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Revenge Porn und Spionage-Apps bedrohen immer mehr Frauen, aber die Bundesregierung unternimmt nichts dagegen

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Das zeigt eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, die BuzzFeed News exklusiv vorliegt.

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Die Bundesregierung warnt vor immer mehr häuslicher Gewalt, Familienministerin Franziska Giffey hatte Mitte November angekündigt, Hilfseinrichtungen für Frauen auszubauen. Internationale Studien zeigen: Häusliche Gewalt wird immer mehr auch mit digitalen Mitteln ausgeübt, etwa durch Revenge Porn, Spionage-Apps, Stalking über soziale Medien oder Smart-Gadgets im Haushalt. Doch die Bundesregierung ignoriert diese Probleme. Das zeigt eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, die BuzzFeed News Deutschland exklusiv vorliegt.

2017 hat die Polizei wesentlich mehr Fälle von häuslicher Gewalt registriert als im Jahr zuvor. Demnach wurden im vergangenen Jahr 138.893 Menschen in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner misshandelt, gestalkt, bedroht oder getötet. Davon waren 82 Prozent Frauen.

In immer mehr Fällen spielt dabei auch digitale Gewalt eine Rolle. Etwa, wenn Frauen durch das Veröffentlichen intimer Fotos oder Videos erpresst werden, wenn ihre private Adresse veröffentlicht, sie per Email oder Messenger bedroht werden oder ihr Partner oder Ex-Partner sie mit Hilfe von Spionage-Apps oder sogar Hausgegenständen überwacht und abhört.

In einem Bericht des Vereins Frauen gegen Gewalt e.V. (Bff) aus dem vergangenen Jahr heißt es, dass Beratungsanfragen zu digitaler Gewalt und wie man sich dagegen schützen kann seit 2014 angestiegen seien. „Das häufigste Problem ist, dass Frauen, die von häuslicher Gewalt oder Stalking betroffen sind jetzt auch davon ausgehen müssen, dass sich auf ihrem Smartphone Spyware befindet“, so der Bff.

Spyware-Apps werden auf dem Handy der betroffenen Person installiert, ohne dass diese sie entdecken kann. Man bekommt sie bereits für weniger als 200 Euro. Die Apps können Telefonanrufe mitschneiden, SMS und Fotos kopieren. Bei einigen lässt sich das Mikrofon kontrollieren, sodass Gespräche mitgeschnitten werden können.

Letzte Studie des Bundes liegt 14 Jahre zurück

In den USA und Großbritannien ist der Zusammenhang von häuslicher und digitaler Gewalt schon länger bekannt. Eine Recherche des US-amerikanischen National Public Radio von 2014 ergab, dass 75 Prozent der Frauenhäuser in den USA mit Betroffenen zu tun hatten, gegen die Spionage-Apps verwendet worden waren. Die New York Times recherchierte in diesem Jahr, dass gewalttätige Partner immer mehr Smart-Gadgets, wie Thermostate, Uhren oder Überwachungskameras nutzen, um Macht über Frauen auszuüben oder ihnen das Gefühl zu geben verrückt zu werden.

In Deutschland gibt es dazu keine Erkenntnisse. Deshalb fordert der Verein Frauen gegen Gewalt e.V. repräsentative Studien. Die Bundesregierung sieht hierfür aber keinen Bedarf. Stattdessen verweist sie auf Monitoring-Projekte des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ des BMFSJ, das sich allerdings mit rechtsextremer und islamistischer Propaganda im Internet und Jugendschutz auseinandersetzt und nichts mit digitaler Gewalt gegen Frauen zu tun hat.

„Zynisch“ sei das, schreiben die Linken-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg und frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Möhring, BuzzFeed News. „Es kann nicht sein, dass die letzte Studie zu Gewalt an Frauen inzwischen 14 Jahre alt ist und somit in eine Zeit fällt, als digitale Gewalt noch kein Thema war“, so Möhring.

Digitale Gewalt ist in der Polizeiausbildung so gut wie kein Thema

Nicht nur Zahlen fehlen. Normale Polizeibeamte, bei denen viele der Fälle häuslicher Gewalt auflaufen, werden bisher nicht im Umgang mit digitaler Gewalt gegen Frauen geschult. Laut Antwort der Bundesregierung wird dieser Themenbereich nur in einem Studiengang des BKA behandelt.

Das spiegelt sich auch in einem Bericht des Vereins Frauen gegen Gewalt e.V. (Bff) aus dem vergangenen Jahr. Dort heißt es, die Zuständigen für Fälle digitaler Gewalt bei der Polizei seien schwer in Erfahrung zu bringen. „Oft ist das Wissen bei der Polizei über digitale Gewalt gegen Frauen marginal, die Betroffenen werden nicht immer ernst genommen und äußerst selten gibt es (zuständige) IT-Spezialist_innen“, so der Bff. Die ohnehin bereits chronisch unterfinanzierten Beratungsstellen fordern, dass Polizei und Justiz sensibilisiert werden. Die Bundesregierung plant jedoch nichts dergleichen.

Das einzige Aufklärungsprojekt erhält nur knapp 700.000 Euro

Die Linken-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg kritisiert diese Haltung: „Ohne Zahlen zu erheben, das Strafrecht oder die Polizeiausbildung anzupassen, werden Frauen mit ihren Gewalterfahrungen im digitalen Raum alleingelassen“, so Domscheit-Berg gegenüber BuzzFeed News.

In den USA bietet die Initiative TechSafety nicht Betroffenen Unterstützung, sondern hat auch einen ausführlichen Ratgeber für Polizisten und Rechtsanwälte erstellt – etwa mit Tipps, wie am besten Beweise zu sichern sind. Der Bff hat mit „Aktiv gegen digitale Gewalt“ ein ähnliches Aufklärungsprojekt gestartet. Bisher wird es jedoch mit lediglich knapp 700.000 Euro für einen Zeitraum von 5 Jahren gefördert, wie aus der Antwort der Bundesregierung hervorgeht.

„Best practice Beispiele aus anderen Ländern gäbe es hier durchaus“ sagt Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen. „Dass Gewalt gegen Frauen immer noch alltäglich ist und seit Jahrzehnten zu wenig Mittel in Bund und Ländern für Prävention und Schutzräume bzw. Frauenhausplätze zur Verfügung stehen, ist nicht hinzunehmen.“

Man hinke der Realität hinterher, so auch die frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Nicole Bauer. „Aus Gesprächen mit Vertreterinnen von Frauenhäusern weiß ich, wie oft gewalttätige Partner auch digital übergriffig werden“, so Bauer. Viele Opfer wüssten gar nicht, dass sie digital ausspioniert, kontrolliert oder missbraucht wurden. „Eine Aufklärungsarbeit ist hierbei sowohl für die Prävention wichtig, um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, als auch für die Registrierung solcher Fälle.“

Neben Ansprechpartnern bei der Polizei fehlen betroffenen Frauen auch Möglichkeiten, ihre Handys oder andere mobilen Endgeräte auf versteckte Apps hin überprüfen zu lassen. Der Bff schreibt in seinem Bericht, oft sei nur die Anschaffung eines neuen Handys eine Möglichkeit sich der Kontrolle zu entziehen. Für Frauen in finanziell prekären Lebenslagen sei das oft schlicht nicht möglich.

Theoretisch wären solche Beratungen oder Überprüfungen durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) denkbar. Doch auf die Frage, ob das BSI auch für digitale Gewalt zuständig sei, antwortet die Bundesregierung, dies sei nicht der Fall. „Überlegungen dies zu ändern, bestehen seitens der Bundesregierung nicht“.

Betroffene von digitaler Gewalt können bei „Aktiv gegen digitale Gewalt“ Informationen finden, wie sie sich schützen können.

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