Gefahr in der Pflege: Wir recherchieren zu gefährlichen Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern und Pflegeheimen
Pflegekräfte können sich bei BuzzFeed News und der ARD melden.

Seit Jahren reden alle über die Pflege. Egal ob Spiegel, Tagesschau oder RTL, egal ob Kanzlerinnenduell oder Lokalzeitung. Sie alle reden darüber, wie schwierig es ist, in der Pflege zu arbeiten. Und wie schlecht es deshalb den Menschen in Kliniken und Heimen oft geht. Hat sich seitdem etwas geändert? Das wollen wir herausfinden. Deshalb nehmen wir uns das Problem Pflege nochmal vor. Und bitten euch darum, uns zu helfen.
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Demente Patienten laufen weg. Menschen liegen stundenlang in ihrem Urin oder bekommen keine Hilfe beim Essen. Medikamente werden vertauscht. Die harten Bedingungen und das fehlende Personal sorgen für zum Teil lebensgefährliche Situationen in deutschen Krankenhäusern und Altenheimen. Diese Situationen werden oft in sogenannten Gefährdungsanzeigen festgehalten. Und die wollen wir uns anschauen. Um abzuschätzen, wie groß das Problem noch immer ist.
Die Bundesregierung hat Anfang 2019 ein Gesetz verabschiedet, dass 13.000 Stellen für die Altenpflege verspricht. Bis vor wenigen Monaten sind offenbar fast keine dieser Stellen besetzt worden. Obwohl Gesundheitsminister Spahn auf dem Balkan, in Mexiko und auf den Philippinen nach Pflegerinnen sucht. In den vergangenen Jahren wurde immer wieder berichtet, dass in der Altenpflege rund 40.000 Stellen fehlen. In Krankenhäusern sind es derzeit offenbar nochmal rund 80.000 weitere Pflegerinnen und Pfleger.
Wo ist so wenig Personal, dass es gefährlich wird?
BuzzFeed News Deutschland und die ARD-Sendung plusminus konzentrieren sich deshalb auf das Problem des Personalmangels. Wir wollen genau wissen: Wie oft werden Bewohner und Patienten vernachlässigt, weil einfach zu wenige Pflegerinnen und Pfleger da sind? In welchen Situationen, auf welchen Stationen, bei welchen Konzernen kommt es besonders häufig zu Problemen? Und darauf aufbauend: Wer ist schuld und was müsste sich ändern?
Um das herauszufinden, haben wir gemeinsam mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv eine Umfrage mit dem Namen „Gefahr in der Pflege“ erstellt. Hier können Pflegerinnen und Pfleger uns von gefährlichen Situationen berichten, sicher und auch anonym. Wir schauen uns die Berichte an und recherchieren dazu nach journalistischen Kriterien. Vorwürfe, Muster und Hintergründe, die wir belegen können, veröffentlichen wir. Die Recherche basiert auf einer Anregung des „Pflegebündnis Lüneburg“, das sich für mehr Personal in der Pflege einsetzt und Pflegekräfte darin bestärken, gefährliche Situationen häufiger zu melden.
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Wir orientieren uns für unsere Umfrage an den sogenannten Gefährdungsanzeigen. In ihnen kommt all das zusammen, was in der Pflege schiefläuft. Wenn Pflegerinnen und Pfleger überfordert sind, können sie eine Gefährdungsanzeige an ihre Arbeitgeber schreiben. Diese sind zum Notwehrinstrument der Pfleger*innen geworden, sagt Annette Klausing, bei verdi in Niedersachsen und Bremen für die Pflege zuständig.
Gefährdungsanzeigen durch das Personal sind so wichtig, weil die Kontrolle der Pflege von außen oft ungenügend ist. Statt die konkrete Arbeit zu kontrollieren, geht es oft nur um bürokratische Fragen. Und das, was an die Öffentlichkeit kommt, ist vor allem Augenwischerei. Das haben Recherchen von Correctiv im Jahr 2016, gezeigt.
BuzzFeed News liegen bereits Gefährdungsanzeigen vor. Eine Pflegerin schreibt, sie sei im Nachtdienst komplett alleine gewesen, obwohl mehr zu tun gewesen sei als üblich. Mehrere schwere Operationen und ein dementer Patient hätten zu „grenzwertigem Arbeiten“ geführt. Andere schreiben von verwirrten und aggressiven Patienten, die ständig weglaufen, von vielen Pflegefällen oder sehr aufwendigem Arbeiten. Eine Pflegerin schreibt: Der Pflegedienstleitung ist die Situation bekannt.
Rechtliche Absicherung für Pflegekräfte
Mit einer Gefährdungsanzeige sichern Pfleger*innen sich auch rechtlich ab. Zum Beispiel dann, wenn Patientinnen oder Angehörige klagen wollen. Das Pflegepersonal ist gesetzlich verpflichtet, ihrem Heim oder Klinikum Gefährdungen zu melden. Pflicht des Arbeitgebers ist es dann, die Gefahrenlage zu prüfen, zu bewerten und die Gefährdungen abzuwenden.
Der gesetzliche Rahmen ist eindeutig. Die Praxis sieht oft anders aus. „Die meisten Pflegekräfte schreiben keine Gefährdungsanzeige aus Angst vor Kollegen und Arbeitgebern. Aus Angst, gemobbt oder rausgeworfen zu werden”, sagt Reinhard Leopold. Er ist ehrenamtlicher Berater beim BIVA Pflegeschutzbund und steht in engem Kontakt mit Pflegekräften und Bedürftigen. Häufig würden die Probleme individualisiert. Dann hieße es gegenüber der Kolleg*innen: „Wieso schaffst du das nicht. Die Anderen schaffen es.“
Genaue Zahlen, wie viele Gefährdungsanzeigen gestellt werden, sind öffentlich nicht bekannt. In den Medien kommen Gefährdungsanzeigen bisher eher selten vor, dabei sind sie eine gute Grundlage für weitere Recherchen. Zuletzt hatten etwa Zeit Online und Report Mainz auf Grundlage von etwa 100 Gefährdungsanzeigen über Probleme in Krankenhäusern berichtet.
Verschlüsselt und sicher bei uns melden
Auch die Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen scheint Pfleger*innen davon abzuschrecken, noch häufiger Missstände in ihren Pflegeeinrichtungen zu melden. Die Krankenpflegerin Lidia Schuster erhielt eine Abmahnung, nachdem sie ihren Arbeitgeber auf Personalmangel hingewiesen hatte. Die Pflegerin Brigitte Heinisch wurde fristlos gekündigt, zog bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und erhielt dort Recht. Elf Pfleger wurden zeitgleich entlassen, als sie in ihrem Pflegeheim in Dorsten 2014 gemeinsam eine Gefährdungsanzeige stellten.
Die Abmahnungen und Kündigungen sprechen sich rum. Pflege-Aktivist Reinhard Leopold fordert daher, dass Arbeitnehmer*innen besser geschützt werden: „Wir bräuchten einen Whistleblower Schutz, der umfassend ist und der anonyme Mängelberichte ermöglicht”, sagt Leopold.
BuzzFeed News und NDR schaffen deshalb die Möglichkeit, sich über ein sicheres Portal zu melden und die sonst in Gefährdungsanzeigen beschriebenen Probleme bei Bedarf anonym an uns zu schicken. Die Beschwerde geht nicht an den Arbeitgeber, sondern an Medien, die sorgsam damit umgehen und Quellenschutz garantieren. Wir können von niemandem dazu gezwungen werden, unsere Gesprächspartner offenzulegen und haben jahrelange Erfahrung im Umgang mit anonymen Quellen. Hier gibt es noch einige weitere Informationen über den Quellenschutz bei BuzzFeed News Deutschland.
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