Noch immer warten verfolgte Schwule auf eine Wiedergutmachung, doch die Zeit rennt ihnen davon
Erst 62 Schwule sind vom Bundesamt für Justiz entschädigt worden. Jetzt drängen Abgeordnete auf eine schnelle Nachbesserung.
Nur 84 Anträge auf Entschädigung verfolgter Homosexueller sind bisher beim Bundesamt für Justiz eingegangen. Gerechnet hatte das Bundesjustizministerium mit 5000. Damit bleibt das Gesetz weit hinter den Erwartungen zurück.

Im Juli 2017 trat das Gesetz zur Entschädigung nach Paragraf 175 in Kraft: Rund 50.000 verfolgte Schwule, die nach 1945 auf Grund ihrer Homosexualität staatlich verfolgt wurden, wurden damit von der Bundesregierung rehabilitiert. Das Entschädigungsgesetz wurde in der LGBT*-Community als Meilenstein gefeiert.
Wolfgang Lauinger (1918 – 2017)
Doch schon kurz nach Inkrafttreten zeigten sich fundamentale Lücken im Gesetz, wie eine Reportage von BuzzFeed News zeigte. Die Anträge mehrerer Opfer wurden trotz nachweislicher Verfolgung abgelehnt, wie etwa im Fall des Holocaustüberlebenden Wolfgang Lauinger.
Der 99-jährige war einer der prominentesten Kämpfer für eine Entschädigung, er selbst saß 1950/1951 mehrere Monate im Gefängnis, weil er schwul war. Sein Antrag auf Entschädigung wurde jedoch abgelehnt, weil es sich um eine Untersuchungshaft und keine Haftstrafe handelte.
Ein Dreivierteljahr nach Inkrafttreten des Gesetzes zeigt sich nun ein weiteres Problem: Das Gesetz wird weitaus weniger genutzt wird, als angenommen.
Von den 84 Anträgen beim Bundesamt für Justiz wurden bislang 62 bewilligt, drei Anträge wurden abgelehnt. 291.000 Euro wurden bislang ausgezahlt. Das teilt das Bundesamt für Justiz BuzzFeed News auf Anfrage mit. Offenbar haben viel zu wenige Personen von der Möglichkeit auf Entschädigung erfahren.
„Der Gesetzgeber hat nichts gemacht, um das Gesetz bekannt zu machen“, sagt Christian Naumann von der Bundesinteressensvertretung Schwuler Senioren, BISS.
120.000 Euro für Öffentlichkeitsarbeit beantragt
Der Verein habe zwar Informationen über LGBT*-Organisationen verbreitet, doch gerade die betroffenen schwulen Senioren bewegten sich oft nicht in Schwulencommunitys, weil sie früher kriminalisiert wurden, sagt Naumann. So ging das neue Gesetz offenbar an vielen Überlebenden vorbei.
Nun soll nachgebessert werden. 120.000 Euro hat BISS für Öffentlichkeitsarbeit und begleitende Beratung beantragt. Nach der Regierungsbildung wurde „eine wohlwollende Prüfung des Vorhabens bei den Bundesministerien in Aussicht gestellt“, sagt Naumann. Um die Senioren zu erreichen, wird etwa über Anzeigen in der Apothekenumschau nachgedacht.
„Es herrscht noch immer Scham und Angst.” – Sven Lehmann, queerpolitischer Sprecher der Grünen
„Es herrscht noch immer Scham und Angst“, begründet der queerpolitische Sprecher der Grünen Sven Lehmann die ausbleibenden Anträge auf Entschädigung. Und das mangelnde Wissen darüber, dass Schwule nun ein Recht auf Entschädigung haben, sei ein weiteres Zeichen dafür, dass das Gesetz nicht greife. Lehmann mahnt nun zu Nachbesserungen.
„Das Alter der Betroffenen spricht dagegen, das Thema noch ein halbes Jahr oder länger weiter zu diskutieren“, sagt Sven Lehmann. „Das hat der Fall Lauinger deutlich gezeigt. Wir müssen jetzt die Lücken des Gesetzes zügig schließen.“
Wolfgang Lauinger erlebte seine Wiedergutmachung nicht mehr. Im Dezember 2017 verstarb er. In seinem letzten Interview sagte er BuzzFeed News: „Für mich geht das Spielchen so lange weiter, bis ich nicht mehr da bin.“
Kurz nach seinem Tod verabschiedeten die Grünen am 22. Dezember einen Antrag auf Nachbesserung, der sich auch auf die Recherchen von BuzzFeed News bezieht. In dem Entwurf wird ein Härtefallfond gefordert, der auch Schwule entschädigen soll, die etwa auf Grund ihrer Sexualität ihre Jobs verloren oder in Untersuchungshaft saßen – wie Wolfgang Lauinger.
Grüne, FDP und Linke drängen auf zügige Nachbesserung
Eingebracht wurde der Antrag jedoch bislang nicht. Stattdessen hofft Lehmann auf eine einvernehmliche Lösung zusammen mit den anderen Fraktionen. Das Thema wurde bereits in einem interfraktionellen Treffen besprochen. Grüne, FDP und Linke drängen auf eine zügige Nachbesserung.
Entscheidend ist deshalb jetzt die Haltung der Regierungsparteien. Die zeigen sich gesprächsbereit. Johannes Kahrs, queerpolitscher Sprecher der SPD, schrieb BuzzFeed News: „Nach Abschluss des Koalitionsvertrages sind wir derzeit in Gesprächen mit unserem Koalitionspartner der CDU/CSU darüber, dass wir die Entschädigungsregelungen für die Opfer des §175 StGB verbessern wollen.“
Auch der CDU-Abgeordnete Stefan Kaufmann unterstützt eine Nachbesserung ausdrücklich, schrieb er BuzzFeed News auf Anfrage. „Ich wünsche mir eine individuelle Entschädigungsleistung je nach Schwere der Folgen der damaligen Verfolgung beziehungsweise Inhaftierung. Am Ende sollte niemand durchs Raster fallen, der objektiv eine Entschädigung verdient hätte. Insofern wäre ein Härtefallfonds wünschenswert.“ Dies sei auch Hauptthema bei einem ersten Treffen der Wilden 13 gewesen, einem Zusammenschluss von Unionspolitikern, die sich für die Rechte von LGBTs engagieren. Ob das Thema auf Interesse oder Zustimmung in der Union hoffen kann, ist bislang offen.
Homosexuelle warten seit Jahrzehnten
Auf das Entschädigungsgesetz hatten Homosexuelle jahrzehntelang gewartet. Es gilt als Minderheitenthema, für das es nur wenig politische Lobby oder Interesse gibt. Eine Chance hat eine Nachbesserung deshalb nur mit der Unterstützung mehrerer Parteien. Darauf hofft nun auch der Seniorenverein BISS. „Wir wollen Alleingänge einzelner Parteien vermeiden, die eine gemeinsame Lösung gefährden und somit den Interessen der Betroffenen schaden können“, schrieb CDU-Politiker Christian Naumann.
Die nächsten Schritte sind bereits geplant. Mitte April wird sich ein Facharbeitskreis aus Bundestagsabgeordneten, Ministerien, Ländern und Community treffen. Bislang gänzlich unbeachtet sind in der Bundesrepublik verfolgte und diskriminierte lesbische Frauen.
Kennt ihr homosexuelle Menschen, die Opfer von staatlicher Verfolgung nach 1945 geworden sind? Schreibt unserer Reporterin an juliane.loeffler@buzzfeed.com. Hier gibt es Infos für Opfer des Paragrafen 175.