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Diese Zahlen zeigen, dass Journalisten Schuld am Erfolg der AfD sind – aber nicht nur sie

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Von: Marcus Engert

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Haben die Medien die AfD hochgeschrieben? Gemeinsam mit Statistikern versucht sich BuzzFeed News an einer Antwort.

Die Berichterstattung im Vorfeld der Bundestagswahl hat die Umfragewerte der AfD steigen lassen. Das ist das Ergebnis einer gemeinsamen Untersuchung von BuzzFeed News und dem Lehrstuhl für Political Data Science an der Hochschule für Politik München.

„Hätten die Medien mehrere Wochen lang gar nicht über die AfD berichtet, wären die Umfragewerte unseren Berechnungen zufolge fünf Punkte niedriger“, so Lehrstuhlinhaber Professor Simon Hegelich . „Wird viel über die AfD berichtet, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Umfragewerte steigen.“

Simon Hegelich von der TU München
Simon Hegelich von der TU München © Privat

Die Auswertung zeigt: zunächst sorgen besonders gute AfD-Umfragewerte dafür, dass mehr über sie berichtet wird. Die steigende Berichterstattung wiederum hat dann einen positiven Einfluss auf die Umfragewerte drei Wochen später. Alle Grafiken zu unserer Auswertung finden sich am Ende dieses Textes.

Der Analyse zufolge gibt es zwar einen statistischen Zusammenhang, dieser lässt aber keine Rückschlüsse auf Ursache oder Wirkung zu. Es bleibt die Frage: wird mehr berichtet, weil die AfD bedeutender wird – oder umgekehrt?

Don't kill the messenger

Nach dem starken Wahlergebnis der AfD wird Journalistinnen und Journalisten vorgeworfen, sie hätten die AfD größer gemacht, als sie eigentlich sei. Sogar der Bundespräsident kritisierte die Medien. In der „Berliner Runde“ am Abend nach der Wahl platzte es auch aus dem CSU-Spitzenpolitiker Joachim Herrmann heraus: „Darüber wird in den nächsten Wochen auch noch zu diskutieren sein, in welchem Ausmaß die beiden Öffentlich-Rechtlichen Sender in den letzten Wochen massiv dazu beigetragen haben, in der Tat nicht die AfD klein zu machen, sondern groß zu machen“. Christian Ströbele empfiehlt der ARD, "nicht jeden Furz, den ein AfDler loslässt, selbst wenn der schlimm ist, tagelang immer wieder zu kommentieren. (...) Sie haben die hochgebracht." Marcus Pretzell, ehemaliger Vorsitzender der AfD in NRW, sagte: Wähler würden die AfD sogar gegen ihre eigenen Interessen wählen – wegen der Medien. Und der aktuelle Spiegel druckt Weidel und Gauland auf das Cover und schreibt: „Die AfD überrollt die Volksparteien.“

Ist die Medienkritik also berechtigt? Nicht unbedingt, findet Professor Simon Hegelich gegenüber BuzzFeed News: „Ja, es gibt einen statistischen Kausalzusammenhang zwischen der Häufigkeit der Berichte über die AfD und ihren Umfragewerten. Viel über die AfD berichten führt zu steigenden Umfragewerten. Ob zu viel über die AfD berichtet wurde, ist eine ganz andere Frage. Aufgabe der Medien ist es sicher nicht, durch Zurückhaltung in der Berichterstattung die AfD künstlich klein zu halten.“

„Hätten die Medien einfach nicht mehr über die AfD berichtet, wären sie ihrem Auftrag sicherlich nicht nachgekommen. Vielmehr muss man sich fragen, wieso die Berichterstattung, obwohl sie ja meist negativ ist, einen positiven Effekt auf Leute hat“, sagt Hegelich. „Die Gefahr, die AfD mit der Berichterstattung groß zu machen, ist – laut unserer Analyse – aber tatsächlich gegeben. Insofern ist es wichtig, dass Journalistinnen und Journalisten sich ihrer Verantwortung bei der Berichterstattung bewusst sind."

„Den Vorwurf des Hochschreibens halte ich für absurd“

Gerhard Vowe, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Uni Düsseldorf, sieht das ähnlich: „Den Vorwurf des 'Hochschreibens' halte ich für absurd. Was wäre denn die Alternative? Totschweigen? Proportional zur Wahlprognose behandeln?“

Sein Kollege Marcus Maurer, Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt „Politische Kommunikation“ in Mainz, weist noch auf einen anderen Punkt hin: „Für etabliertere, große Parteien ist die Tendenz wichtiger: wird hier negativ kommentiert und bewertet, sinken nicht selten auch die Umfragewerte. Für kleine und neue Parteien gilt das nicht. Hier ist es die Menge, die ausschlaggebend ist.“

Und der Statistik-Professor Gerd Bosbach erklärt zur Frage, ob viel Berichterstattung auch automatisch bessere Umfragewerte bedeutet: „Es ist nicht zwingend so, dass das eine passiert, weil das andere passiert. Um diese Frage zu beantworten, braucht es Logik und gesunden Menschenverstand – allein mit den Zahlen kommt man hier nicht weiter. Jeder Versuch einer einfachen These ist gefährlich. Nehmen Sie Merkel: die hat viel Berichterstattung - und bekommt die deswegen mehr Prozente? Eben nicht.“

Die Auswertung unserer Daten

Für unsere Analyse wurden folgende Datensätze ausgewertet:

Eine ausführliche Analyse inklusive Erklärung der angewandten Methoden findet sich auf dem Blog von Simon Hegelich.

Das sagt der Kommunikationswissenschaftler

Gerhard Vowe ist Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Sprecher der DFG-Forschergruppe „Politische Kommunikation in der Online-Welt“.
Gerhard Vowe ist Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Sprecher der DFG-Forschergruppe „Politische Kommunikation in der Online-Welt“. © Schader Stiftung / Via schader-stiftung.de

Gerhard Vowe: „Die AfD wird stärker in den Medien beachtet, als es ihrer demoskopischen Stärke im Vergleich zu anderen Parteien entspricht. Aber es steht nirgendwo geschrieben, dass die Medien sich nach der demoskopischen Stärke einer Partei oder eines anderen Akteurs in ihrer Berichterstattung richten müssen. Das wäre ziemlicher Unsinn. Die Medien richten sich in erster Linie nach Nachrichtenfaktoren, also den Faktoren, die aus einem Ereignis eine berichtenswerte Nachricht machen. Bei der AfD laden etliche Nachrichtenfaktoren sehr hoch: Konflikt, Dramatik, Negativität, Überraschung, Nähe. Nicht zuletzt bedient die AfD wie keine andere Partei die Mechanismen der medialen Aufmerksamkeitsökonomie.

Von daher ist die Kausalität darin zu sehen, dass die Publizitätsstrategie der AfD die Medien dazu bringt, in großem Umfang über die AfD zu berichten. Die Inhaltsanalysen zeigen aber auch, dass dies zumeist mit einer unverhohlenen Ablehnung geschieht. Die AfD wird thematisiert, aber es wird wenig neutral oder gar positiv berichtet.

Jetzt kommt die andere Richtung der Kausalität: Welche Wirkung hat dies auf die Wählerschaft und damit auf die Antworten bei der Sonntagsfrage usw.? Auch dies hat sehr viele Faktoren. Es ist nicht zu entscheiden, in wie weit die intensive Berichterstattung sich positiv für die AfD in der Zustimmung der Wählerschaft auswirkt, weil ihre Themen und ihre Personen publik gemacht werden, oder in wie weit sich dies negativ niederschlägt, weil damit immer auch eine Ablehnung durch Medien (und damit durch die etablierte öffentliche Meinung) verbunden ist.

Hinzu kommt ein zentraler Faktor: Die meisten Medienberichte erreichen die AfD-Sympathisanten über soziale Netzmedien und werden entsprechend durch Kommentare der Meinungsführer eingerahmt („Schaut euch mal diesen Mist an!“). Den Vorwurf des „Hochschreibens“ halte ich für absurd. Was wäre denn die Alternative? Totschweigen? Proportional zur Wahlprognose behandeln?"

Das sagt der Publizistikwissenschaftler

„Viel Berichterstattung ist nicht für alle Parteien gleich gut. Vielmehr sind es zwei Faktoren, die hier einen Einfluss haben könnten: erstens die Menge und zweitens die Tendenz der Berichterstattung.

Marcus Maurer ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt „Politische Kommunikation“ an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Marcus Maurer ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt „Politische Kommunikation“ an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. © Uni Mainz / Via polkom.ifp.uni-mainz.de

Für etabliertere, große Parteien ist die Tendenz wichtiger: wird hier negativ kommentiert und bewertet, sinken nicht selten auch die Umfragewerte. Für kleine und neue Parteien gilt das nicht. Hier ist es die Menge, die ausschlaggebend ist: Sie müssen bekannt werden und brauchen dafür öffentliche Aufmerksamkeit. Dazu brauchen sie wiederum Medienberichterstattung. Ob diese Berichterstattung negativ ausfällt, spielt mit Blick auf die Umfragewerte zur Wahlabsicht eine zu vernachlässigende Rolle.

Bei der Betrachtung der vorliegenden Frage wäre noch wichtig, einmal einen Blick auf die Flüchtlingsthematik zu werden. Meine Vermutung wäre, dass die AfD von der Berichterstattung hierzu ebenfalls mit profitiert – selbst, wenn sie gar nicht genannt bzw. gar nicht Teil der Berichterstattung ist. Hier werden unter Umständen bei Menschen Angst oder Vorbehalte aktiviert, und diese münden eher in der Wahl einer Partei wie der AfD als in der Wahl einer der bestehenden Parteien.“

Das sagt der Statistiker

„Man kann deutlich einen Zusammenhang zwischen Häufigkeiten in der Berichterstattung und Umfragewerten für die AfD sehen. Aber Ursache und Wirkung zu benennen, da wird es schwierig. Es ist nicht zwingend so, dass das eine passiert, weil das andere passiert. Um diese Frage zu beantworten, braucht es Logik und gesunden Menschenverstand – allein mit den Zahlen kommt man hier nicht weiter.

Gerd Bosbach ist Mathematiker und Professor für Statistik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Statistischen Bundesamtes.
Gerd Bosbach ist Mathematiker und Professor für Statistik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Statistischen Bundesamtes. © privat / Via luegen-mit-zahlen.de

Jeder Versuch einer einfachen These ist gefährlich. Nehmen Sie Merkel: die hat viel Berichterstattung - und bekommt die deswegen mehr Prozente? Eben nicht. Wir müssen schauen, welche Berichterstattung da läuft, nicht wie viel: und da ist es doch auffällig, dass bei negativer Berichterstattung jemand wie Frau Merkel oder die 'etablierten' Parteien verlieren, aber die AfD immer noch gewinnt. Ihr geht es darum, in die Köpfe zu kommen. Und das gelingt mit positiver wie mit negativer Berichterstattung.

Für die Umfragewerte ist noch wichtig, folgendes zu wissen. Befragte geben oft nicht zu, dass sie AfD wählen würde. Das ist als Schätzfaktor in die Prognosen bereits eingerechnet: die AfD wurde schön deutlich höher veröffentlicht, als sie in den Rohdaten gemessen wurde (bei der Forschungsgruppe Wahlen beispielsweise: gemessen 7%, veröffentlicht 10%). Im Gegenzug sagen viele Wähler 'etablierter' Parteien zuverlässig, sie würden die Partei x oder y wählen, gehen dann aber doch nicht zur Wahl.

Wie viele Menschen eine Partei wie die AfD aber nun überzeugen kann, da gibt es sozusagen eine natürliche Grenze – und da würde ein Zusammenhang zwischen Berichterstattung und Umfragewerten auch alsbald an seine natürliche Grenze kommen. Allerdings gibt es Faktoren, die dieses Potential deutlich vergrößern können: die Flüchtlingsthematik, die Finanzkrise, antieuropäische Ereignisse wie der Brexit zum Beispiel. Für wirkliche Probleme brauchen "etablierte" Parteien oder andere Organisationen schon Zeit für praktikable Lösungsvorschläge. Selbst wenn sie die Problemlösung nicht heraus zögern wollen, was ärgerlicherweise zu häufig passiert. Diese Zeit nutzen rechte Populisten für vermeintlich einfache Lösungen, die fast immer im Detail so gar nicht umgesetzt werden können und oft auch menschenfeindlich sind.

Vergleichsreihe 1: Wir vergleichen die Umfragewerte der AfD mit der Häufigkeit, mit der sie in der Tagespresse vorkommt. Unsere Grundlage dafür: die Texte von ZEIT und ZEIT ONLINE in den Jahren 2015 und 2016 sowie die Anfragen in der Google-Suche und die Ergebnisse bei Google News.

So verliefen die Umfragewerte der AfD in dieser Zeit.

BuzzFeed.de © Marcus Engert / BuzzFeed News / Via wahlrecht.de

Und so verliefen die Suchanfragen bei Google Search und Google News gemessen wurde – in den Jahren 2015 und 2016.

Die Grafik zeigt den Verlauf der Suchabfragen bei Google für die Begriffe „AfD“, „Petry“, „Höcke“, „Weidel“ oder „Gauland“. Die helle Linie zeigt das Suchinteresse bei „Google News“. Die dunkle Linie hingegen zeigt die Abfragen in der „Google Suche“. Beide Ergebnisse sind eher als Reaktion auf laufende Berichterstattung zu bewerten. Wir verwenden sie als Ableitung dafür, wie häufig die Menschen vor ihrer Google-Suche in ihrem Medienkonsum auf die Begriffe gestoßen sind. © Marcus Engert / BuzzFeed News / Via wahlrecht.de

Die Berichterstattung in der „ZEIT“ (grün) entspricht im Wesentlichen dem Suchinteresse bei Google, scheint also repräsentativ zu sein. Es zeigt sich: Peaks beeinflussen die Umfragewerte der AfD (blau) nicht, ein langfristiger Trend in der Berichterstattung tut das aber schon.

Die grüne Kurve zeigt die Häufigkeit des Begriffs „AfD“ in Veröffentlichungen von ZEIT und ZEIT ONLINE. Grundlage dafür ist der Textkorpus des DWDS.Auffällig ist außerdem, dass es eine sichtbare und nicht ignorierbare Übereinstimmung zwischen der Menge der Berichterstattung und der Google-Suche gibt – ein Indiz dafür, dass das sogenannte „Agenda-Setting“ funktioniert, was sich auch an den sehr deutlichen parallelen Ausschlägen zeigt. © Marcus Engert / BuzzFeed News / Via wahlrecht.de

Unsere zweite Vergleichsreihe: Ein Vergleich der AfD-Umfragewerte mit dem Interesse in der Google Search und bei Google News.

Die Suchabfragen haben wir bis 14 Tage vor der Bundestagswahl gemessen, da die Häufigkeit der Nennung ab dort überproportional zunimmt. Die helle Linie zeigt das Suchinteresse bei „Google News“. Die dunkle Linie hingegen zeigt die Abfragen in der „Google Suche“, die eher als Reaktion auf laufende Berichterstattung zu bewerten sind. © Marcus Engert / BuzzFeed News / Via Google Trends

Auch hier zeigt sich: Die Umfragewerte werden von kurzfristigen „Breaking News“ nicht beeinflusst, folgen aber einem langfristigen Trend.

Die Grafik zeigt deutlich: Es gibt keine 1:1-Wirkung von Berichterstattung zu Prognosen. Sonst hätte beispielsweise im Juli 2015 die blaue Kurve steigen und nicht fallen müssen. Aber: Es gibt durchaus einen langfristigen Trend, der sich beobachten lässt. Geht die Berichterstattung nach oben, folgt auch die Wahlabsicht mit ansteigenden Kurven. © Marcus Engert / BuzzFeed News / Via wahlrecht.de / Google Trends

Der Vollständigkeit halber: Vergleich der Wachstumsraten statt der absoluten Zahlen.

Die beiden Grafiken zeigen, wie sich der Wert im Vergleich zur Vorwoche verändert hat – und zwar in Prozent. Die obere Grafik zeigt die prozentuale Veränderung der Prognosen von Emnid, verglichen mit der Häufigkeit des Begriffs „AfD“ bei ZEIT und ZEIT ONLINE. Die untere Grafik zeigt das Selbe mit den Prognosen von Forsa. © Louis Knight-Webb & Marcus Engert / BuzzFeed News / Via Tableau Public / wahlrecht.de / dwds.de

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