Mehrere Bundesländer prüfen, gegen die Anti-Abtreibungsorganisation Pro Femina vorzugehen
Recherchen von BuzzFeed News hatten gezeigt, dass Pro Femina Schwangere manipuliert.
Die Bundesländer Berlin, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen prüfen derzeit juristisch, welche Möglichkeiten es gibt, gegen die Anti-Abtreibungsorganisation Pro Femina vorzugehen. Das teilten die vier Länder auf Anfrage von BuzzFeed News Deutschland mit. Berliner Abgeordnete hatten das Thema Anfang November in einen Bund-Länder-Koordinationskreis eingebracht.
Ausgelöst hatte die Prüfung ein Antrag der Berliner SPD: Auf dem Landesparteitag am 26. Oktober 2019 beschlossen die Parteimitglieder, die Beratungsstelle der Organisation in Berlin schließen zu wollen. Die Verbotspläne der SPD gehen auf Recherchen von BuzzFeed News zurück. Pro Femina ist ein christlich geprägter Verein, der Schwangere berät. Unsere Recherchen hatten Ende vergangenes Jahr gezeigt, dass Pro Femina Schwangere manipuliert und gesetzliche Regelungen ignoriert.
Für ein Verbot des Vereins gebe es zwar keine Rechtsgrundlage, teilt das zuständige Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales mit. Man wolle aber prüfen, ob Pro Femina untersagt werden kann, mit dem Begriff der „Schwangerschaftskonfliktberatung“ zu werben. Das teilt auch ein Sprecher des Hessischen Sozialministerium auf Anfrage mit: Man prüfe, ob die geltenden gesetzlichen Bestimmungen eingehalten würden, etwa aus dem Rundfunkstaatsvertrag und im Hinblick auf die Verwendung des Begriffs „Schwangerschaftskonfliktberatung“.
In Baden-Württemberg seien Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit der Beratung durch Pro Femina aufgefallen, schreibt das dortige Ministerium für Soziales und Integration. Eine Prüfung soll nach Möglichkeit mit anderen betroffenen Bundesländern erfolgen. „Dass es ein Problem gibt, ist offensichtlich“, sagt ein Pressesprecher gegenüber BuzzFeed News am Telefon.
Die Berliner SPD spricht von einer bewussten Täuschung, Pro Femina von Fake-News
In Deutschland müssen Menschen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen, in eine staatlich anerkannte Beratungsstelle und dort ein Beratungsgespräch führen. Eine Abtreibung ohne einen schriftlichen Beratungsnachweis ist strafbar. Pro Femina ist keine staatlich anerkannte Beratungsstelle, bietet aber trotzdem Beratungen an.
Inzwischen ist auf der Webseite deutlich zu lesen, dass Pro Femina keine Beratungsnachweise ausstellt. In seinem Auftreten ist der Verein jedoch nur schwer von staatlich beauftragten Beratungsstellen zu unterscheiden. In dem Antrag der Berliner SPD heißt es, die Beratungen seien nicht ergebnisoffen oder seriös. „Schwangere werden bewusst getäuscht und in ihrem Recht auf eine selbstbestimmte Entscheidung eingeschränkt“, schreibt die SPD. Eine Abtreibung werde nicht als legitime Entscheidung dargestellt.
Pro Femina hingegen argumentiert, Frauen in Not zu helfen. In einem Interview von 2011 sagt der Vereinsvorsitzende Kristijan Aufiero: „Die Massenabtreibung in Deutschland ist ein Phänomen der massenhaft unterlassenen Hilfeleistung.“ In einem Beitrag unter dem Titel „BuzzFeed, Fake-News und Manipulation“ bezeichnete er die Recherche von BuzzFeed News als Polemik. Er schreibt auch, dass der Verein zahlreiche, positive Erlebnisberichte von Frauen erhalte, die von Pro Femina beraten worden seien.
„Wir werden die öffentliche Meinung zum Thema Abtreibung verändern“, wirbt Pro Femina auf einer Kampagnen-Webseite
Der Verein startete außerdem eine Petition gegen den Verbots-Antrag der SPD auf der eigenen Webseite und gibt an, dass dort mehr als 18.000 Unterschriften eingegangen seien. Im Landesbüro der Partei sind diese Unterschriften bislang nicht eingegangen, teilte eine Pressesprecherin auf Anfrage mit. Aufiero schreibt auf einer Kampagnenseite des Vereins, er biete an, die Liste in einem persönlichen Gespräch einsehen zu lassen.
Staatlich beauftragte Beratungsstellen wie Pro Familia warnen in Sozialen Netzwerken immer wieder vor dem Verein. Der Pro Femina-Vorsitzende Aufiero schreibt, für die Vorwürfe gebe es keine Belege.
So warnt vor eine Beratungsstelle aus Bayern vor Pro Femina
Proteste gegen Pro Femina
Über viele Jahre hinweg gab es außer auf christlich geprägten Blogs und Medien und den Webseiten von Pro Femina selbst keine Informationen über den Verein – obwohl er mit einem Jahresetat von angeblich rund drei Millionen Euro zu den größten Beratungsangeboten von Abtreibungsgegner*innen in Deutschland gehört. Nach eigenen Angaben beschäftigte Pro Femina Ende 2018 über 60 Mitarbeitende und hat Beratungsstellen in Heidelberg und München. Die Beratung erfolgt in den meisten Fällen online, seltener auch in den Beratungsstellen selbst.
Doch in den vergangenen Monaten haben sich die Proteste und Konflikte um Pro Femina verschärft. Anfang August demonstrierten etwa hundert Personen gegen die Eröffnung einer neuen Beratungsstelle in Berlin. Im September schaltete der Verein Deutsche Evangelische Allianz in Gießen großflächige Werbung von Pro Femina auf Bussen im öffentlichen Nahverkehr. Die Gießener Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz nannte die Plakate „irreführend“, die Stadtwerke haben damals angekündigt, eine vorzeitige Auflösung des Werbevertrags zu prüfen. Auf Nachfrage gibt es aber bislang noch kein Ergebnis dieser Prüfung.
Anfang Oktober brachen offenbar Pro-Choice-Aktivist*innen in das Gebäude des Vereins in Berlin ein und zerschlugen laut einem Bekennerschreiben Scheiben und vandalierten mit Farbe und Buttersäure.
In einem offenen Brief an die Berliner SPD schreibt Kristijan Aufiero Ende Oktober, die Antragsteller der SPD solidarisierten sich mit ihrer Verbotsforderung mit gewalttätigen Linksextremisten. Pro Femina werde sich gegen diesen „unrechtmäßigen und willkürlichen Verwaltungsakt mit allen juristischen Mitteln zur Wehr setzen“ – notfalls durch sämtliche Instanzen.
Staatliche Regulierung gegen unseriöse Beratung kaum möglich
Die sogenannte Schwangerschaftskonfliktberatung ist grundsätzlich umstritten. Sie wird sowohl von Menschen kritisiert, die für Abtreibunsgsrechte kämpfen, als auch jenen, die dagegen sind. Pro-Choice Aktivist*innen sprechen von „Zwangsberatung“, der Vorsitzende von Pro Femina Kristijan Aufiero hingegen bezeichnete die Beratungsnachweise in einem Interview als „Tötungslizenzen“.
Recherchen von BuzzFeed News zeigen, dass die jährlich mehr als 100.000 Gespräche mit Schwangeren in den verschiedenen Beratungsstellen von den zuständigen Behörden kaum überprüft werden. Verschiedene Erfahrungsberichte zeigen, dass die verpflichtenden Gespräche von Schwangeren sehr unterschiedlich bewertet werden. Was für die einen eine große Unterstützung sein kann, wird von anderen als extrem frustrierend und wenig hilfreich empfunden werden.
Gleichzeitig ist eine staatliche Regulierung der Beratungsangebote kaum möglich: „Da der Begriff Schwangerenberatung nicht geschützt ist, ist das Vorgehen gegen Beratungsstellen, die möglicherweise unseriös arbeiten, juristisch sehr komplex“, schreibt die Pressesprecherin der Berliner Gesundheitssenatsverwaltung.
Initiiert wurde der Verbotsantrag von den Jusos Steglitz. Wie die Prüfung ausgeht, ist ungewiss. Die stellvertretende Landesvorsitzende der Jusos Berlin Daniela Döbler sagt BuzzFeed News am Telefon, es handele sich um eine Maximalforderung. Man wolle prüfen, ob es sich um eine Täuschung handele und ob der Verein sich im gesetzlich legalen Rahmen bewege. Pro Femina verwende etwa für Testimonial-Berichte auf der Webseite Stockfotos oder nenne sich ganz ähnlich wie die staatlich anerkannte Beratungsstelle Pro Familia. „Es wäre etwas anderes, wenn dort stände, sie bieten christliche Seelorge an“, sagt Döbler.
Das eigentliche Problem sei jedoch, dass die Beratungen verpflichtend sind. Was Döbler meint: Sobald Schwangere über eine Abtreibung nachdenken, müssen sie sich in ein bürokratisch und rechtlich streng kontrolliertes System begeben – und geraten dabei teilweise unfreiwillig an Organisationen von Abtreibungsgegnern. Diese nutzen das System für ihre eigene Agenda. Oppositionsparteien wie die Linke und Grüne fordern deshalb eine Abschaffung des Paragrafen 218, der Abtreibungen bis heute als Straftat festschreibt. „Wir brauchen eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches“, sagt Döbler.
Hast du Erfahrungen bei Pro Femina oder anderen Anti-Abtreibungsorganisationen gemacht und möchtest uns davon berichten? Dann schreibe unserer Reporterin an: juliane.loeffler@buzzfeed.com
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