Exklusiv: Sieben Landesärztekammern wollen das Informationsverbot bei Schwangerschaftsabbrüchen aufheben
Im Streit über den Paragrafen 219a fordern auf Anfrage von BuzzFeed News immer mehr Ärztekammern eine Änderung.
Sieben Landesärztekammer sprechen sich für eine Reform oder eine Abschaffung des umstrittenen Abtreibungsparagrafen 219a aus, nur zwei sind bislang explizit dagegen. Das ergibt eine Recherche von BuzzFeed News. Auf Anfrage sprachen sich in dieser Woche erstmals auch die Ärztekammern im Saarland, in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt für eine Änderung des umstrittenen Gesetzes aus.
In den vergangenen Wochen hatte sich immer mehr Landesärztekammern zu dem Thema positioniert. Berlin und Bayern riefen im Februar beziehungsweise April 2018 zu einer Änderung auf. Hessen forderte bereits im November vergangenen Jahres vom Gesetzgeber, den Paragrafen 219a zu überarbeiten, „so dass eine sachgerechte Information nicht mehr unter Strafe gestellt wird“.
Die Ärzteschaft in Hamburg forderte im April als erste Landesärztekammer sogar die Abschaffung des Paragrafen. Diese Haltung teilt auch der Hamburger Senat: Dort wurde bereits eine Liste aller Ärztinnen und Ärzte veröffentlicht, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.

Sieben Ärztekammern sind für eine Reform oder Abschaffung
Nun unterstützen auf Anfrage von BuzzFeed News drei weitere Landesärztekammern den Ruf nach einer Änderung des Paragrafen.
Die Landesärztekammer Mecklenburg-Vorpommern schreibt auf Anfrage, das eigentliche Werbeverbot sei „in der Realität zu einem Informationsverbot geworden. Dieser Zustand ist nach Ansicht der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern nicht akzeptabel.“ Die Honorierung der medizinischen Dienstleistung sei kein geeignetes Mittel zur Unterscheidung zwischen Information und Werbung, „da für jede ärztliche Leistung ein Anspruch auf Vergütung besteht.“
Die Präsidentin der Ärztekammer in Sachsen-Anhalt, Simone Heinemann-Meerz spricht sich für eine Änderung der aktuellen Regelung aus, teilt die Ärztekammer BuzzFeed News auf Anfrage schriftlich mit. Patientinnen benötigten einen zeitnahen und niedrigschwelligen Informationszugang. Dafür seien sachgerechte Informationen notwendig „ohne dass Ärzte sich dadurch der Gefahr strafrechtlicher Ermittlungen oder gar Verurteilungen ausgesetzt sehen“, so Heinemann-Meerz.
Presseanfrage gelöscht, da sie „für uns keinen Belang hat“
Im Saarland sagte eine Mitarbeiterin der Pressestelle auf telefonische Nachfrage von BuzzFeed News, man habe die entsprechende Anfrage gelöscht, da sie „für uns keinen Belang hat“. Auf den Einwand, dass Landesärztekammern zur Auskunft gegenüber Journalisten verpflichtet seien und nicht einfach wahllos Presseanfragen löschen könnten, entgegnete die Mitarbeiterin der Landesärztekammer, sie ließe sich nicht sagen, wie sie ihren Job zu machen habe.
Nur einen Tag später veröffentlichte jedoch auch die saarländische Ärztekammer eine Stellungnahme, in der sie sich für eine Änderung des Gesetzes ausspricht. Darin heißt es: Eine Arztpraxis oder eine andere ärztliche Einrichtung „müsse in Zukunft sachlich über das eigene Leistungsspektrum auch in Bezug auf die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen informieren können.“
Der Beschluss wurde mit großer Mehrheit vom saarländischen Ärzteparlament verabschiedet. Kammerpräsident Josef Mischo sagte laut Pressemitteilung: „Es geht hier darum, betroffenen Frauen in schwierigen persönlichen Situationen sachgerechte Informationen an die Hand zu geben und um die Veröffentlichung der Adressen von Medizinern, die Abtreibungen durchführen.“
Die Landesärztekammer Bremen positioniert sich nicht eindeutig für eine Abschaffung von 219a, scheint aber Reformbedarf zu sehen. In der Antwort heißt es: „Frauen müssen die Möglichkeit haben, sich sachlich und neutral über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die medizinischen Belange eines Schwangerschaftsabbruchs zu informieren. Wenn Frauen diese Information nicht ermöglicht wird, laufen die in § 218 geregelten Möglichkeiten des straffreien Schwangerschaftsabbruches in Deutschland ins Leere.“
Nur zwei Ärztekammern sprechen sich für 219a aus
Gegen eine Änderung oder Abschaffung des Paragrafen sind derzeit nur die Ärztekammer Niedersachsen und die Ärztekammer Nordrhein.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Ärztekammerpräsident Nordrhein, Rudolf Henke, sieht keine Notwendigkeit für eine Reform des § 219a. Das geltende Abtreibungsrecht sehe eine regulierte Beratung vor, an der vorbei sich Ärzte nicht an die Öffentlichkeit wenden sollten, sagte Henke dem Evangelischen Pressedienst.
Niedersachsen antwortet auf Anfrage von BuzzFeed News, die Meinungsbildung in der jüngsten Sitzung der Kammerversammlung der Ärztekammer Niedersachsen wiese klar in Richtung gegen eine Abschaffung des Paragraphen 219a. Die Präsidentin der niedersächsischen Landesärztekammer, Martina Wenker, halte die gegenwärtig geltende Regelung für ausgewogen. Jede Änderung des Paragrafen 219a ändere zwangsläufig das vom Bundesverfassungsgericht gebilligte Gefüge der aufeinander aufbauenden Paragrafen 218, 219 und 219a zu Lasten des ungeborenen Lebens.

Fünf Ärztekammern beraten sich noch
Noch nicht äußern wollten sich auf Anfrage von BuzzFeed News die Ärztekammern in Westfalen-Lippe, Thüringen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Schleswig-Holstein. Es gebe noch keine abschließende offizielle Meinung, schrieben die Ärztekammern, dafür seien Abstimmungsprozesse mit Delegierten und Mitgliedern notwendig. Verwiesen wurde stattdessen mehrfach auf den Deutschen Ärztetag im Mai in Erfurt. Dort wird das Abtreibungsgesetz voraussichtlich Thema werden.
Gar nicht geantwortet haben bislang Baden-Württemberg und Brandenburg, trotz mehrfacher Nachfrage von BuzzFeed News.
Eine öffentliche Liste mit Abtreibungsärztinnen
Wesentlich zurückhaltender äußerten sich die Ärztekammern auf den jüngsten Vorschlag des Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Er hatte vergangene Woche vorgeschlagen, eine zentrale Liste mit den Ärztinnen und Ärzten zu erstellen, die Abtreibungen vornehmen. Verantwortlich für eine solche Liste könnten die Landesärztekammern oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sein.
Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulle Schauws, kritisierte diesen Vorschlag in einer Pressemitteilung. „Solange Paragraf 219a im Strafgesetzbuch bestehen bleibt, müssen Ärztinnen und Ärzte fürchten, angezeigt und verurteilt zu werden, nur weil sie Frauen in einer Notlage medizinisch seriös informieren. Das kann doch nicht das Ansinnen des Präsidenten der Bundesärztekammer sein.“ Der Vorschlag von Frank Ulrich Montgomery gehe am Problem vorbei. Ärztinnen und Ärzte bräuchten Rechtssicherheit.
Ob die Landesärztekammern die richtige Stelle wären, um solche Listen zu veröffentlichen, darüber gibt es gespaltene Meinungen. Die Sächsische Ärztekammer etwa hält eine solche Liste für hilfreich. Andere Bundesländer möchten zunächst einen rechtliche Klärung, wie etwa Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Die Ärztekammer Bremen erklärte auf Anfrage: „Die veröffentlichende Stelle muss Rechtssicherheit haben, dass sie die Liste auch veröffentlichen darf. § 219a muss daher rechtssicher formuliert oder auszulegen sein.“
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