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Nur jeder fünfte Arzt legt Zahlungen von Pharmafirmen offen

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Von: Katrin Langhans

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Jedes Jahr zahlen Pharmafirmen Milliarden an Ärzte. Viele Zahlungen werden nicht öffentlich. (Symbolbild)
Jedes Jahr zahlen Pharmafirmen Milliarden an Ärzte. Viele Zahlungen werden nicht öffentlich. (Symbolbild) © Wolfgang Kumm/dpa

Neue EU-Datenbank schafft Transparenz über Zahlungen der Pharmaindustrie an Ärzte. Eine Untersuchung zeigt: Deutschland ist in Sachen Transparenz Schlusslicht. Dabei fließen hohe Summen.

In Irland, Großbritannien und Italien legen mehr als die Hälfte der Ärzt:innen Zahlungen offen, in der Schweiz und Schweden sind es mehr als 70 Prozent. In Spanien veröffentlichen sogar alle Ärzt:innen die Summen, die sie zum Beispiel als Honorare für Vorträge erhalten oder als Reisekosten für Kongresse. In Deutschland legen gerade einmal 19 Prozent der Ärzt:innen Zahlungen offen.

Das haben Datenanalysten der Organisation „Euros for Docs“ gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Schweden und Großbritannien herausgefunden. Sie haben die Zahlungen von 20 großen Pharmaunternehmen an Ärzt:innen aus sieben Ländern der Europäischen Union in den Jahren 2017 bis 2019 analysiert.

Deutschland ist das Land, in dem sich die Ärzte am meisten weigern, Daten über Zahlungen von Pharmafirmen zu veröffentlichen“, sagt Luc Martinon, der Hauptentwickler der Organisation Euros for Docs. Die Organisation hat mit Hilfe öffentlich verfügbarer Daten in ehrenamtlicher Arbeit eine Datenbank erstellt, die Zahlungen an Ärzt:innen aus elf Ländern umfasst. Insgesamt haben die Analysten Zahlungen von mehr als acht Milliarden Euro an Ärzt:innen auf der Plattform aufbereitet und durchsuchbar gemacht.

Seit dem heutigen 1. Juni steht die Datenbank auf der Plattform Eurosfordocs.eu für Recherchen zur Verfügung. Der Zugang zu den Daten ist kostenlos, aber aus juristischen Gründen nur auf Anfrage möglich – mit einer konkreten Recherche- oder Forschungsthese. 

Ein Professor erhält im Schnitt doppelt so viel Geld wie jemand mit Doktortitel

BuzzFeed News Deutschland konnte die Datenbank vorab einsehen. Ein Blick auf die deutschen Daten zeigt, dass mehr als 100 Ärzt:innen, die ihre Zahlungen offen legen, fünfstellige Zahlungen der Pharmaindustrie erhalten haben. Spitzenreiterin ist eine Chefärztin für Innere Medizin aus Berlin, die 2019 mehr als 80.000 Euro an Zuwendungen von Pharmafirmen erhielt. Ein Klinikdirektor und Onkologe aus Oldenburg bekam mehr als 70.000 Euro, ein Chefarzt und Neurologe aus Oberbayern erhielt mehr als 60.000 Euro, sein Beratungshonorar allein betrug fast 50.000 Euro.

Offenbar spielt der Titel eine Rolle bei der Höhe der Summe, die Ärzt:innen im Schnitt von Pharmaunternehmen erhalten. Martinon hat ausgewertet, dass jemand, der einen Titel als Professor trägt, im Schnitt mehr als doppelt so viele Zuwendungen erhält, wie ein deutscher Mediziner mit Doktortitel.

Während es in den USA und in Frankreich Gesetze gibt, die Ärzt:innen dazu verpflichten, Honorare von Pharmafirmen offen zu legen, überlassen es zahlreiche Länder wie Deutschland der Industrie und den Ärzt:innen selbst, zu entscheiden, welche Geldflüsse sie preisgeben und welche nicht. „Wenn jemand eine Zahlung verheimlichen möchte, hat das keine Konsequenzen“, sagt Martinon. „Wir brauchen in der europäischen Union gesetzliche Verpflichtungen. Wir können nicht länger darauf vertrauen, dass die Industrie sich selbst reguliert.“

Vorbild für die EU-Datenbank Euros for Docs ist das Projekt Dollars for Docs, bei dem Patient:innen in den USA seit etlichen Jahren alle Zahlungen von Firmen an Ärzt:innen nachvollziehen können - ohne dass Ärzt:innen dem gesondert zustimmen müssen. Das regelt der sogenannte „Physician Payments Sunshine Act“, ein Gesetz, das unter Barack Obama eingeführt wurde.

Die Bereitschaft, Zahlungen der Pharmaindustrie zu veröffentlichen, geht zurück

In Deutschland nimmt die Anzahl der Ärzt:innen, die Zahlungen freiwillig veröffentlichen, seit Jahren ab. Vor fünf Jahren stimmte noch fast jeder dritte Arzt einer Offenlegung zu, ein Jahr später war es nur noch ein Viertel, jetzt ist es gerade mal ein Fünftel der Ärzt:innen.

Zahlen wie diese verkauft die Pharmaindustrie trotz des Rückgangs in Deutschland als Erfolg. In dem Verein Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA) haben sich vor etlichen Jahren 53 Pharmafirmen zusammengeschlossen, die nach eigenen Angaben etwa drei Viertel des deutschen Marktes abdecken. Seit 2016 veröffentlichen sie die Zahlungen, denen die Ärzt:innen zustimmen. „Keine andere Branche geht so offensiv mit einem Teil ihrer Geschäftszahlen um“, schreibt der FSA auf Anfrage von BuzzFeed News.

Die wenigen Daten, die von der Industrie bereitgestellt werden, haben aber für Patient:innen kaum einen Wert, weil sie auf diversen Seiten von Herstellern verstreut sind. Man muss sich durch PDFs mehrere Pharma-Hersteller klicken, auf denen jeweils hunderte Ärzte stehen, um beispielsweise zu erfahren, ob der eigene Hausarzt Zahlungen von Firmen erhalten hat. 

Klagewelle: 135 Ärzt:innen waren mit der Transparenz nicht einverstanden

Das gemeinnützige Recherchenetzwerk Correctiv hatte in Kooperation mit dem Spiegel vor fünf Jahren die Plattform „Euros für Ärzte“ ins Leben gerufen. Auf der Plattform konnten Patient:innen die freiwillig angegebenen Zahlungen der Ärzt:innen aus den Jahren 2015 und 2016 durchsuchen. Der Betrieb war sehr aufwendig, deswegen wurde die Datenbank zu Beginn des Jahres eingestellt. Zudem hatten Mediziner:innen die Redaktionen mit 135 juristischen Verfahren überschwemmt. Letztendlich haben Richter aber in allen Fällen zugunsten von Correctiv und dem Spiegel entschieden.

Warum sprechen sich Ärzt:innen gegen eine Offenlegung aus? Zwar glaubt mehr als die Hälfte der Ärzte, dass Zuwendungen durch pharmazeutische Unternehmen ein Risiko für die Unabhängigkeit von Klinik und Forschung darstellen. Dennoch entscheiden sich viele Mediziner:innen gegen eine Veröffentlichung. Das fand die Wissenschaftlerin Marlene Stoll vom Leibniz-Institut für Psychologie in ihrer Dissertation heraus. Sie befragte dafür mehr als 200 Ärzt:innen. Die Hälfte der Ärzt:innen, die 2015 noch bereit war, Zahlungen offen zu legen, hatte sich der Umfrage zufolge im darauffolgenden Jahr bewusst dagegen entschieden. Ein häufig genannter Grund war „negative Medienberichterstattung“, aber auch, „dass sich die Ärzt:innen diffamiert oder auch kriminalisiert fühlen“, sagt Marlene Stoll. Manche Mediziner:innen äußerten zudem, dass es unfair sei, dass diejenigen, die transparent seien, in den Vordergrund rückten – und unklar bleibe, welche Zuwendungen die Ärzt:innen erhalten, die ihre Zahlungen für sich behalten.

Offenbar haperte es aber nicht nur am Willen der Ärzt:innen: Einige Mediziner:innen gaben an, dass ihre Zahlungen im Jahr 2015 nicht veröffentlicht worden waren, weil die Firmen sie nicht danach gefragt hatten – wohl ein Versäumnis der Industrie. „Nur ein Bruchteil der Daten ist transparent, wir bräuchten 100 Prozent“, sagt Marlene Stoll. „Man bekommt anhand der lückenhaften Daten überhaupt kein Bild davon, wie die Interaktionen zwischen Pharmaunternehmen und dem Gesundheitssektor überhaupt sind. Meiner Meinung nach wäre es wichtig, in den Dialog darüber zu kommen, was eigentlich noch normal ist und was angemessen.“

Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass Gelder sowohl das Verschreibeverhalten von Ärzt:innen als auch die Ergebnisse von Studien beeinflussen können. So kamen etwa Wissenschaftler aus Australien, Kanada und Dänemark vor drei Jahren in einer Meta-Analyse zu dem Schluss, dass Studien, die von Pharmaherstellern finanziert werden, häufiger für die Industrie günstige Ergebnisse haben als Studien, die von anderen Quellen gesponsert werden.

Ärzt:innen glauben oft: beeinflussbar seien nur die anderen

Ärzt:innen selbst halten sich Studien zufolge für relativ immun gegenüber einer Beeinflussung. Kolleg:innen wiederum bewerten sie mitunter als weniger neutral. Beeinflussbar sind angeblich oft nur die anderen. In der Fachwelt spricht man vom sogenannten „Bias Blind Spot“.

So befragten Wissenschaftler:innen etwa vor einigen Jahren Mediziner:innen, ob die Förderung oder Kontakte mit der Industrie einen Einfluss auf die Medikamente haben würden, die sie verschreiben. 61 Prozent der Ärzt:innen verneinte das für sich selbst. Aber nur 16 Prozent der Befragten glaubten, dass sich auch die Kollegen nicht beeinflussen lassen.

Der Einfluss der Pharmaindustrie beginnt oft schon in der Ausbildung. So zeigte vor acht Jahren eine Befragung von Medizinstudent:innen unter acht deutschen Universitätskliniken, dass mehr als die Hälfte der angehenden Mediziner:innen während des Studiums mindestens ein Geschenk der Industrie bekommen hatten.


„Ich sehe Geschenke an Ärzte als problematisch an“, sagt Luc Martinon. Er wünscht sich innerhalb der Fachwelt mehr Diskussionen darüber, welche Zahlungen in Ordnung sind und welche fraglich. Martinon hofft, dass Wissenschaftler seine Datenbank für die Forschung nutzen werden und dass die Politik EU-weit Gesetze einführt, um Transparenz für Patient:innen zu schaffen. „Ich will als Patient sehen, ob die Ärzte, die mich behandeln, Geld von Pharmafirmen erhalten und wie viel. Aber so lange die Daten nicht vollständig sind, geht das nicht“, sagt Luc Martinon. Auch die Wissenschaftlerin Marlene Stoll sieht Nachholbedarf in der Diskussion um Transparenz in der Medizin: „Es gibt viele Interaktionen, die kein Problem sind, aber dadurch, dass so wenig darüber gesprochen wird und die Zahlungen an Ärzte so intransparent sind, kann man die Auswirkungen auf Entscheidungen und das Patientenwohl überhaupt nicht bewerten.“

Die Industrie hingegen wertet die freiwilligen Angaben der Ärzt:innen als Erfolg. Der Verein Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie (FSA) teilt auf Anfrage mit, man habe „wiederholt Anstrengungen unternommen, mehr Mediziner:innen zur Offenlegung zu bewegen“. Man befinde sich in „regelmäßigem Austausch mit Ärzteschaft und Fachgesellschaften“ und bedauere, dass die Bereitschaft der Ärzt:innen in Deutschland abnehme, die Zahlungen zu veröffentlichen. In Zeiten der Pandemie habe man aber auch Verständnis dafür, dass Mediziner:innen bei den damit verbundenen erheblichen Belastungen andere Prioritäten setzen würden. Einer weiteren gesetzlichen Regel bedürfe es aus Sicht der Pharmalobby nicht. Der Markt für pharmazeutische Produkte sei ohnehin schon so komplex und „streng reguliert“.

Mehr zum Thema: „Exklusiv: Ärzte unterschlagen systematisch Interessenkonflikte“

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