 ist dementsprechend ebenfalls ein jährlicher Prozess in unserem NLZ.“ Allerdings wurden viele der Jungen schon vor oder während der Zeit in der U17 aussortiert. Weiter schreibt der Verein: „Die Auf- und Übernahmekriterien unseres NLZ sind auf die sportliche und schulische Leistungsfähigkeit sowie auf das Sozialverhalten ausgerichtet. Andere Kriterien, wie Religionszugehörigkeit oder Migrationshintergrund, existieren nicht.“ Außerdem schreibt Union Berlin, ein solches Vorgehen sei bereits durch die Vereinssatzung ausgeschlossen. Schließlich sei der Verein den „demokratischen und humanistischen Grundwerten verpflichtet“.

Die Spieler und auch ihre Eltern, mit denen wir für die Recherche gesprochen haben, sind keine homogene Gruppe. Sie blicken unterschiedlich auf Union Berlin, einige sind dem Verein noch immer dankbar für die Zeit am NLZ. Andere reagieren wütend, wenn sie nur den Namen des Klubs hören. Einige sind untereinander noch gut befreundet, andere haben keinen Kontakt mehr zu ehemaligen Mitspielern oder deren Eltern. Doch egal, mit welchen ehemaligen Spielern, Eltern oder Mitarbeitern von Union wir sprechen: Dass Spieler mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund bei Union seit Hofschneiders Amtsantritt weniger werden, ist fast allen bekannt.

„Wo sind die Schwarzhaarigen? Die Kinder wurden behandelt wie auf dem Schrottplatz.“

Nach dem Antritt von Hofschneider im Sommer 2018 ändert sich der Umgangston, berichten nahezu alle Spieler und Eltern. 

„Da habe ich gespürt: Okay, jetzt ist hier eine gewisse Trennung von, ich sag mal, Deutschen und Spielern mit Migrationshintergrund“, sagt ein Spieler, der den Verein mittlerweile verlassen hat. 

„Es wurde halt nie angesprochen im Verein, aber man hat gemerkt, dass bis zum Sommer viele, die Migrationshintergrund hatten, gehen mussten“, sagt ein anderer Junge. 

„Ich habe mir das Mannschaftsfoto angeschaut: Wir waren fast 15 bunte Spieler und nur ein paar ohne Migrationshintergrund; jetzt ist es genau andersrum“, sagt ein ehemaliger Mitspieler. 

„Wo sind die Schwarzhaarigen? Die Kinder wurden behandelt wie auf dem Schrottplatz. Jetzt siehst du da nur Deutsche. Wir sind auch Deutsche. Wir haben einen deutschen Pass. Aber wir sind schwarzhaarig. Da sind wir trotzdem Ausländer“, sagt der Vater eines ehemaligen Union-Jugendspielers.

Hofschneider habe sicherlich eine Affinität zu deutschen Spielern, sagt ein Mitarbeiter des Vereins. „Wenn er einen Ausländer und einen Deutschen zur Wahl hat, die gleich gut sind, dann nimmt er den Deutschen.“ Offen rassistisch habe er sich aber in seiner Gegenwart nie geäußert. Stimmen aus der überschaubaren Berliner Fußballwelt erklären, der gesunkene Anteil an Spielern mit Migrationshintergrund habe mit einem Strategiewechsel bei Union zu tun. Weniger Kiez, mehr Köpenick.

„Ich würde keinem Spieler mit ausländischen Wurzeln empfehlen, zu Union zu gehen.“

So schätzen auch Berater die Jugendabteilung von Union ein. Berater sind im Fußballgeschäft diejenigen, die Kindern unabhängig von ihrem jeweiligen Verein oft schon sehr früh zur Seite stehen und ihnen dabei helfen, in den Profifußball zu kommen, um später finanziell zu profitieren. Zwei Berater, die sowohl im Jugend- als auch im Männerfußball tätig sind, sagten gegenüber BuzzFeed News und Märkische Allgemeine Zeitung unabhängig voneinander den gleichen Satz: „Ich würde keinem Spieler mit ausländischen Wurzeln empfehlen, zu Union zu gehen.“ Mit Rassismus-Vorwürfen halten sie sich zurück, sprechen aber von einer fehlenden Sensibilität in der Jugendabteilung. 

Von Warnungen durch Berater an Jugendspieler sei dem Verein nichts bekannt, schreibt Union Berlin in seiner Stellungnahme. 

Einige Spieler erzählen auch von einem derben Umgangston am NLZ. Ein Torwarttrainer soll Anfang 2019 die zwei damals 16-jährigen Torhüter beleidigt haben. Den einen habe er wahlweise „fettes Schwein“ oder „Fettsack“ genannt. Zu einem Schwarzen Torwart habe der Trainer gesagt, er müsse mit seinen Füßen bis an die Latte springen können. Schließlich sei er Schwarz. Die Spieler erzählen, dass sie sich daran gewöhnt und deshalb nichts gesagt hätten.

Ein anderer Fall: Im November 2018 meldet sich der türkische Fußballverband in Berlin. Er will einen Union-Spieler, 15 Jahre alt, zur U16-Nationalmannschaft einladen. In einem Infomagazin über das NLZ wird der Verein ein paar Monate später stolz auflisten, welche seiner Spieler in Jugendnationalmannschaften spielen. Doch im November 2018 stellt Union ihm eine Bedingung: Sie geben ihn für die Spiele des Nationalteams nur dann frei, wenn er am Samstagmittag wieder zurück beim Regionalliga-Spiel von Union gegen Jena ist. Das erzählen vier Eltern und Spieler gegenüber Buzzfeed News und Märkischer Allgemeine Zeitung. Der Fall lässt sich mit Daten von der Fußball-Plattform transfermarkt.com rekonstruieren: Am Freitag, 23. November, 11 Uhr, steht der Junge noch in Tiraspol in Moldawien auf dem Platz und spielt 90 Minuten durch, die Türkei gewinnt gegen Moldawien 1:0. Über Nacht fliegt er dann aus Moldawien nach Berlin, um direkt vom Flughafen rechtzeitig in Köpenick zu sein. Dort ist am Samstag, 24. November, 13 Uhr, Anpfiff gegen Carl Zeiss Jena. Den Termin hält der Junge ein – spielt allerdings keine Minute.

Union Berlin schreibt, die Reise sei dem Jugendspieler auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin gestattet worden. „Aufgrund der zum Zeitpunkt der Absprachen bestehenden angespannten Personalsituation der Mannschaft des Spielers wurde mit dem Spieler und der Familie dieser Kompromiss getroffen“, schreibt der Verein. „Von einem Einsatz in dem folgenden Pflichtspiel unserer Mannschaft konnte der Trainer im Sinne des Spielers auf Grund seiner Spielzeit von 135 min während des Lehrgangs zum Glück absehen, da sich die Kadersituation entsprechend gestaltete.“

Nicht nur Jungen mit arabischem oder türkischem Migrationshintergrund fühlen sich vom Verein schlecht behandelt. Das zeigt die Geschichte von Tim, der 2017 zu Union wechselt. „Die haben mich extrem beworben“, sagt er. „Ich war schon stolz, bei so einem großen Verein zu spielen.“ Tim wird Stammspieler und fühlt sich wohl. An einem Tag im Mai 2019 bekommt er morgens gegen 7 Uhr eine WhatsApp-Nachricht von seinem Trainer, der schreibt: „Wann haben du und deine Eltern Zeit für ein Gespräch? Kläre das bitte mal ab und sag mir Bescheid. Am besten diese Woche noch. Lg.“ 

Tim, damals 16 Jahre alt, erzählt sofort seinen Freunden von der Nachricht. „Die meinten, ich bekomme bestimmt einen Vertrag“, sagt Tim. „Da hatte man immer die Hoffnung.“ Doch das Gespräch läuft anders: Tim muss den Verein verlassen. „Sie haben mir gesagt, dass aus mir nichts mehr wird. Dann haben sie gesagt, was ich alles nicht kann. Es war wie eine Vernichtung.“ Heute sagt er über seine letzten Wochen bei Union: „Das war die schlimmste Zeit meines Lebens. Alle denken, es ist super hier, aber hinter den Kulissen ist es schlimm.“ 

Union Berlin schreibt, in den Gesprächen werde den Spielern „Inhalte klar, altersgerecht und verständlich erklärt“. Wenn aufgrund der sportlichen Entwicklung absehbar sei, dass ein Spieler im Laufe der Saison voraussichtlich nicht oder nur sehr selten zum Einsatz kommen wird, „kann es im Einzelfall und im Sinne der sportlichen Weiterentwicklung des Spielers zu der Empfehlung kommen, den Verein zu verlassen, um woanders mehr Spielzeit zu bekommen.“

Mehrere Spieler berichten über psychische Probleme nach ihrem Rauswurf bei Union Berlin

Tim will mit dem Fußball aufhören. Das geht auch einigen seiner ehemaligen Mannschaftskameraden so. „Mein Sohn ist aus allen Wolken gefallen, der hatte keinen Bock auf gar nichts mehr, nicht mehr auf Fußball, der war geschockt“, sagt der Vater von Amar. Nach dem abrupten Rauswurf, für den es bei vielen keine Begründung gegeben haben soll, kümmert sich der Verein nicht mehr um die Jungen. Mehrere Spieler berichten über psychische Probleme. Ein Vater erzählt, dass er überlegt habe, einen Psychiater für seinen Sohn zu engagieren. „Psychologisch haben sie ihn bei Union kaputtgemacht, er ist monatelang durcheinander gewesen“, sagt er.

Viele der konkreten Vorwürfe aus dieser Recherche lässt Union Berlin in seinem veröffentlichten Schreiben unkommentiert. Stattdessen schreibt der Verein, dass der verantwortliche Geschäftsführer Lutz Munack und der Leiter des Nachwuchsleistungszentrums Janek Kampa jederzeit für ein persönliches Gespräch mit den Personen zur Verfügung stünden, die diese Anschuldigungen erheben.

Auf den anonymen Brief der Eltern aus dem September 2020 antwortet der Berliner Fußball-Verband (BFV) damals übrigens nur wenige Tage später. Die Korrespondenz liegt BuzzFeed News Deutschland und der Märkischen Allgemeinen Zeitung vor. Mehmet Matur, Präsidialmitglied für Integration und Vielfalt beim BFV, erklärt in der Antwort, mit Unions Geschäftsführer Lutz Munack gesprochen zu haben. Er nennt anschließend verschiedene Gründe, warum er keine Hinweise für rassistische Auswahlkriterien bei Union sieht. So hätte der Verein die Spieler immer transparent über ihren jeweiligen Leistungsstand informiert. Außerdem seien über alle Nachwuchsteams hinweg bei Union noch immer viele „people of colour“ zu finden. Die Entscheidungen würde außerdem nicht Hofschneider alleine treffen, sondern sie würden immer im Austausch mit dem Trainer und dem Co-Trainer der jeweiligen Mannschaft getroffen. Ohnehin unterstütze Union seit langer Zeit die Maßnahmen, die der BFV gegen Rassismus unternimmt. Munack bietet zudem seine Bereitschaft für ein Gespräch mit einzelnen Eltern an.

Geschäftsführer Lutz Munack droht mit rechtlichen Schritten

Einen Monat später reagieren wieder die Verfasser des Briefs. Sie lehnen ein Gespräch mit Munack ab, weil sie eine Stellungnahme von Hofschneider fordern und sich ihre Vorwürfe nicht gegen den 1. FC Union als Verein richten würden, sondern explizit gegen Hofschneider. Außerdem ärgerten sie sich darüber, dass Union und der BFV in der Antwort nicht auf die auffällig hohe Anzahl der aussortierten Spieler mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund eingegangen seien. 

Unions Geschäftsführer Lutz Munack schreibt daraufhin zwei Wochen später: „Rassismusvorwürfe gegen Mitarbeiter*innen unseres Vereins sind selbstredend immer auch Vorwürfe gegen den Verein.“ Eine Stellungnahme Hofschneiders lehnt er ab. Stattdessen endet die E-Mail mit einer kaum versteckten Drohung. Sollten die anonymen Verfasser mit den Vorwürfen an die Öffentlichkeit gehen, behalte Union Berlin sich rechtliche Schritte vor.

[Hier veröffentlichen wir die Kommunikation der anonymen Eltern mit dem Berliner Fußball-Verband und dem 1. FC Union Berlin im (geschwärzten) Original.]

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