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CDU/CSU-Abgeordnete versuchen, MeToo-Reformen im Europäischen Parlament zu blockieren

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Von: Juliane Löffler

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„Das ist der größte Schwachsinn, den ich je im Parlament erlebt habe“, sagt ein CDU-Abgeordneter über die Reformen.

Das Europäische Parlament hat am Donnerstag Maßnahmen gegen sexuelle Übergriffe innerhalb des eigenen Hauses beschlossen. Ein wesentlich weitreichenderer Antrag gegen sexuelle Übergriffe wurde dagegen abgelehnt – vor allem durch die Stimmen deutscher Unionsabgeordneter.

Mit einer neuen Regelung in der Geschäftsordnung verpflichten sich Abgeordnete mit einer Art Verhaltenskodex, auf beleidigende Sprache, sexuelle Belästigung und „unangemessenes Verhalten“ zu verzichten. Unterzeichnen sie diesen nicht, drohen ihnen Sanktionen. Die neue Regelung ist Teil eines größeren Antrags, in dem beschlossen wurde, künftig Treffen mit Lobbyisten offenzulegen.

Die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke, die seit mehr als eineinhalb Jahren mit einer sogenannten MeToo-Resolution für das Thema kämpft, sagt BuzzFeed News am Telefon, das Ergebnis sei „ein Schritt in die richtige Richtung.“ Weitergehende Maßnahmen wie verpflichtende Schulungen für Abgeordnete wurden jedoch abgelehnt. Das bezeichnet Reintke als frustrierend. „Ich hätte mir gewünscht, dass dieses Problem auch bei der CDU/CSU Fraktion wahrgenommen und nicht weiter unter den Teppich gekehrt wird.“ Die deutsche Unionsfraktion ist die stärkste Kraft der konservativen Kräfte im Europaparlament (EVP).

Abgeordnete im Europäischen Parlament im Oktober 2017
Abgeordnete im Europäischen Parlament im Oktober 2017 © Patrick Hertzog / AFP / Getty Images

Im Herbst 2017 hatten mehr als 80 Frauen und Männer, die im EU-Parlament arbeiten, anonym berichtet, dass sie dort Opfer von sexuellen Übergriffen und Sexismus geworden seien. Kurz darauf beschloss das EU-Parlament mit großer Mehrheit einen umfassenden Maßnahmenkatalog, um dagegen anzugehen – auch mit den Stimmen deutscher Unionsabgeordneter.

Eine zentrale Forderung dieser Resolution sind verpflichtende Schulungen für alle EU-Parlamentsabgeordneten, um ein größeres Bewusstsein zum Thema sexuelle Übergriffe zu entwickeln. Die Schulungen werden bereits angeboten, sie sind jedoch freiwillig. Bisher haben rund 30 der 751 Abgeordneten das Angebot angenommen.

Dass das Problem nach wie vor sehr groß ist, zeigt auch eine aktuelle Studie der Interparlamentarischen Union (IPU). Darin geben 40 Prozent der befragten weiblichen Abgeordneten und Mitarbeiterinnen aus 45 der 47 europäischen Parlamenten an, dass sie während ihrer Arbeit sexuelle Belästigung erlebt haben. In fast 70 Prozent der Fälle geben die Betroffenen an, die Täter seien männliche Abgeordnete gewesen.

Keine Mehrheit für umfassendere Reformen

Terry Reintke sagt gegenüber BuzzFeed News, die Schulungen seien wichtig, weil sie bei Abgeordneten ein sehr viel höheres Bewusstsein schafften, welche Rolle sie als Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben.

„Dazu zählt nicht nur, Arbeitsplätze zu schaffen, an denen es keine sexuelle Belästigung gibt. Dazu zählt auch: Wie gehe ich mit meinen Mitarbeiterinnen um? Wie stark kann ich sie belasten und wo sind Grenzen in meiner Rolle als Arbeitgeberin.“ Derzeit erreiche das Angebot jedoch nur Abgeordnete, die schon ein Bewusstsein für die Problematik hätten. „Das sind nicht die, die wir am Dringendsten erreichen müssen“, sagt Reintke.

Der Antrag scheiterte am Donnerstag, weil er keine absolute Mehrheit, also zwei Drittel der Stimmen erhielt. Eine solche ist für Änderungen der Geschäftsordnung notwendig. Ingesamt stimmten 644 Abgeordnete ab. 350 stimmten für den Änderungsantrag, 266 dagegen, 28 enthielten sich.

„Der größte Schwachsinn, den ich je im Parlament erlebt habe.“

Bis auf vier Unionsabgeordnete stimmten alle Politiker der CDU/CSU gegen den großen Reformantrag, der auch die neue Transparenzregelung zur Lobbyarbeit enthielt. Zudem machten mehrere Abgeordnete medial Stimmung gegen die Reformen. Der CDU-Abgeordnete Werner Langen etwa sagte dem Onlinemedium Politico: „Die MdEPs zwingen zu wollen, ein Blatt Papier zu unterschreiben, damit sie sich im Parlament angemessen verhalten, ist der größte Schwachsinn, den ich je im Parlament erlebt habe.“

Langen sieht durch eine verpflichtende Schulung die Freiheit des Mandats der Abgeordneten in Gefahr. Hans-Olaf Henkel, Mitglied der Europäischen Konservativen und Reformisten, fragte in einer Email bezüglich der Forderung, ob „alle verrückt geworden seien“.

„Die Freiheit des Mandats ist ein sehr hohes Gut. Das bedeutet aber nicht, dass Abgeordnete einfach straffrei machen können, was sie wollen“, sagt die Grünen-Abgeordnete Reintke am Telefon. „Es ist ein wahnsinnig frustrierendes Erlebnis, wenn man merkt, dass am Ende die patriachalen Beharrungskräfte so stark sind, dass man mit den Sachen nicht vorankommt, die man eigentlich schon beschlossen hatte“.

Auch andere Abgeordnete äußerten sich enttäuscht, etwa die schwedische Politikerin Soraya Post. Sie werde weiter gegen psychische und sexualisierte Übergriffe kämpfen.

„MeTooEP", eine Gruppe von Mitarbeiterinnen, die sich für neue Maßnahmen im EU-Parlament einsetzt, schrieb: „Unser Kampf für Maßnahmen, um dieses Haus zu einem besseren Arbeitsplatz zu machen, geht weiter!“

Weitere zentrale Forderungen aus der MeToo-Resolution sind eine unabhängige Untersuchungseinheit, um die Vorwürfe aufzuarbeiten, sowie ein Anti-Belästigungskomitee mit medizinischem Fachpersonal, um den Opfern angemessen helfen zu können. Diese sind bisher ebenfalls nicht umgesetzt.

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