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Dieses Dokument zeigt: Das BKA hilft beim Aufbau einer Datenbank zur Gesichtserkennung

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Von: Marcus Engert

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Interpol wird eine Datenbank zur Gesichtserkennung aufbauen. Ob sich auch Deutschland daran beteiligt, war bislang offen. Nun ist klar: das BKA macht mit.

Das Bundeskriminalamt (BKA) wird sich an einer neuen Datenbank zur Gesichtserkennung bei Interpol beteiligen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine „Kleine Anfrage” des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (Die Linke) hervor. Demnach werden auch Gesichtsbilder, die bislang beim BKA gespeichert sind, in eine neue Datenbank überführt, die bei Interpol im Rahmen des Projektes „Interpol 2020” entsteht.

Ob sich auch Deutschland daran beteiligen wird, war bislang unklar. Es bestanden sowohl in technischer als auch in datenschutzrechtlicher Hinsicht Bedenken. Offenbar ist man bei den zuständigen Behörden nun zu dem Ergebnis gelangt, dass diese unbegründet sind.

Das bedeutet, dass in den für Fahndungen genutzten Datenbanken fortan neben Namen, Adressen oder Fingerabdrücken nun auch zu Gesichtern recherchiert werden kann. „Es wird nicht nach Gesichtern gesucht, sondern es wird ein Abgleich mit/von Gesichtern vorgenommen. Das Verfahren ist ein teilautomatisierter Prozess”, erklärte eine BKA-Sprecherin gegenüber BuzzFeed News.

Blick in das Programm, das auch bei Interpol zum Einsatz kommen soll.
Blick in das Programm, das auch bei Interpol zum Einsatz kommen soll. © Safran Morpho / Via usa.morpho.com

Diverse Anwendungszenarien denkbar

BuzzFeed News wollte vom BKA wissen, für welche der nachfolgenden Szenarien eine Anwendung der Gesichtserkennen ausgeschlossen wird:

- Zusammenführung mit Kameras an Bahnhöfen, um die dort aufgenommenen Fotos mit zur Fahndung ausgeschriebenen Personen abzugleichen - systematische Überprüfung von Gesichtern, die aus öffentlichen Quellen (youtube-Videos, Facebook, Twitter etc.) vorliegen - Abgleich mit Material aus Videoüberwachung im öffentlichen Raum - Abgleich mit Material aus Videoüberwachung in Bussen und Bahnen - Automatisierung der Abläufe beim Grenzübertritt (Hintergrund ist der derzeit laufende Aufbau eines Ein- und Ausreiseregister bei der EU)

Das BKA wollte keines der Szenarien explizit ausschließen und erklärte, pauschale Aussagen seien nicht möglich. „Vielmehr ergeben sich potentielle Anwendungsfälle aufgrund rechtlicher Vorgaben und technischer Möglichkeiten. Das führt zu einer rechtlichen Bewertung im Einzelfall”, so eine Sprecherin.

Wie Fotos in die Datenbank kommen

Um die in der Datenbank gespeicherten Gesichter abzugleichen, wird bei Interpol eine Software für Gesichtserkennung zum Einsatz kommen: „MorphoFace Investigate” der französischen Firma „Safran Identity & Security”. Zunächst werden dafür schon vorhandene Gesichtsbilder überprüft, die aus Datenbanken für Fahndungen und Vermisstensuche stammen. Sind die Bilder geeignet, werden sie in das neue System kopiert.

Damit all dies effektiv funktionieren kann, müssen die Bilder bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllen. Seitdem Ausweise und Pässe mit biometrischen Fotos erstellt werden, haben Sicherheitsbehörden weltweit Leitfäden veröffentlicht, wie diese Anforderungen aussehen - so auch Interpol:

Nur der erste Schritt?

„Die Einführung von Gesichtserkennung bei Interpol ist ein gewaltiger Schritt zur Überwachung der gesamten Bevölkerung”, kritisiert Linken-Politiker Andrej Hunko. ”Außer Passfotos wären auch Bilder hochauflösender Kameras aus der Videoüberwachung im öffentlichen Raum oder dem Nahverkehr für den Abgleich geeignet. Die Teilnahme des Bundeskriminalamtes an der zentral geführten Gesichtsdatenbank darf deshalb keineswegs durchgewunken werden.“

Bis auf Weiteres wird jede Abfrage händisch und teilautomatisch erfolgen. Automatisierte Abläufe gibt es nicht. Noch nicht - denn die Technik entwickelt sich schnell. Es ist zumindest theoretisch denkbar, dass fortan auch automatisierte Abfragen erfolgen.

Wird Facebook zum Fahndungsinstrument?

Die Ermittler könnten außerdem auch andere öffentliche Quellen hinzuziehen und schauen, wo das gesuchte Gesicht auftaucht: Videos auf YouTube, Einträge in sozialen Netzwerken, Kameraaufzeichnungen von Bussen, Straßenbahnen, Kaufhäusern oder öffentlichen Plätzen und so weiter.

Dass der Abgleich mit solchen Bildern mindestens denkbar ist, zeigt eine Interpol-Präsentation, die offenbar aus dem März 2014 stammt und von Mark Branchflower, einem Abteilungsleiter bei Interpol, erstellt wurde:

The future is here

Noch geht all das nicht. Rechtlich nicht. Und technisch auch nicht. Doch zumindest die Technik macht schnelle Fortschritte. Am Berliner Bahnhof Südkreuz läuft seit August ein Testlauf - eigentlich geplant bis Februar, nun nochmal um sechs Monate verlängert. BKA und Bundespolizei testen dort gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium und der Deutschen Bahn eine „intelligente Videoüberwachung“: Kameras erfassen die Menschen im Bahnhof, Programme sollen Gesichter erkennen und Personen über mehrere Kameras auf ihrem Weg automatisch verfolgen.

Die Horrorvision der Datenschützer ist, dass eine solche Verfolgung per Kamera über mehrere Bahnhöfe, Straßen und Plätze hinweg stattfinden könnte - und all das nur der erste Schritt auf dem Weg zu einem flächendeckenden Kontrollsystem ist.

Bei einem Pressetermin am Bahnhof Südkreuz, den netzpolitik.org damals protokollierte, wies Innenminister Thomas de Maizière (CDU) schon einmal eine Richtung, in die sich das Ganze entwickeln könnte: „Ich bin aber auch gerne bereit, mit den Ländern zu sprechen, ob sie bereit sind, dann diese Systeme für ihren öffentlichen Personennahverkehr, Bussysteme und anderes zu verwenden”, sagte der Minister damals.

Heute ist man davon noch weit entfernt. Die Technik gibt das nicht her. Die Gesetze auch nicht. Doch könnte ein BKA-Ermittler auch einfach in zwei Datenbanken recherchieren und Gesichter händisch vergleichen. Oder ein Richter lässt auf einen Beweisantrag einer eifrigen Staatsanwaltschaft hin Daten einer Bahnhofs-Kamera individuell herauslösen und dann mit den Interpol-Daten abzugleichen. Nichts davon wäre illegal - wenngleich das Verfahren natürlich sehr aufwendig und zeitintensiv wäre und somit wohl nur für sehr schwere Straftaten denkbar.

So manch einer fühlt sich an die Diskussion um Überwachungssoftware und Lauschangriffe zurückerinnert: „So wurde etwa der Staatstrojaner als ein schwerwiegender Eingriff in die Privat- und Intimsphäre von Menschen jahrelang damit begründet, dass er nur gegen Terroristen verwendet werden sollte. Kurz vor Ende der Legislaturperiode wurde der staatliche Computereinbruch nun aber für Dutzende weitere Verbrechen erlaubt, die keinerlei Bezug zum Terrorismus mehr haben”, schreibt Constanze Kurz, Informatikerin und Sprecherin des Chaos Computer Club, bei netzpolitik.org.

Können die Kritiker laut genug sein?

Die Debatte im Hintergrund ist hingegen nicht neu. Handys werden mit dem eigenen Gesicht per Blick in die Kamera entsperrt, Überweisungen per Fingerabdruck freigegeben, Smart-Home-Lautsprecher mit der Stimme gesteuert. Biometrie und neue Technik erleichtert unseren Alltag. Doch sie erleichtert auch Überwachung.

Stefan Brink, Landesbeauftragter für Datenschutz in Baden-Württemberg, erklärte im August im Programm von SWR2, wo er die Hürden sieht - und dass in den Augen der Datenschützer die Rechtslage in Deutschland noch alles andere als sicher ist: „Die erste Frage ist, ob es eine solche wasserdichte Rechtsgrundlage überhaupt geben kann, weil das ja verfassungsmäßig sein muss. Wir greifen da ganz tief in ein Grundrecht ein: das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Und gerade beim Einsatz von Gesichtserkennung kann man sehr schnell an die Grenze kommen, wo man sagt: Ich glaube, das ist mit unserer Verfassung nicht mehr vereinbar. Wenn man diesen Schritt gehen will, braucht man in erster Linie ein klar formuliertes, bestimmtes Gesetz, das sehr umfangreich und tiefgreifend nicht nur den Eingriff regelt, sondern auch Schutzmaßnahmen, damit diese Gesichtserkennung nicht ausufert und das am Ende tatsächlich unsere Gesellschaft verändert.”

Bisherige Rechtsgrundlage deckt Gesichtserkennung nicht ab

Das Bundespolizeigesetz bestimmt beispielsweise heute, wann und wie die Ermittler Kameras einsetzen dürfen, so:

„Die Bundespolizei kann selbsttätige Bildaufnahme- und Bildaufzeichnungsgeräte einsetzen, um1. unerlaubte Grenzübertritte oder Gefahren für die Sicherheit an der Grenze oder2. Gefahren für (...) Personen oder Sachenzu erkennen. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 muß der Einsatz derartiger Geräte erkennbar sein. Werden auf diese Weise personenbezogene Daten aufgezeichnet, sind diese Aufzeichnungen in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 spätestens nach zwei Tagen und in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 spätestens nach 30 Tagen zu vernichten, soweit sie nicht zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr oder zur Verfolgung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit benötigt werden."

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Die Erkennung von Gesichtern und automatisierter Abgleich mit Datenbanken deckt das Gesetz bislang nicht ab. „Wir reden von einem ganz neuen Schritt. Einer qualitativen neuen Form der Überwachung: Gesichtserkennung, die eben nicht nur bedeutet, es werden Bilder oder die Bewegung von Personen in der Öffentlichkeit aufgezeichnet, sondern es werden Schritte unternommen, um diese Person zu erkennen und zu identifizieren. Das ist ein elementarer, neuer Schritt. Da reichen die bisherigen Gesetze auf gar keinen Fall aus”, so Datenschützer Brink.

Die Frage nach der Fehlerquote

In den letzten Jahren lagen die Trefferquoten bei der Gesichtserkennung zwischen 80 und 90 Prozent. „Dadurch kommen immer auch unbescholtene Bürger in den Blick und werden möglicherweise polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt. Das war vollständig indiskutabel”, so Stefan Brink. Doch inzwischen seien die Trefferquoten deutlich besser, „so dass ich zunächst einmal durchaus Verständnis dafür habe, dass die Sicherheitsbehörden sagen: Ja, dann lasst uns das doch nutzen, um bestimmte Personen über die gesichtserkennende Videoüberwachung zu identifizieren.”

Auf die Frage hin, wie hoch die aktuelle Fehlerquote des zum Einsatz kommenden Programms „Morpho Face Investigate” ist und welche Fehlerquote seitens des BKA als noch tolerabel angesehen wird, antwortete die Behörde: dazu könne man keine Angaben machen.

Die Technik ist weiter, als das Recht

Interpol verfügt bereits über eine Fingerabdruck-Datenbank. Sie kommt zum Beispiel dann zum Einsatz, wenn Menschen die Außengrenze der Europäischen Union passieren wollen und ihre Identität überprüft werden soll. Die Fingerabdruck-Datenbank wird jährlich 40.000 Mal abgefragt.

Dass die Nachfrage nach Gesichtern deutlich höher ausfallen könnte, zeigt ein Blick zum BKA. Unabhängig von der bei Interpol entstehenden neuen Datenbank hat das BKA bereits ein „Gesichtserkennungssystem” (GES). Gegenüber BuzzFeed News erklärte die Behörde, im Jahr 2017 seien dort 27.346 GES-Recherchen durchgeführt worden - allein in Deutschland. Interpol hat derzeit 190 Mitgliedsstaaten, zu denen zum Beispiel auch China, Russland und die Türkei gehören.

Das Problem liegt bei biometrischer Erfassung für Datenschützer wie Stefan Brink ohnehin weniger in der Technik, sondern in der Einmaligkeit des damit getanen Schrittes: „Wenn man biometrische Maßnahmen trifft, heißt das immer, dass der Mensch einen Teil seiner Einmaligkeit preisgibt. Seinen Fingerabdruck gibt man genau ein Mal heraus. Und wenn man den herausgegeben hat, an ein Unternehmen oder eine Sicherheitsbehörde, dann kann man eben für die ganze restliche Zeit seines Lebens weltweit anhand dieses Merkmals eindeutig identifiziert werden. (...) Das steht und fällt mit dem Vertrauen, dass wir in den Anbieter haben, dass er mit diesen Daten kein Schindluder treibt.”

Die Antwort des Innenministeriums auf die Kleine Anfrage des Linken-Abgeordneten Andrej Hunko

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