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Spargel: Kein einziger mit Corona infizierter Saisonarbeiter entschädigt

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Von: Daniel Drepper

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Hunderte osteuropäische Saisonarbeiter:innen haben sich auf deutschen Spargelfeldern schon mit Corona infiziert. Bislang wurde keine einzige Infektion als Arbeitsunfall anerkannt.
Hunderte osteuropäische Saisonarbeiter:innen haben sich auf deutschen Spargelfeldern schon mit Corona infiziert. Bislang wurde keine einzige Infektion als Arbeitsunfall anerkannt. © dpa/Bodo Schackow

Hunderte osteuropäische Erntehelfer:innen haben sich in Deutschland mit dem Coronavirus infiziert. Meist sind sie über die Unfallversicherung abgesichert – doch die hat bislang keine einzige Infektion als Arbeitsunfall anerkannt.

232 Fälle auf einem Hof im bayerischen Mamming, 95 Fälle in Inchenhofen, aktuell noch einmal 151 Fälle bei Thiermann in Niedersachsen: Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich hunderte osteuropäische Saisonarbeiter:innen in Deutschland mit Covid-19 infiziert. Doch wurde bislang keine einzige dieser Infektionen als Arbeitsunfall anerkannt – und die allermeisten Infektionen von den Betrieben offenbar noch nicht einmal an die Berufsgenossenschaft gemeldet.

Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Jutta Krellmann sowie aus Anfragen von BuzzFeed News Deutschland* hervor. Auch der Fall des rumänischen Erntehelfers, der im vergangenen Frühjahr auf einem Spargelhof in Bad Krozingen an Corona verstorben war, wurde offenbar nicht als Arbeitsunfall anerkannt. 

Netzwerk der Spargelbetriebe vergleicht Coronavirus mit Grippeerkrankung

Seit Beginn der Pandemie bis zur kleinen Anfrage der Linken Anfang Mai 2021 hatten Betriebe lediglich 32 Infektionen mit dem Coronavirus an die zuständige Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) gemeldet. 32 mögliche Corona-Arbeitsunfälle – für alle knapp 1,5 Millionen Versicherten aus den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Gartenbau. 

Das Netzwerk der Spargel- und Beerenverbände schreibt, die Behandlungskosten von Corona-Infektionen würden üblicherweise von privaten Erntehelferversicherungen getragen. „Dies beruht darauf, dass die Infektionen nicht als Arbeitsunfall gewertet werden.“ Und weiter: „Ansonsten müsste analog ja auch jede Grippeviruserkrankung ein Arbeitsunfall sein, sofern nachgewiesen wird, dass es sich um eine Ansteckung im Unternehmen handelt.“ 

Landwirte sind als Arbeitgeber eigentlich dazu verpflichtet, jeden möglichen Arbeitsunfall spätestens drei Tage nach Auftreten an die Berufsgenossenschaft zu melden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Behandlung über eine private Zusatzversicherungen abgerechnet wird oder ob der Arbeitgeber davon ausgeht, dass die Meldung ohnehin nicht als Arbeitsunfall anerkannt wird – mit diesen Fragen setzt sich allein die Sozialversicherung auseinander. „Im Zweifel sollte die/der Unterehmer/in eine Unfallmeldung abgeben“, schreibt die SVLFG. „Die Berufsgenossenschaft prüft/ermittelt dann von Amts wegen.“ 

Corona auf Spargelfeldern: „Wer auf deutschen Feldern schuftet, muss auch entschädigt werden“

„Wenn Arbeitgeber ihre Pflicht verletzen, arbeitsbezogene Corona-Erkrankungen zu melden, müssen sie sanktioniert werden. Auch die Bundesregierung hat hier eine Verantwortung. Sie kann nicht Arbeitskräfte aus aller Welt anwerben und sich dann nicht um deren Sicherheit scheren“, schreibt die Linken-Abgeordnete Jutta Krellmann. „Wer auf deutschen Feldern schuftet und sich dabei Corona einfängt, muss auch hier entschädigt werden.“ Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass Ansprüche abgewehrt werden, um die Arbeitgeberbeiträge zur Unfallversicherung niedrig zu halten. Die Kosten für anerkannte Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten werden auf alle Betriebe der betroffenen Branche umgelegt.

BuzzFeed News Deutschland hatte vor wenigen Tagen in einer Undercover-Recherche ausführlich über die problematischen Arbeitsbedingungen und Corona-Verstöße bei dem Spargelbetrieb Thiermann berichtet, einem der größten Spargelbauern Deutschlands. Insgesamt hatten sich in diesem Frühjahr bislang 151 Saisonarbeiter:innen bei Thiermann mit dem Coronavirus infiziert. Thiermann schreibt nun auf Nachfrage: „Alle Fälle der bei Thiermann positiv auf Covid-19 getesteten Saisonarbeiter, die unter häusliche Quarantäne gestellt wurden, wurden von Thiermann der zuständigen Berufsgenossenschaft gemeldet.“ 

Inzwischen sind die Zahlen nochmal weiter angewachsen. Auf Rückfrage schreibt die Berufsgenossenschaft SVLFG, dass in den vergangenen vier Wochen, nach der Anfrage der Linken im Bundestag, 108 weitere Corona-Infektionen als mögliche Arbeitsunfälle gemeldet wurden. Mittlerweile seien – Stand 2. Juni – 140 Corona-Infektionen gemeldet. Von denen hat die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft SVLFG bisher keine als Arbeitsunfall anerkannt. Die allermeisten befinden sich noch in der Prüfung.

Mehrheit der Saisonarbeiter sind in Deutschland versichert, aber wurden bisher nicht entschädigt

Wie viele davon Erntehelfer:innen betreffen, wollte die SVLFG auf Nachfrage nicht beantworten und berief sich auf angeblichen Datenschutz. Folglich dürfte die Zahl der Infektionen bei Saisonarbeiter:innen, die der Berufsgenossenschaft auch angezeigt wurden, wohl noch deutlich niedriger liegen, trotz hunderter bestätigter Covid-19-Fälle allein auf deutschen Spargelhöfen. 

Die Mehrheit der osteuropäischen Saisonarbeiter:innen auf deutschen Feldern sind über die deutsche Unfallversicherung abgesichert. Diese kümmert sich bei Arbeitsunfällen um eine besonders gute Versorgung der Betroffenen und zahlt bei schweren Verläufen auch eine Rente. Bei Todesfällen überweist die Versicherung normalerweise eine lebenslange Hinterbliebenenrente an die Familie.

Voraussetzung für die Anerkennung eines Corona-Arbeitsunfalles ist, „dass die Infektion auf die jeweilige versicherte Tätigkeit [...] zurückzuführen ist. In diesem Rahmen muss ein intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person („Indexperson“) nachweislich stattgefunden haben“, schreibt die SVLFG auf ihrer Webseite. Und weiter: „Lässt sich kein intensiver Kontakt zu einer Indexperson feststellen, kann es im Einzelfall aber ausreichen, wenn es im unmittelbaren Tätigkeitsumfeld [...] nachweislich eine größere Anzahl von infektiösen Personen gegeben hat.“ Zudem müssten konkrete, die Infektion begünstigende Bedingungen bei der versicherten Tätigkeit vorgelegen haben. 

Gerade bei massiven Ausbrüchen in Großbetrieben könnte man vermuten, dass bei einer Reihe der Betroffenen die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt sein könnten. Auf Anfrage klingt das bei der zuständigen SVLFG aber anders: da bei Saisonarbeiter:innen grundsätzlich ein großer Teil der Arbeit an der freien Luft stattfinde, bestehe schon deshalb „ein äußerst geringes Infektionsrisiko“. Es müsse in jedem Einzelfall geprüft werden, ob „hier dennoch die versicherte Tätigkeit Auslöser für die Infektion hätte sein können“. 

Als Arbeitsunfall gelten Ansteckungen nur, wenn sie unmittelbar mit der Tätigkeit zusammenhängen

Wenn sich die Arbeiter:innen nach der Arbeit in ihren Gemeinschaftsunterkünften anstecken, sei dies nicht automatisch auch ein Arbeitsunfall. Das „nicht“ unterstreicht die Berufsgenossenschaft in ihrer Antwort. Dabei spielt es offenbar keine Rolle, dass die Arbeiter:innen nur für die Arbeit nach Deutschland gekommen sind, fast ausschließlich Sozialkontakte zu ihren Arbeitskolleg:innen haben und sich die meiste Zeit in den vom Betrieb gestellten Unterkünften aufhalten – als Arbeitsunfall gelten die Ansteckungen nur, wenn sie in Situationen erfolgt sind, die wirklich unmittelbar mit der bezahlten Tätigkeit zusammenhängen. 

Zudem, schreibt die Berufsgenossenschaft, hätten einige Versicherte sich schon im Heimatland vor der Einreise angesteckt, einige weitere seien im Heimatland versichert und würden daher dort versorgt – und viele hätten einen symptomlosen Verlauf gehabt. Um als Arbeitsunfall anerkannt zu werden, muss bei Infektionen mit dem Coronavirus ein symptomatischer Verlauf erfolgen. Mögliche Langzeitschäden und sogenannte „Long-Covid“-Fälle werden bei der Anerkennung bisher nicht berücksichtigt. 

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wollte die bisher nicht erfolgte Anerkennung von Corona-Arbeitsunfällen bei Saisonarbeiter:innen nicht kommentieren und verwies auf die zuständige Berufsgenossenschaft SVLFG.

Coronavirus auf Spargelfeldern: „Die Saisonarbeitskräfte dürfen nicht alleine gelassen werden“

Neben der Linksfraktion kritisieren auch die Grünen die fehlende Anerkennung der Infektionen. „Saisonarbeitskräfte arbeiten, leben und wohnen eng zusammen. Bei diesem hohen Ansteckungsrisiko gehe ich davon aus, dass die Unfallversicherung greifen muss“, sagte Beate Müller-Gemmeke, Fraktionssprecherin der Grünen für Arbeitnehmerrechte. Die Arbeitgeber:innen trügen natürlich Verantwortung und dem müssten sie auch gerecht werden. „Die Saisonarbeitskräfte dürfen nicht alleine gelassen werden, auch nicht bei den Auswirkungen einer Covid-19 Erkrankung.“

Der sozialpolitische Sprecher der FDP, Pascal Kober, schreibt, dass es „von der genauen Prüfung des Einzelfalles“ abhänge, „ob nun die Unfall- oder Krankenversicherung die Leistungen zu erbringen hat. Bei unterschiedlichen Auffassungen ist auf eine gerichtliche Entscheidung hinzuwirken, die jedem offenstehen muss.“

SPD und CDU antworteten nicht auf Anfragen von BuzzFeed News Deutschland.

BuzzFeed News Deutschland berichtet weiter über Machtmissbrauch und Arbeitsausbeutung. Die Redaktion erreichen Sie vertraulich unter recherche@buzzfeed.de.

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