Wirbel um fragwürdige Literatur: Ist dein Buchladen dabei?

Zwei Buchhändlerinnen aus Halle sind verärgert, im Verkauf tauchen problematische Inhalte auf. BuzzFeed deckt ein verstecktes Problem im deutschen Buchhandel auf.
Die deutsche Buchbranche hat ein Problem mit rechter Literatur. Das belegen Recherchen von BuzzFeed News DE und zwei Buchhändler:innen aus Halle. Danny und Sarah Lutzemann betreiben dort die diverse Buchhandlung „Kohsie“. Ein Ort, an dem es nur Literatur weiblicher, inter- und nicht-binärer Autor:innen geben soll. Im Laden klappt das. Im Online-Shop dagegen müssen die beiden ständig aufpassen, nicht aus Versehen rechte oder rassistische Literatur zu verkaufen.
Denn die Lutzemanns nutzen wie viele kleine Buchhandlungen in Deutschland einen sogenannten „White-Label-Shop“ des Großhändlers Libri für ihr Online-Geschäft. Quasi ein „gemieteter“ Online-Shop, der sich die Website der Buchhandlung nahtlos einfügt. Über ihn können Kund:innen aber nicht nur das Kohsie-Sortiment bestellen, sondern alle Bücher, die Libri vertreibt. Dazu gehören standardmäßig auch Bücher menschenfeindlicher und rechtsradikaler Verlage. Sie tauchen Seite an Seite mit dem Angebot der Buchhandlung aus Halle auf.
So geht es vielen Buchhändler:innen in Deutschland. Sie sind auf die White-Label-Shops angewiesen, weil sie einen eigenen Online-Shop selbst nicht stemmen könnten. BuzzFeed News DE zeigt, wie menschenfeindliche Literatur in Deutschland über das Internet salonfähig gemacht wird und wie tausenden Buchhändler:innen in Deutschland dabei die Hände gebunden sind.
White-Label-Shops im Buchhandel öffnen das Tor zu rechter Literatur
Libri ist einer der größten sogenannten Absatzmittler für Bücher in Deutschland. Damit stellt das Unternehmen eine Art Brücke zwischen Verlagen und Buchhändler:innen dar: Es schließt Verträge mit Verlagen und beliefert Buchhandlungen mit Büchern. Zu seinen Hauptkonkurrenten gehören Zeitfracht und Umbreit. Alle drei bieten Buchhändler:innen White-Label-Shops an, über die deren Kund:innen Literatur bestellen können.
Auf seiner Website nennt Libri den eigenen White-Label-Shop einen „Onlineshop ganz nach Ihren Bedürfnissen“. Doch mit der Bedürfnisorientierung scheint es offenbar nicht weit her zu sein. Sarah Lutzemann, Inhaberin der Buchhandlung Kohsie, muss ein Mal pro Woche stundenlang neu erschienene Buchtitel recherchieren und jedes Buch einzeln sperren, das sie nicht in ihrem Online-Shop haben will.

„Rechten Verlagen wird es damit so leicht gemacht“, kritisiert Lutzemann. Schon mehrfach habe sie von Libri gefordert, wenigstens einzelne Verlage sperren zu können, um so leichter den Online-Shop von rechtsextremer und rassistischer Literatur zu befreien. Mit dem Hinweis auf Meinungsfreiheit habe Libri diese Forderung bisher abgewiegelt, sagt sie. „Dabei greift das Argument der Meinungsfreiheit nicht, denn Antisemitismus und Rassismus sind keine Meinung“, sagt Sarah Lutzemann.
Libri verweist auf die „Verantwortung für Meinungsfreiheit und Vielfalt“
Auf Nachfrage von BuzzFeed News DE, warum Buchhändler:innen Verlage nicht direkt sperren können und ob man sich bewusst sei, rechte Literatur salonfähig zu machen, antwortet Libri: Man biete nur Literatur an, die nicht gegen geltendes Recht verstoße und prüfe bei konkreten Hinweisen einzelne Titel, gerade beim Jugendschutz. Verlage auszuschließen, sei für das Unternehmen jedoch keine Option – man nehme die eigene „Verantwortung für Meinungsfreiheit und Vielfalt“ ernst.
„Eine solche Form der Kontrolle von Meinungsäußerung kann und darf nicht die Aufgabe des Buchgroßhandels sein“, heißt es vom Großhändler. Deswegen gebe man Buchhändler:innen die Möglichkeit, einzelne Titel auszuschließen. „Sie haben damit nicht nur in ihrer stationären Buchhandlung selbst, sondern auch in ihrem Online-Shop die volle Entscheidung darüber, welche Titel sie ihren Kund:innen anbieten möchten.“
Mehr zum Thema? Im Oktober 2022 sorgten rechte Bücher im Online-Shop von Kaufland für Aufsehen.
Rechtsradikale Literatur: Auf Verlagsebene zu sperren „könnte wirklich etwas ändern“
Doch weil die Sperrung einzelner Titel so aufwendig ist, nutzt nur ein Prozent der Händler:innen diese Möglichkeit (das bestätigt sogar Libri). Könnte man Verlage direkt sperren, hätten auch kleine Buchhandlungen keine Ausrede mehr und müssten Stellung beziehen, so Sarah Lutzemann. Es gehe also auch um Verantwortung. Bisher drücke sich die ganze Buchbranche nämlich davor, rechten Verlagen die Stirn zu bieten, so ihre Meinung.
„Wenn man auf Verlagsebene sperren könnte, dann könnte dies wirklich etwas ändern“, sagt ihr Partner Danny Lutzemann. Dass ein Verlag sich für ein „menschenfeindliches Programm“ entscheide, könne niemand verhindern. „Aber dass ein Großhändler das Programm aufnimmt und es in über 1300 Online-Shops reproduziert, das schreit für mich nach einem strukturellen Rassismusproblem der Buchbranche.“

Menschenfeindlich ist auch die Aussage „Nur zwei biologische Geschlechter“ von Marie-Luise Vollbrecht, denn sie befeuert Hass in unserer Gesellschaft.
Bücher rechter Verlage in mehr als 1300 Online-Shops sofort lieferbar
Was Lutzemann damit meint: In Deutschland nutzen mehr als 1300 Buchhandlungen die Shops von Libri und deren Partnersystem geniallokal von eBuch, weil ein eigener Webshop für die sie logistisch und finanziell nicht möglich ist. Sie sind alle auf Buchhandlung.de zu finden.
BuzzFeed News DE hat über diese Website stichprobenartig bei mehreren Buchhandlungen nach Literatur von rechten Verlagen gesucht.
Dazu legten wir eine Liste mit Verlagen an, die Expert:innen in der Vergangenheit als rechts oder sogar rechtsradikal einstuften. Wir beziehen uns auf Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), des Bundesamts für Verfassungsschutz und der Amadeu-Antonio-Stiftung. Unser Ergebnis: Wenn eine Buchhandlung nicht – wie Kohsie in Halle – aufwendig einzelne Bücher sperrt, sind Bücher dieser elf Verlage in ihrem Libri-Online-Shop meist sofort lieferbar:
- Arndt Verlag: David Irving – „Goebbels“, „Görings Geheimdienst“ und viele weitere Titel
- Winkelried Verlag: David irving – „Tragödie der deutschen Luftwaffe“
- Junge Freiheit Edition: Karlheinz Weißmann – „Deutsche Geschichte für junge Leser“
- Manuscriptum: Michael Klonovsky – „Bunt wie ein Niqab“
- Kopp Verlag: Jost Bauch – „Abschied von Deutschland“, Christian Jung – „Staats-Antifa“, Udo Ulfkotte – „Grenzenlos Kriminell“
- Jungeuropa Verlag: Alain De Benoist – „Den Westen brechen“
- Landt Verlag: Rolf Peter Sieferle – „Finis Germania“
- Amadeus Verlag: Jan van Helsing – „Der Dritte Weltkrieg“, „Wir töten die halbe Menschheit - und es wird schnell gehen!“
- Ares Verlag: Volkmar Weiss – „Das IQ-Gen – verleugnet seit 2015“, Martin van Creveld – „Hitler in Hell“, Wolfgang Dvorak-Stocker – „Was ist deutsch“, „Europa und das Reich“, Caspar von Schrenck-Notzing – „Charakterwäsche“
- Grabert Verlag/ Hohenrain Verlag: Friedrich Georg – „Verrat an der Ostfront“, Rolf Kosiek – „Der Grosse Wendig 2“, „Die Machtübernahme der 68er“
- Antaios Verlag: Alexander Schleyer – „Defend Europe“
*Diese Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Rechtsextremismusforscher: „Das sind alles weit rechtsstehende Bücher“
Verboten ist keins der Bücher. Diese und viele weitere stehen im VLB, dem Verzeichnis Lieferbarer Bücher, das der Börsenverein des Deutschen Buchhandels führt. Nur Bücher, die explizit verboten oder indiziert (also als „jugendgefährdend“ eingestuft sind), stehen nicht im VLB. „Solange die Bücher dort rechtmäßig angeboten werden, dürfen sie grundsätzlich auch verkauft werden“, sagt der Medienanwalt Christian Solmecke BuzzFeed News DE.
Es gehe in diesem Fall also eher um die Bedingungen des Vertrags, den die Buchhändler:innen mit Libri hätten, so der Anwalt. Dass die Buchhändler:innen diese zumindest problematisch finden, kann der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber nachvollziehen. Er hat das Buch „Intellektuelle Rechtsextremisten“ geschrieben und forscht zum Thema Rechtsextremismus. „Das sind alles weit rechtsstehende Bücher, zum Großteil auch rechtsextremistisch“, sagt er zu unserer Liste. Der Antaios Verlag sei so etwas wie das organisatorische Zentrum der Neuen Rechten. Er wird sogar vom Verfassungsschutz beobachtet.

„Diese Literatur, selbst wenn sie nicht verboten ist, macht Verschwörungsideologien und auch Antisemitismus salonfähig“, sagt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, BuzzFeed News DE. Sich dem entgegenzustellen, halte er für „mehr als gerechtfertigt“. „Jeder Buchhändler und jede Buchhändlerin sollte entscheiden dürfen, ob über seinen Online-Handel Geschichtsrevisionismus und Pseudowissenschaft an der Grenze zur Schoa-Verleugnung vertrieben wird.“
[Anm. der Red.: Geschichtsrevisionismus bezeichnet Versuche, eine anerkannte Vorstellung von Geschichte anders zu erklären und zu deuten. Bei einschlägig rechter Literatur bedeutet dies häufig, den Holocaust zu leugnen, so wie es auch die gefälschten Hitler-Tagebücher laut einer neuen Analyse des NDR versuchten.]
Rechte Verlage bei anderen Buch- und Großhändlern wie Thalia
Wie gehen eigentlich große Online-Buchhändler wie Thalia mit rechten Verlagen um? Sie haben ihren eigenen Online-Shop und bieten ihn einzelnen Ketten wie Osiander als White-Label-Lösung an. „Das Problem antisemitischer oder rassistischer Inhalte, die über unverdächtige Datenquellen bei aktiver Titelsuche automatisch auffindbar sind, ist bekannt“, bestätigt Thalia BuzzFeed News DE.
Der Buchhandel stoße hier an Grenzen, da die rechten Herausgeber so findig seien und „für die gleichen Titel immer wieder neue ISBN-Nummern oder Verlagsnamen vergeben“. Außerdem fehle eine „einheitliche Systematik“, die rechte Verlage und Autor:innen auf einen Index setze. Auch im Online-Shop von Thalia gehe es beim „manuellen Löschen“ deswegen „immer um das einzelne Buch“.
Wir fragen die beiden Konkurrenten von Libri, ob die Großhändler ihren White-Label-Shop-Kund:innen erlauben, Verlage direkt auszuschließen – statt mühsam jedes einzelne Buch sperren zu müssen, wie es bei den Lutzemanns in Halle der Fall. Bei Zeitfracht können Buchhändlerinnen offenbar „Ausschlüsse von Verlagen, Titeln oder Warengruppen melden“, sagt ein Unternehmenssprecher BuzzFeed News DE. Bei Umbreit hingegen geht nur die Sperrung von einzelnen Büchern. Alles andere „würde einer Diskussion um das Thema Zensur Tor und Türe öffnen“, so das Argument.
Meinungsfreiheit und Zensur als Ausrede, „keine Haltung zu zeigen“
Dabei greife dieses Argument von Libri und auch Umbreit nicht, denn Zensur sei eine Entscheidung des Staates, sagen Experten. „Hier geht es um private Buchhandlungen, die nicht unter ihrem Namen rechtsextremistische Literatur verbreiten möchten. Das hat mit staatlicher Zensur verständlicherweise nichts zu tun“, sagt Politikwissenschaftler Pfahl-Traughber. Die rechten Verlage könnten ja weiterhin verkaufen – nur eben nicht bei einer solch breiten Masse der Bevölkerung.
Simone Rafael von der Amadeu-Antonio-Stiftung sieht das ähnlich. „Oft werden im Kulturbereich Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit genutzt, um zu Rechtsextremismus, Rassismus oder Antisemitismus keine Haltung zu zeigen.“ Es sei fraglich, ob Libri mit den Verlagen überhaupt zusammenarbeiten müsse. Wenn das Unternehmen darauf bestehe, wäre es „eine einfache und prägnante Lösung, wenn sich bei Libri ganze Verlage auf Wunsch der Online-Händler“ sperren ließen. Denn: „Je niedrigschwelliger es möglich ist, mit rechtsextremer Ideologie in Kontakt zu kommen, desto akzeptierter erscheint sie“, sagt Rafael.
Rechtsextremismus in der Buchbranche
Auch bei der Buchmesse 2021 in Frankfurt wurde mit dem Argument der Meinungsfreiheit dafür argumentiert, rechtsextreme Verlage wie „Jungeuropa“ und „Oikos“ einzuladen. Das löste eine große Debatte über Rechtsextremismus auf der Buchmesse und in der gesamten Buchbranche aus.
Die Autorin Jasmina Kuhnke, die auf der Messe ihren Debütroman „Schwarzes Herz“ vorstellen wollte, sagten den Besuch der Buchmesse ab, weil sie sich dort nicht sicher fühlten. Unter dem Hashtag #BuchmesseBoykott riefen Menschen im Netz sogar dazu auf, nicht zur Buchmesse zu gehen, solange „Jungeuropa“ und „Oikos“ dort geduldet seien.
Muss sich ändern, dass auf so vielen Online-Shops „menschenfeindliche Literatur vermarktet wird“
Die Buchhandlung „She Said“ in Berlin nutzt ebenfalls den White-Label-Shop von Libri. Auf ihrer Website prangt in knallrot ein Disclaimer, dass man einen Libri-Shop nutze und dort auch andere Literatur zu finden sei. Kund:innen hätten sich nämlich schon beschwert, erzählt „She Said“-Gründerin Emilia von Senger. „Wir hatten es auch schon, dass uns ein rechter Troll massenhaft Bücher in unseren Laden bestellt hat.“ Sowas passiere eben, wenn man nicht immer wieder aufs Neue stundenlang einzelne Titel sperre, sagt sie. „Eine Verlagssperrung würde uns da schon viel Arbeit abnehmen.“
Denn zu einem anderen Großhändler wie Zeitfracht zu wechseln ist für „She Said“ in Berlin und „Kohsie“ in Halle keine echte Alternative. Erstens, weil Libri die meisten Titel in der Buchbranche anbiete und zweitens, weil es dort am meisten englische Titel gebe. Das sei für das Geschäft einer diversen Buchhandlung nun mal unverzichtbar, sagt von Senger. Mal ganz davon abgesehen, würde das nicht das Problem lösen, ergänzt Sarah Lutzemann von Kohsie. Denn am Ende geht es ja nicht nur um sie, sondern um die gesamte Buchbranche.
„Wenn wir wechseln, sind es eben nicht mehr 1300 Online-Shops, sondern 1299, auf denen menschenfeindliche Literatur vermarktet wird“, sagt Lutzemann. Noch mehr, wenn man andere Online-Händler wie Thalia oder Anbieter von White-Label-Shops wie Umbreit mit einberechnet. Das müsse sich ändern. Darum wollen die Lutzemanns dafür kämpfen, dass jeder noch so kleine Buchhändler rechte Buchverlage ein für alle Mal aus seinem Online-Shop verbannen kann – wenn es Unternehmen wie Libri schon nicht selbst tun.
Lust auf weitere Recherchen in der Buchbranche? Hier decken wir auf, warum Autor:innen das Geschäftsmodell von Blinkist problematisch finden.