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Missbrauchsprozess gegen HIV-Arzt: Weitere Vorwürfe eines ehemaligen Patienten

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Von: Juliane Löffler

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Der Prozess findet am Amtsgericht Tiergarten statt
Der Prozess findet am Amtsgericht Tiergarten statt © Juliane Löffler für BuzzFeed News

Am sechsten Verhandlungstag erhob der dritte Opferzeuge schwere Vorwürfe gegen seinen ehemaligen Arzt, einen bekannten Mediziner aus Berlin. Viele Erinnerungen aber sind lückenhaft.

Am heutigen Montag sagte der dritte Opferzeuge gegen den Arzt aus. Er tritt als einzige der fünf mutmaßlich Geschädigten nicht als Nebenkläger und somit ohne Verteidiger:in auf. In den vergangenen Wochen war der zweite Zeuge unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt worden. Seine Anwältin hatte dies beantragt, weil im Prozess Details seiner Krankheitsgeschichte und sein Sexualleben zur Sprache kämen, welche nur in indirektem Zusammenhang mit den Vorwürfen stünden. Das Gericht hatte dem Antrag stattgegeben.

Dem Arzt wird sexueller Missbrauch an fünf Patienten vorgeworfen, BuzzFeed News berichtet seit vielen Monaten über die Vorwürfe sowie den Strafprozess, welcher seit Ende April am Amtsgericht Berlin läuft. Der Arzt weist alle Vorwürfe von sich – er habe grundsätzlich kein sexuelles Interesse an seinen Patientinnen, Intimuntersuchungen fänden nach medizinischen Standards statt.

Der sechste Verhandlungstag startete heute in kleinerer Runde: Der vorsitzende Richter hat im Prozess gegen den weltweit anerkannten HIV-Mediziner die Zahl der Zuhörer:innen und Pressevertreter:innen überraschend auf jeweils drei halbiert. Den Grund teilte die Pressesprecherin am Vormittag telefonisch mit: Die Sicherheitsabstände wegen Corona könnten im Saal sonst nicht eingehalten werden.

Die Vorwürfe des nun dritten mutmaßlich Geschädigten: Der Arzt habe ihm „einen runtergeholt”, er habe eine Erektion und einen Samenerguss gehabt, in die Praxis sei er eigentlich wegen Beschwerden am Penis gegangen. Die Erinnerung des Mannes an die Ereignisse, welche sich vor mehr als einem halben Jahrzehnt zugetragen haben sollen, sind lückenhaft und stark verblasst. Stellenweise sind sie auch widersprüchlich.

Schwere Vorwürfe aus einem Polizeiprotokoll

So sagte der Mann heute im Gerichtssaal, er habe den Penis des Arztes berührt. Aus dem Polizeiprotokoll zitiert der Vorsitzende Richter aber etwas anderes. Dort hatte der Mann ausgesagt: „Er hat [...] seinen Schwanz aus der Hose geholt in der Hoffnung, dass ich daran auch etwas mache. Das habe ich aber nicht gemacht.“ Der Arzt habe laut Protokoll zudem an den Brustwarzen des Mannes gesaugt – auch daran erinnert sich der Zeuge heute nicht mehr, glaubt aber, dass es stimme. „Das was da steht, entspricht der Wahrheit“, sagte er.

Auch die Umstände erinnert er kaum – in welcher Position er gewesen sei, warum genau er in die Praxis gekommen sei, ob er hinterher Medikamente erhielt, das Zimmer abgeschlossen gewesen sei, ob er auch anderweitig untersucht wurde: „Das weiß ich wirklich nicht mehr“, sagte er immer wieder. Da half auch die scheinbar zunehmend gereizte Befragung des vorsitzenden Richters Rüdiger Kleingünther nicht weiter. „Ich mache jetzt nochmal einen Versuch, ich will, dass Sie mir das genauer schildern“, sagte er. „Das ist wirklich sehr lange her“, sagte der Zeuge. Tagebucheinträge oder Notizen aus der Zeit habe er nicht mehr.

So bleibt die Befragung durch die Staatsanwältin, Nebenklagevertreterinnen und Verteidigung vergleichsweise kurz. Der erste Opferzeuge war über zwei Verhandlungen mehrere Stunden pro Tag befragt worden.

Laut Verteidigung eine Kampagne, um dem Arzt zu schaden

Die Verteidigung interessierte sich vor allem dafür, ob und wann der Zeuge von gleich lautenden Gerüchten gehört habe sowie wann und ob er sich mit anderen Menschen über die Vorwürfe ausgetauscht habe. Die Verteidiger des Arztes hatten in der vergangenen Verhandlungen bereits mehrfach angebracht, es handele sich bei den Missbrauchsanschuldigungen um eine organisierte Kampagne, um ihrem Mandanten zu schaden.

Der dritte Opferzeuge ist in der Tat mit dem zweiten Opferzeugen dieses Prozesses bekannt, sie lernten sich laut des dritten Zeugen über eine schwule Datingplattform kennen, hätten danach ein freundschaftliches Verhältnis gehabt und auch über die angeblichen Übergriffe miteinander gesprochen. 

Was er in der Szene sonst noch über den HIV-Arzt gehört habe, will die Staatsanwältin von dem dritten Zeugen wissen. „Sie stochern hier rum“ unterbricht Verteidiger Johannes Eisenberg, welcher nicht nur den prominenten Arzt vertritt, sondern auch die linke Tageszeitung die taz vertritt, dessen Logo regelmäßig auf seinem Rucksack unter dem Verhandlungstisch zu sehen ist.

Auch an diesem Tag kommt es wie in den Verhandlungen zuvor zwischen Strafverteidiger Eisenberg und weiteren Prozessbeteiligten zu scharfen und teils lauten Auseinandersetzungen, etwa im kurzen Schlagabtausch über das Textverständnis zum Polizeibericht. Eisenberg zur Staatsanwältin: „Wo haben Sie denn Deutsch gelernt?“

„Sie nerven. Das ist unerträglich“, ging Nebenklageverteidigerin Undinde Weyers dazwischen, die daraufhin die laute Schelte des Vorsitzenden Richters abbekam: „Sie sind jetzt nicht dran, wir sind hier nicht ein allgemeiner Palaververein!“

Der Arzt habe eine rote Linie überschritten

Nach einer kurzen Unterbrechung sagte der Zeuge, er habe im Gerichtsflur mit seinem Exfreund gesprochen, bei dem der Doktor ebenfalls versucht habe „etwas zu machen“, dieser zweifele aber, ob er aussagen wolle. An das Gespräch mit dem zweiten Opferzeugen aus dem Prozess erinnert er sich nur vage, beide machten etwa unterschiedliche Angaben über die Uhrzeiten des mutmaßlichen Gesprächs miteinander. 

An ein Detail will sich der Mann jedoch genau erinnern: Bei der Polizei habe er ausgesagt, dass es sich nicht um einen Missbrauch mit dem Arzt gehandelt habe, weil er einverstanden gewesen sei. „Für mich ist das einfach ein Arzt, der eine rote Linie überschreitet und gut ist“, sagt er im Gerichtssaal. 

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