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Die Polizei darf nicht mehr massenhaft alle Kennzeichen scannen, sagt das Bundesverfassungsgericht

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Von: Marcus Engert

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Darf die Polizei alle Nummernschilder erfassen? Nein, sagen Deutschlands höchste Richter. Das wirft auch Fragen für Fahrverbote auf.

BuzzFeed.de © picture alliance / Daniel Karmann / dpa

Das Bundesverfassungsgericht hat die automatische Kennzeichenerfassung in großen Teilen für verfassungswidrig erklärt.

Damit darf die Polizei in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen nicht mehr automatisch alle Nummernschilder erfassen, um sie mit Datenbanken abzugleichen. In diesen Ländern kontrolliert die Polizei Kennzeichen bei allen Fahrzeugen auch ohne konkreten Verdacht.

Das verletzt Autofahrer und Autohalter in ihren Persönlichkeitsrechten und in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, urteilten Deutschlands höchste Richter jetzt.

Bis zum 31. Dezember 2019 müssen die Vorschriften in den betroffenen Ländern nun geändert werden. Eingeführt wurden die Massenabgleiche, um organisierte und schwere Kriminalität zu bekämpfen. Inzwischen werden sie unter anderem auch zur sogenannten „Schleierfahndung“ an den Außengrenzen genutzt.

BuzzFeed News hatte im Oktober

eine exklusive Recherche veröffentlicht

, wonach die zur Kennzeichenerkennung eingesetzten Systeme enorm fehlerhaft sind.

In Bayern schlagen die Kennzeichenscanner am häufigsten fehlerhaften Alarm: in 98 Prozent der Fälle.

BuzzFeed.de © BuzzFeed News / Via buzzfeed.com

Die Gründe für die hohen Fehlerquoten sind nach Recherchen von BuzzFeed News seit Jahren bekannt – abgestellt wurden sie bislang jedoch nicht. So können manche Systeme noch immer keine Leerzeichen verarbeiten, verwechseln Buchstaben und Zahlen oder sind schlicht mit schlechtem Wetter und der Dämmerung überfordert.

Darüber hinaus ergab unsere Recherche, dass der überwiegende Anteil der so aufgedeckten Straftaten gar keine schweren Vergehen sind.

„Nutzloses Sicherheitstheater“

Vor dem Bundesverfassungsgericht hatte der bayerische Informatiker Benjamin Erhart geklagt. Seit 2008 kämpft dieser mit Spendengeldern vor Gericht gegen die Kennzeichenerfassung.

Erhart erklärte per Pressemitteilung nach dem Urteil:

„Statt Populismus wäre mehr Nachdenken angebracht. Statt nutzlosem Sicherheitstheater, das Geld in die Kassen einiger weniger IT-Firmen spült, sollte das Geld lieber in gute Ausbildung, Ausstattung und ausreichend Personal bei den Sicherheitsbehörden gesteckt werden. Statt Massenüberwachung in allen Bereichen, die im Grunde die gesamte Bevölkerung zum Feind erklärt, sollten wir lieber daran arbeiten, langfristig die Freiheit aller zu sichern.“

Auch Patrick Breyer, Bürgerrechtler und Spitzenkandidat der Piratenpartei zur Europawahl 2019, geht seit Jahren gerichtlich gegen den KfZ-Massenabgleich vor. Er hatte beim Bundesverfassungsgericht darüber Beschwerde eingelegt, dass nun auch die Bundespolizei Kennzeichen-Scanner bekommen soll – entschieden hat das Gericht darüber noch nicht.

Breyer teilte, ebenfalls per Pressemitteilung, mit:

„Die permanente massenhafte automatisierte Kontrolle der gesamten Bevölkerung droht wie ein Krebsgeschwür immer weitere Kreise zu ziehen: Heute zur Fahndung und Beobachtung, morgen für Knöllchen gegen Temposünder und zur Diesel-Fahrverbotsüberwachung und übermorgen wird eine biometrische Gesichtserkennung an jeder Straßenecke eingeführt.“

Wie weiter mit den Diesel-Fahrverboten?

Spannend wird nun die Frage, wie kommende Fahrverbote umgesetzt werden sollen. Zur Einhaltung von Luftgrenzwerten war beim Bundesverkehrsministerium eigentlich vorgesehen, auf die Kennzeichenüberwachung zurückzugreifen – trotz der enormen Fehlerquoten.

Sowohl das Bundes-Immissionsschutzgesetz als auch das Straßenverkehrsgesetz sollten dafür geändert werden. Beide Entwürfe waren erst kürzlich Thema im Bundestag.

Ob das nun noch möglich ist, ist unklar. Patrick Breyer von der Piratenpartei glaubt, nein: „Mit der heutigen Entscheidung dürften die Diesel-Scanner-Pläne des Bundesverkehrsministers vom Tisch sein. Sie dienen nicht dem 'Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht', so wie es das Verfassungsgericht gefordert hat“, sagte Breyer in einem Telefonat mit BuzzFeed News.

Tatsächlich gelten Verstöße gegen Fahrverbote nur als Ordnungswidrigkeit. Sie werden mit Bußgeldern von bis zu 75 Euro geahndet – das ist die niedrigste Sanktionsstufe bei Bußgeldern. Als Abwehr einer besonders schweren Gefahr dürfte das vor Gericht keinen Bestand haben.

BuzzFeed News hat das Bundesverkehrsministerium um eine Stellungnahme gebeten. Sobald diese vorliegt, werden wir sie hier nachtragen.

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