Doch viele lesbische Paare haben von dem Gesetz 2017 nicht profitiert, denn oftmals trägt eine der Partnerinnen das Kind selbst aus. Sie müssen nach wie vor den mühsamen Weg der Stiefkindadoption gehen und können nicht von Anfang an gemeinsam in der Geburtsurkunde ihre Kindes stehen. Dafür müsste das sogenannte Abstammungsrecht angepasst werden – etwas, was mit der Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare versäumt wurde. Das Problem: Dies betrifft einen Großteil der Regenbogenfamilien. Zuletzt lebten rund laut Bundesamt für Stastistik 11 000 gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern zusammen: 96 Prozent dieser Paare waren Frauen.
Im Sommer 2018 haben die Grünen einen Gesetzentwurf zur Reform des sogenannten Abstammungsrechts eingebracht, der sich noch im parlamentarischen Verfahren befindet. Als nächstes muss eine weitere Lesung im Bundestag stattfinden. Auch das Bundesjustizministerium veröffentlichte einen Entwurf zum Abstammungsrecht, der jedoch stark kritisiert wurde, weil er nicht weit genug gehe.
Seitdem stockt der Prozess. Gleichzeitig könnte sich die Situation für lesbische Paare bald noch verschlechtern: Für den 1. Juli 2020 ist eine Reform des Adoptionsgesetzes geplant, die das Verfahren für lesbische Paare noch weiter erschweren würde, etwa durch eine zusätzliche verpflichtende Beratung. Gabriela Lünsmann, Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) kritisiert gegenüber BuzzFeed News, Justizministerin Christine Lambrecht müsse endlich dafür sorgen, dass lesbische Mütter „nicht länger die Leidtragenden der verschleppten Reform im Abstammungsrecht sind.“
Ein Terminplan stehe noch nicht fest, schreibt das Justizministerium auf Anfrage von BuzzFeed News. Derzeit würden die Stellungnahmen zum Diskussionsentwurf ausgewertet.
Wer darf bestimmen, wer die Eltern eines Kindes sind? Die Eltern? Der Staat? Das Kind? Fragen zum Abstammungsrecht sind komplex. Das liegt auch daran, dass daran grundsätzliche Überlegungen hängen: Dürfen immer nur zwei Personen Eltern sein? Warum nicht drei, oder mehr? Aber die Akkermanns haben keine Zeit. In drei Wochen soll ein Kind geboren werden, das versorgt werden muss.
Das Problem bei der verschleppten Regelung ist nicht nur, dass Verena Akkermann ihr Kind vielleicht nicht alleine zum Impfen bringen kann. Dass sie vielleicht eine Vollmacht brauchen wird, um es aus der Kita abzuholen. Das Problem ist auch, dass hinter der Rechtslücke große Fragen stecken und Vorstellungen, die nicht mehr zur Alltagsrealität von vielen Familien passen. Die Vorstellung etwa, dass ein Kind nur in einer Hetero-Beziehung gut aufwächst. Oder dass es einen Mann und eine Frau als Rechtsvertretung braucht, damit es gut versorgt und glücklich ist. Dass zwei Mütter weniger gut sind, als eine Mutter und ein Vater. Bis heute wird lesbischen Paaren keine Kinderwunschbehandlung bezahlt, auch nicht, wenn sie verheiratet sind.
Aber was ist mit den 2,6 Millionen alleinerziehenden Eltern in Deutschland? Was mit den Millionen Patchwork-Familien? Was mit den 16.000 Kindern, die bereits in Regenbogenfamilien leben? „Ich finde das Kindeswohlgefährdung“, sagt Verena Akkermann, „denn den Kindern wird vermittelt: Egal wie geborgen du dich in einer Situation fühlst, sie ist nicht in Ordnung.”
Nachdem Gesa Teichert-Akkermann schwanger wird, hofft das Paar über Monate auf eine neue Regelung aus dem Bundestag. Als im Herbst 2019 klar wird, dass es dazu nicht rechtzeitig kommen wird, entscheiden die Frauen, dass sie sich gegen das Adoptionsverfahren wehren möchten. Ganz systematisch planen sie eine Kampagne.
Sie reichen einen Antrag bei ihrem Standesamt in Schellerten ein, um Verena als Mit-Mutter anerkennen zu lassen. Sie entscheiden sich für einen gemeinsamen Nachnamen. Sie twittern, lassen ein Logo erstellen, richten eine neue Emailadresse ein. Sie schreiben Journalist*innen und Bundestagsabgeordnete an, darunter alle Mitglieder des Familienausschusses. „Ich bin in einer privilegierten Situation“, sagt Gesa-Teichter Akkermann, die heute als wissenschaftliche Referentin für Gesellschaft, Teilhabe und Antidiskrimierung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld arbeitet, einer der größten LGBT*-Stiftungen des Landes. Sie habe die Zeit und die Ressourcen, das Verfahren durchzukämpfen.
Bisher haben die Akkermanns viel Unterstützung erhalten, aus der Nachbarschaft und von Freund*innen. Erst vor wenigen Tagen bekam Gesa eine Email von einer ehemaligen Mitsängerin aus ihrem Chor, deutlich über 80 Jahre alt. Sie schrieb Gesa, wie mutig sie sei, wünschte alles Gute. „Die Gesetzgebung ist da echt weit hintendran“, sagt Gesa.
Auch aus allen angefragten Parteien bekommen sie wohlwollende Rückmeldungen, obwohl die Gesetzgebung nicht voran geht. Dort schiebt man sich gegenseitig die Verantwortung zu. Aus der CDU/CSU heißt es, das Thema stehe auf der Agenda, man schicke für die Niederkunft Gottes Segen. Der Entwurf des Justizministeriums sei jedoch „unbrauchbar“, mit erheblichen Mängeln in der Praxistauglichkeit. Die FDP verweist auf einen bereits gefällten Parteibeschluss und fordert die Mehrelternschaft, Karl-Heinz Brunner der SPD bewundert den Mut und die Standhaftigkeit, für die Elternschaft zu kämpfen und schreibt: „Ich verspreche Ihnen, dass ich mein Bestes geben werde, um die Union ins 21. Jahrhundert zu holen. Die Grüne Abgeordnete Ulle Schauws, die sich seit Jahren für das Thema engagiert will weiter Druck auf die Bundesregierung ausüben und die queerpolitische Sprecherin der Linken Doris Achelwilm schreibt, dass das Thema immer wieder von der Regierungsparteien ausgebremst werde.
Am 25. November 2019 erhalten die Akkermanns die erwartete Ablehnung aus dem Standesamt. „Aufgrund fehlender Rechtsgrundlage“ könne die Mutterschaft nicht beurkundet werden, schreibt der Sachbearbeiter. Den Standesbeamten kennen sie seit Jahren, doch er habe nichts machen können. Das Paar legt Widerspruch ein, der wenig später erneut abgewiesen wird.
Am 17. Januar 2020 fährt Gesa Teichert-Akkermann zum Amtsgericht und reicht Klage ein. Das Ziel: Verena soll in der Geburtsurkunde ihres Kindes stehen. Dafür will das Paar bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, wenn nötig auch bis vor den Europäischen Gerichtshof.
Der Fall sei wegweisend, sagt Maria Wersig vom Deutschen Juristinnenbund gegenüber BuzzFeed News, und er sei eilig. „Die Familien brauchen jetzt eine gesetzgeberische Lösung.“
Wie die Chancen für die Familie Akkermann vor Gericht stehen, ist noch offen. Zunächst einmal müssen sie abwarten, ob das Amtsgericht die Klage annimmt oder an ein anderes Gericht verweist. Bis zu einer Entscheidung könnte es Jahre dauern.
Gesa und Verena Akkermann planen unterdessen ihr Familienleben weiter. Der Regionalbischof Hildesheim-Göttingen Eckhard Gorka soll das Kind taufen, die Namen der Akkermanns werden dann in das Kirchenbuch eingetragen werden, für den Bischof kein außergewöhnlicher oder komplizierter Vorgang. „Mutig“, findet er den Weg der beiden, ihren rechtlichen Kampf kann er gut verstehen: „Kein Segen der Kirche kann den Schutz des Staates ersetzen“, sagt er am Telefon.
Im November haben Verena und Gesa ihren 23. Jahrestag gefeiert. Sonst haben sie immer gerne Ausflüge gemacht, in ein Museum etwa, oder ein Restaurant. Dieses Mal sind sie zuhause geblieben. Sie haben einen Topf mit birkengrüner Farbe aufgemacht und das Kinderzimmer ihres Babys gestrichen.
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22.01.2020, 13:25
In einer vorherigen Version dieses Textes stand, die Klage wurde am 18. Januar 2020 eingereicht. Tatsächlich war es der 17. Januar.
UPDATE
24.3.2021, 14:25
Das Oberlandesgericht Celle hält die gesetzliche Regelung des Abstammungsrechts für verfassungswidrig, wonach die gleichgeschlechtliche Partnerin einer Mutter als zweiter Elternteils mit der Geburt des Kindes rechtlich nicht anerkannt wird, sondern es erst adoptieren muss. Dies verletze die Grundrechte der Eltern und des Kindes. Das Gericht legt das Verfahren deshalb dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zur Entscheidung vor. Sie seien froh und stolz, schreiben die Mütter Verena Akkermann und Gesa Teichert-Akkermann in einer Pressemitteilung. Ein Grundsatzurteil helfe nicht nur ihnen, sondern sichere auch andere Familien rechtlich ab.
„Dieses Urteil muss ein Weckruf für die politisch Verantwortlichen sein, nun endlich das Abstammungsrecht zu reformieren“, äußert sich Gesa Teichert-Akkermann. „Alle queeren Familien, nicht nur 2-Mütter-Familien wie wir, müssen rechtlich gleichgestellt werden. Egal, ob männlich, weiblich, trans*, inter, nicht-binär: Elternschaft hat nichts mit dem Geschlecht zu tun.“
Die Rechtsanwältin Lucy Chebout, welche das Paar in dem Verfahren vertritt, äußert, das Urteil sei ein ganz wichtiges und starkes Signal auch für andere Familiengerichte. „Dass der Fall von Familie Akkermann nach Karlsruhe kommt, ist ein bedeutender Etappen-Sieg im Kampf um die Gleichberechtigung von Regenbogenfamilien.“