Die Deutsche Bahn ist so hoch verschuldet wie nie – und besitzt trotzdem Krankenwagen und Autowerkstätten im Ausland
Ein VW-Autohaus in Slowenien? Eine Firma, die Pappaufsteller verkauft? Eine Polizeischule? Reifenhändler Fahrradläden? All das gehört der Deutschen Bahn.
Die Deutsche Bahn wird das Jahr 2019 mit dem höchsten Schuldenberg in der Geschichte des Unternehmens abschließen. Ein Bahn-Sprecher spricht von rund 20 Milliarden Euro. Das sind mindestens 500 Millionen Euro mehr als Ende 2018.
Gleichzeitig hat die Deutsche Bahn in den vergangenen Jahren weltweit zahlreiche Firmen aufgekauft, die nichts mit ihrem eigentlichen Geschäft zu tun haben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Auswertung von BuzzFeed News Deutschland. Die Auswertung basiert auf einer Auflistung von 675 Firmen, an denen die Deutsche Bahn Anteile hat oder die ihr gehören.
Demnach betreibt die Deutsche Bahn zum Beispiel den Krankentransport im britischen Sunderland, ein VW-Autohaus in Slowenien und eine Polizei-, Sprach- und Fahrschule in Dänemark:
Hat die Bahn sich verzettelt?
„Der Konzern scheint bei seinen vielen Firmenbeteiligungen im In- und Ausland selbst den Überblick verloren zu haben“, schreibt Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion auf Anfrage von BuzzFeed News. „Das bei Firmenbeteiligungen des Bundes eigentlich grundsätzlich notwendige, unabweisbare Bundesinteresse ist in all diesen Fällen nicht gegeben.“
Auch die Bundestagsfraktionen von AfD, Linken und Grünen erklärten auf Anfrage von BuzzFeed News, solche Beteiligungen seien weder Aufgabe der Bahn noch lägen sie im Interesse des Bundes. Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke: „Die DB hat sich in den letzten Jahren in vielen bahnfremden Branchen und vor allem bei Auslandsgeschäften schlicht verzettelt.“
Die CDU/CSU-Fraktion wollte sich auf Anfrage nicht zu den Recherchen äußern. Die SPD ließ eine entsprechende Anfrage unbeantwortet.
Auffällig ist, dass sich unter den fraglichen Firmen zahlreiche finden, die dem Automobilsektor zuzuordnen sind. Neben dem VW-Autohaus in Slowenien so zum Beispiel auch ein Transportdienstleister für den Autobauer Ford, ein Versandunternehmen für einen schwedischen Reifenhändler oder ein Autoaufbereiter in Spanien. Dazu kommen gleich sieben Firmen, die Fahrradteile und Fahrräder verkaufen oder besitzen, darunter auch bekannte Marken wie Fischer. Außerdem gehören der Bahn ein Viertel des Bundeswehr-Fuhrparks, ein Beratungsunternehmen für Stadt- und Mobilitätsplanung sowie fünf Firmen, die in Saudi-Arabien Transporte und Logistik übernehmen.
Wolfgang Wiehle, bahnpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, sieht in den vielen Beteiligungen eine Gefahr für Steuermittel: „Im Falle einer Pleite ist für die Bahn mindestens das eingesetzte Kapital verloren, wofür letzten Endes der Steuerzahler haften muss“, schreibt Wiehle auf Anfrage von BuzzFeed News.
Der Großteil der DB-eigenen Firmen schreibt schwarze Zahlen, doch nicht alle. So gehören der Deutschen Bahn in Großbritannien 25 Prozent der „Rail Staff Travel Limited“ und 24 Prozent der „ATOC Limited“. Erstere kümmert sich darum, dass aktive und ehemalige Bahn-Mitarbeiter in Großbritannien günstiger Bahn fahren können. Letztere ist der britische Verband der Eisenbahnverkehrsunternehmen. Und beide haben das Geschäftsjahr zusammen mit rund 19 Millionen Euro Verlust abgeschlossen.
Der Traum vom Weltlogistikkonzern
Die vielen Firmen abseits des Bahn-Geschäfts sehen Kritiker als Symbol für eine verfehlte Expansionspolitik der Deutschen Bahn, die zulasten ihrer Aufgaben in Deutschland geht. 2002 kaufte die Bahn den Logistikriesen Schenker für rund 2,5 Milliarden Euro. 2010 kam dann der Nahverkehrskonzerns Arriva dazu, für rund 2,8 Milliarden Euro. Auch für diese wirtschaftlichen Risiken haftet der Bund mit – und damit der deutsche Steuerzahler.
„Die Auslandsbeteiligungen der Bahn machen keinen Verlust“, sagt Christian Böttger. „Aber die Hoffnungen, die mit diesen Firmenkäufen verknüpft waren, waren natürlich viel größer.“ Der Professor lehrt an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin gilt aus ausgewiesener Bahn-Experte. Mehrfach war er Gutachter im Verkehrsausschuss des Bundestages. Nach den Ankäufen von Schenker und Arriva seien die Töchter durch zahlreiche kleinere Zukäufe noch weiter ausgebaut worden. Dafür seien weitere Milliarden geflossen. Die Bahn habe im internationalen Markt kräftig mitverdienen wollen. Stattdessen zeigen die Zahlen heute ein ernüchterndes Bild.
So steigt der Anteil des Umsatzes, den die Bahn im Ausland macht, zwar stetig an – doch es fließen keine nennenswerte Gewinne aus dem Ausland zurück in die Deutsche-Bahn-Kasse. „Die Konzerntöchter (...) leisten so gut wie keinen Beitrag zur Finanzierung der Bahn in Deutschland“, kritisiert Matthias Gastel, Sprecher für Bahnpolitik bei der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Anfrage von BuzzFeed News. Und tatsächlich sind die Zahlen eher ernüchternd, wie die Bundesregierung auf zwei Fragen von Matthias Gastel hin einräumen musste. Demnach hat DB Schenker zwischen 2013 und 2018 insgesamt 343,3 Millionen Euro Dividenden gezahlt – durchschnittlich also nur rund 57 Millionen im Jahr.
Noch schlimmer sieht es bei Arriva aus. Von dort floss seit dem Kauf im Jahr 2010 lange gar keine Dividende zurück an die Bahn. Erst letztes Jahr gingen erstmals 50 Millionen Euro an die DB AG.
Das Resultat: Die Kosten für den Kauf von Schenker hat die Deutsche Bahn nach Auskunft der Bundesregierung jetzt gerade so wieder reingeholt. Für Arriva allerdings steht ein dickes Minus im Raum:
„Nach Angaben der DBAG ergeben sich (...) folgende „Schuldenstände“:
DB Schenker: | EUR +244 Millionen (Guthaben) |
Arriva plc: | EUR -1.697 Millionen |
Bahn-Experte: „Das könnte peinlich enden“
„Wenn man das Geld einfach am Finanzmarkt angelegt hätte, wäre da deutlich mehr Gewinn herausgekommen. Egal wie man das jetzt bewertet: Die Vision von der Bahn als Weltlogistikkonzern, die ist gescheitert“, sagt Professor Christian Böttger. „Die Bahn hat sich durch ihre internationale Einkaufstour selbst zum Sanierungsfall gemacht.“
Derzeit versucht die Bahn, ihre Tochter Arriva zu verkaufen. „Das könnte peinlich enden“, glaubt Christian Böttger. Denn mittlerweile kursieren Verkaufspreise um die drei Milliarden. Nicht genug, so Böttger: „Jahrelang hat die Bahn erzählt, was Arriva für ein toller Kauf war. Zum Start des Verkaufsprozesses hat das Unternehmen gegenüber dem Aufsichtsrat den Erlös auf vier bis fünf Milliarden geschätzt. Wenn der Verkaufspreis unter vier Milliarden liegt, würde ein Buchverlust anfallen.“
Das mittlerweile enorm komplizierte Firmenkonstrukt DB AG binde zudem „viel Manager-Aufmerksamkeit in Bereichen, die dem Bahnverkehr in Deutschland nichts nützen“, schreibt Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE.
Die Bahn selbst sieht das anders. „Einige Gesellschaften ergänzen das Kerngeschäft der DB“ und seien aktiv, um „erwartete Zusatzleistungen anbieten zu können und somit den Schienentransport attraktiver zu machen“, schreibt uns ein Sprecher. Doch auch er räumt ein: „Es kommt teilweise im Rahmen von Akquisitionen vor, dass im Zuge des Erwerbs einer Unternehmensgruppe auch bestehende Randaktivitäten erworben werden.“
Die Bahn reizt die Schuldengrenze aus
2016 hatte der Bund die Bahn mit einer milliardenschwere Finanzspritze stützen müssen, nachdem die erstmals seit zwölf Jahren rote Zahlen schrieb – und bei der Gelegenheit ein Warnsignal gesetzt. Die Bundestagsabgeordneten beschlossen eine Verschuldungsobergrenze für die Bahn in Höhe von 20,4 Milliarden Euro. Heute liegt diese Obergrenze aufgrund neuer Bilanzregeln für große Unternehmen bei 25,1 Milliarden Euro.
Doch eine rechtlich bindende Wirkung hat so ein Beschluss nicht. Er ist eine politische Willenserklärung. Ob die Aktiengesellschaft Deutsche Bahn sich daran hält oder nicht, das entscheiden ihr Vorstand und ihr Aufsichtsrat. Und sie haben entschieden: Am 30.06.2019 war die Bahn - rechnet man nach dem neuen Standard - bereits mit 25,4 Milliarden Euro verschuldet. Ende 2019 sollen es noch 24,6 Milliarden sein, so ein Bahn-Sprecher.
Rechnet man nach dem alten Standard erwartet die Bahn einen Schuldenstand von rund 20 Milliarden Euro am Ende des Jahres. Ende 2018 lag der noch bei 19,5 Milliarden.
Um es kurz und knapp zu sagen: Ende 2019 wird die Bahn mindestens 500 Millionen Euro mehr an Schulden haben als Ende 2018.
Bundesrechnungshof: „Nicht länger hinnehmbar“
Der Bundesrechnungshof, der alle Einnahmen und Ausgaben der Bundesregierung prüft, kritisiert den Kurs der Deutschen Bahn schon lange. Anfang des Jahres veröffentlichten die Rechnungsprüfer sogar eigens einen Sonderbericht über die Finanzen der Bahn – mit deutlichen Worten. Der Kurs, den die DB fährt, wird darin als „nicht länger hinnehmbar“ bezeichnet.
„Der fortlaufende Erwerb von Unternehmensanteilen insbesondere auch im Ausland hat zur hohen Verschuldung der DBAG beigetragen. (...) Selbst nach dem Beschluss des Haushaltsausschusses zur Schuldenbegrenzung der DBAG (November 2016) hat der Konzern in mehr als 20 Fällen und mit einem geplanten Kapitaleinsatz von über 250 Mio. Euro weitere Anteile an Gesellschaften mit Sitz im Ausland erworben. Die Bundesregierung hat diese Unternehmenserwerbe stets genehmigt. Damit hat sie eine der bekannten Ursachen für den weiteren Schuldenaufwuchs gesetzt“, heißt es ungewöhnlich deutlich in dem Bericht.
Die Forderung des Bundesrechnungshofs: „Nicht benötigte Unternehmensteile sollten vollständig verkauft werden. Dies betrifft insbesondere die Arriva plc. und die Schenker AG.“
Die Bahn scheint das wenig zu beeindrucken. „DB Schenker soll Teil des DB-Konzerns bleiben“, erklärte ein Bahn-Sprecher auf Anfrage von BuzzFeed News.
Beim Bund hat man sich offenbar längst damit abgefunden, dass die weltweiten Einkäufe der Bahn nur mäßige Gewinne abwerfen. Kursierte noch vor fünf Jahren die Summe von 700 Millionen Euro Dividende, die das Verkehrsministerium sich von der Bahn wünschte, wurden in der sogenannten „Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV II)“, die Bahn und Bund alle fünf Jahre miteinander schließen, für die Jahre 2015 bis 2019 deutlich geringere Zahlen beschlossen.
„Die Bahn braucht einen Neustart“
Mit der LuFV beschließen Bund und Bahn neben den Dividenden der Bahn auch die Zuschüsse, die vom Bund an das Unternehmen fließen. Die neue "LuFV III" sieht dafür von 2020 bis 2029 insgesamt 52 Milliarden Euro vor. Aus dem kürzlich beschlossenen Klimapaket der Bundesregierung sollen nochmal rund 20 Milliarden Euro fließen. Außerdem soll das Eigenkapital der Bahn bis 2030 um eine Milliarde Euro erhöht werden – pro Jahr.
Für Christoph Meyer, der für die FDP im Haushaltsausschuss des Bundestages Berichterstatter zum Thema Verkehr ist, zeigen all die Zahlen, „dass diese Unternehmung in einem freien Markt nicht bestehen könnte und seit Jahren nur von Steuergeld künstlich am Leben gehalten wird. Die Lösung kann nur lauten: Die Bahn braucht einen Neustart.“
Auch wenn sich niemand damit zitieren lässt: Aus dem Bundestag hört man, das Verhältnis von Verkehrsausschuss und Bahnvorstand sei zerrüttet. FDP-Politiker Christoph Meyer macht dafür die Bahn und ihre Manager verantwortlich: „Vielleicht würden wir heute zu einer anderen Bewertung kommen, wenn es in den Bahn-Vorstandsrunden zu den vorgelegten Zahlen mal ehrliche Aussprachen gegeben hätte – so wie es unter Firmenlenkern eigentlich Usus ist.“ Es scheint also fraglich, ob der gewünschte Neustart in absehbarer Zeit gelingt.
Alle Firmenbeteiligung der Deutschen Bahn: Hier zur kompletten Liste
Hintergrund: Wie berechnet die Bahn ihre Schulden?
Ganz einfach ist diese Frage nicht zu beantworten, denn: Seit dem 01. Januar 2019 gilt die Vorschrift IFRS 16 – und damit neue Regeln für die Bilanzen von großen Firmen.
Leasingraten müssen nun auch als Schulden ausgewiesen werden. Und so erhöhen sich auf dem Papier die Schuldenzahlen großer Firmen auf einen Schlag, obwohl real keine neuen Schulden aufgenommen wurden.
- Aus dem Haushaltsausschuss des Bundestages hieß es: Bei der Bahn dürften aufgrund dieser neuen Regeln zusätzlich rund 4,3 Milliarden Euro Schulden dazu kommen.
- Die Folge: Die ausgewiesene Nettoverschuldung der Bahn steigt auf dem Papier um ebenjene Summe an. Die Bahn selbst geht davon aus, dass sie das Jahr 2019 (nach dem neuen Standard) mit Schulden von 24,6 Milliarden Euro abschließen wird.
- Zieht man nun die 4,3 Milliarden Euro ab, die bei der Bahn nach IFRS 16 mit als Schulden ausgewiesen werden müssen, bleiben: 20,3 Milliarden. - Das Jahr 2018 hatte die Bahn mit einem Schuldenberg von 19,5 Milliarden Euro abgeschlossen. Sollte das also so kommen, würde die Bahn Ende 2019 ganze 800 Millionen höhere Schulden haben als Ende 2018.
Ein Bahn-Sprecher erklärte auf Anfrage von BuzzFeed News, das Unternehmen gehe (nach der alten Rechenmethode) davon aus, dass am Ende des Jahres 2019 der Schuldenstand auf rund 20 Milliarden Euro angewachsen sein wird. Das wären dann 500 Millionen Euro mehr als Ende 2018.
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