Dieser Schriftsteller antwortet rechten Politikern – und der ganze Saal jubelt
„Man muss die Dinge beim Namen nennen. Und bitte erwarten Sie nicht von mir, dass ich mich dumm stelle.“
Jedes Jahr gedenkt Österreich am 5. Mai den Opfern des Nationalsozialismus. In diesem Jahr hielt der Schriftsteller Michael Köhlmeier eine Rede, die zum eindrücklichen Aufruf gegen Rechtspopulismus wurde. Köhlmeier sprach, während in den Zuschauerreihen vor ihm etliche FPÖ-Politiker saßen.
Die rechte FPÖ regiert in Österreich mit. Ihre Vertreter äußern sich immer wieder rechtspopulistisch, mitunter auch extremistisch. Auch in vielen anderen europäischen Ländern sind Rechtspopulisten in den letzten Jahren im Aufwind – und Michael Köhlmeier stellt die Frage: Darf man dazu schweigen?
Köhlmeiers gesamte Rede
„Man muss die Dinge beim Namen nennen. Und bitte erwarten Sie nicht von mir, dass ich mich dumm stelle.“
Schon zu Beginn seine Rede wird Michael Köhlmeier deutlich.
„Man muss die Dinge beim Namen nennen. Und bitte erwarten Sie nicht von mir, dass ich mich dumm stelle.“
Köhlmeier sagt, er stelle sich vor, wie die Ermordeten des NS-Regimes vor ihm stünden. Diesen Menschen wolle er sozusagen in die Augen sehen können, und sei es auch nur in der Phantasie.
„Und diese Menschen höre ich fragen: Was wirst du zu jenen sagen, die hier sitzen und einer Partei angehören, von deren Mitgliedern immer wieder einige nahezu im Wochenrhythmus Nazi-verharmlosende oder antisemitische oder rassistische Meldungen abgeben? Was wirst du zu denen sagen? Willst du so tun, als wüsstest du das alles nicht? Als wüsstest du nicht, was gemeint ist, wenn sie ihre Codes austauschen?“
Köhlmeier kritisiert deutlich, dass rechte Äußerungen immer öfter als alltäglich gelten und dass die Menschen sich nach und nach daran gewöhnen, statt dagegen aufzubegehren.
„Gehörst du auch zu denen, höre ich Fragen, die sich haben abstumpfen lassen? Die durch das Gespenstische immer wieder dieser Einzelfälle nicht mehr alarmiert sind, sondern im Gegenteil das häufige Auftreten solcher Fälle als Symptom der Landläufigkeit abtun? Des Normalen? Des „kennen wir eh schon“? Des einschläfernden „Ist nichts Neues“?“
„Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt. Nie.“
Der Schriftsteller erinnert daran, dass auch der Holocaust nicht auf einen Schlag passierte – sondern viele Jahre vorbereitet wurde.
„Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt. Nie. Sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan.“
Köhlmeiers Schlussfolgerung: man dürfe eben nicht schweigen. Und mehr noch: man habe keine Entschuldigung, wenn man es dennoch tue.
„Willst du feige die Zähne zusammenbeißen wo gar keine Veranlassung zur Feigheit besteht? Wer kann dir in deinem Land, in deiner Zeit, schon etwas tun, wenn du die Wahrheit sagst?“
„Sündenböcke braucht das Land.“
Gerade an der Frage, wie heute mit Flüchtlingen umgegangen werde, glaubt Köhlmeier, wiederhole sich die Geschichte.
„Wenn diese Partei, die ein Teil unserer Regierung ist, heute dazu aufruft, dass Juden in unserem Land vor dem Antisemitismus mancher Muslime, die zu uns kommen, geschützt werden mussten so so wäre das recht und richtig. Allein: ich glaube den Aufrufen nicht. (…)
„Sündenböcke braucht das Land. Braucht unser Land wirklich Sündenböcke? Wer traut uns solche moralische Verkommenheit zu?“
Dann erinnert Michael Köhlmeier an die frühen Jahre des Nationalsozialismus. An die Jahre, in denen die Verfolgung und Unterdrückung von Minderheiten zwar schon zur Politik gehörten, jedoch noch nicht exzessiv waren.
„Und sicher haben Sie sich gedacht: hätten diese armen Menschen damals doch nur fliehen können. Aber sie wissen doch: es hat auch damals schon Menschen gegeben, auf der ganzen Welt, die sich damit brüsteten, Fluchtrouten geschlossen zu haben.“
Die Frage, die sich durch die Rede von Köhlmeier zieht, ist diese: Darf man schweigen? Zumindest seine Antwort darauf ist eindeutig.
„Mir wäre lieber gewesen, man hätte mich nicht gefragt, ob ich sprechen will. Aber man hat mich gefragt und ich empfinde es als meine staatsbürgerliche Pflicht, es zu tun. Es wäre so leicht, all die Standards von „nie wieder“ und bis „nie vergessen“, diese zu Phrasen geronnenen Betroffenheiten aneinanderzureihen, wie es für Schulaufsätze vielleicht empfohlen wird, um eine gute Note zu bekommen. Aber dazu müsste man so tun, als ob - und das kann ich nicht und das will ich nicht.“
Die gesamte zweistündige Gedenkveranstaltung, in deren Rahmen Michael Köhlmeier sprach, gibt es hier als Video.
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