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Telegram löscht ohne Gerichtsbeschluss Inhalte, die Sicherheitsbehörden für Terrorpropaganda halten

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Von: Marcus Engert

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Politiker kritisieren die Praxis als „hochproblematisch“, weil Freiheitsrechte eingeschränkt würden.

BuzzFeed.de © Oliur auf Unsplash unter CC0 (creativecommons.org ) / Via unsplash.com

Das BKA und weitere europäische Sicherheitsbehörden lassen regelmäßig hunderte Inhalte aus Telegram löschen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion sowie aus einer Mitteilung der EU-Polizeiagentur Europol hervor, die BuzzFeed News Deutschland vorliegen.

So habe das BKA Anfang Oktober an einem Aktionstag der EU-Polizeiagentur EUROPOL teilgenommen, bei dem auch Vertreter von Telegram anwesend waren.

Das Innenministerium erklärte dazu in der nun veröffentlichen Antwort, es seien dort von allen Teilnehmern mehrere hundert Links an Telegram zur Löschung weitergeleitet worden.

Und weiter:

„Deutschland hat insgesamt 108 Links gemeldet, davon 92 Links zu Videos von Al-Qaida und 14 Links zu Fotos von IS-Propagandamaterial sowie zwei Links zu einem PDF-Bericht von Al-Shabab.“

Linke und Grüne im Bundestag kritisierten dieses Vorgehen. So schreibt Andrej Hunko von der Linksfraktion, der die Kleine Anfrage eingereicht hatte, auf Anfrage von BuzzFeed News, er finde es „hochproblematisch, denn allen Löschaktionen (...) gingen keine richterlichen Beschlüsse voraus.“

Grünen-Politiker Konstantin von Notz forderte klare rechtliche Vorgaben zur Überprüfung und Entfernung vermeintlich terroristischer Inhalte sowie „transparente Regelungen zur Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden und Unternehmen.“

Aktionstag zur Löschung mit Telegram

Die Löschungen bei Telegram gehen auf einen am 3. Oktober durchgeführten Aktionstag („Joint Referral Day“) im Rahmen des EU-Internetforums zurück. Auch Sicherheitsbehörden aus Belgien, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Großbritannien hatten daran teilgenommen.

Im EU-Internetforum organisieren sich Europäische Kommission und die EU-Polizeiagentur Europol freiwillig mit Internetfirmen. Federführend ist die „Meldestelle für Internetinhalte“ („Internet Referral Unit“, kurz: IRU) von Europol. Derzeit beteiligen sich etwa 20 Unternehmen daran, so unter anderem Facebook (mit Instagram), Twitter, Google/YouTube, Microsoft, Internet Archive, Wordpress, Soundcloud, Dropbox und Telegram.

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Auf diesem Aktionstag seien „die im BKA aus der offenen Internetsichtung für den Phänomenbereich des religiös motivierten Terrorismus bekannten Telegram-Kanäle analysiert“ worden, schreibt das Innenministerium. Im Gegensatz zu privaten Chats sind Kanäle beziehungswiese Channels öffentlich und nicht verschlüsselt – jeder kann also mitlesen.

Doch anders als durch die Pressemitteilung von EUROPOL und die Antwort des Innenministeriums suggeriert, scheint es auf den Aktionstagen gar nicht zum inhaltlichen Austausch mit privaten Internetfirmen gekommen zu sein.

So erklärte Telegram-Sprecher Fred Bale gegenüber BuzzFeed News: „Während des Aktionstages war es Telegram als privatem Unternehmen nicht erlaubt, den Meldeprozess der Vertreter der EU-Polizeibehörden zu verfolgen. Der Zweck dieser Übung bestand darin, Wissen zwischen den Polizeibeamten auszutauschen – nicht, dieses an Telegram weiterzugeben.“

Folglich seien während der Veranstaltung auch keine Anfragen auf Löschung gestellt worden, so Bale. „Was auch immer während der Übung markiert wurde, muss uns am 3. Oktober über die normalen Kanäle (wie zum Beispiel E-Mail) erreicht haben.“

Bale zufolge habe Telegram am 3. Oktober deutlich mehr Meldungen als üblich erreicht – und folglich seien auch deutlich mehr Löschungen durchgeführt worden, so der Telegram-Mitarbeiter:

„Am 3. Oktober haben wir auf Anforderung von Sicherheitsbehörden mindestens 173 öffentliche Kanäle gelöscht, ebenso 98 öffentlich einsehbare Seiten, die über unsere Veröffentlichungsplattform telegra.ph erstellt wurden.“

Gemeldet ist nicht gleich gelöscht

Unklar bleibt, wie viele der gemeldeten oder diskutierten Inhalte von Telegram nicht gelöscht wurden. Eine Sprecherin der Polizeiagentur Europol bestätigte auf Anfrage von BuzzFeed News lediglich die Teilnahme von Telegram: „Es ist an unseren Partnern, selbst zu kommentieren, was diese auf den Aktionstagen tun oder nicht tun.“

Europol wies allerdings darauf hin, dass die gemeldeten Inhalte fast immer gelöscht würden. So seien seit der Einrichtung der Meldestelle 2015 bislang 63.719 Inhalte gemeldet worden – 84,5 Prozent davon hätten die Betreiber anschließend entfernt.

Fakt bleibt allerdings, dass Telegram selbst entscheidet, ob ein kritischer Inhalt gelöscht wird oder nicht – und dass diese Löschungen freiwillig sind. „Bislang hatte der Dienst Ersuchen zur Löschung stets zurückgewiesen, der Bundesregierung war nach Kenntnis der Fragesteller nicht einmal eine Adresse der Firma bekannt, an die entsprechende Anforderungen gerichtet werden konnten“, heißt es in der nun veröffentlichen Kleinen Anfrage in der Vorbemerkung der Linksfraktion.

Telegram-Sprecher Fred Bale erklärte, man lösche täglich bis zu 300 Bots und Kanäle, die wenigsten davon allerdings auf Betreiben von Behörden: „Einige davon werden uns von Regierungsbehörden mitgeteilt. Der Großteil erreicht uns aber über besorgte Freiwillige oder weil unsere Moderatoren aktiv danach suchen.“ Man stelle außerdem öffentliche Statistiken über die Löschungen bereit.

Freiwillig und ohne Prüfung durch einen Richter

Eine Europol-Sprecherin erklärte gegenüber BuzzFeed News, der Aktionstag sei bereits der elfte dieser Art gewesen. Drei der Aktionstage seien unter Beteiligung von „privaten Partnern“ durchgeführt worden: Einer im Juli mit Google, davor einer im März mit WordPress und einer im Januar mit Facebook (zu dem auch Instagram gehört).

In ihrer Antwort räumte die Bundesregierung auch ein, dass die zur Löschung vorgelegten Inhalte nicht auf strafrechtliche Relevanz geprüft wurden. Mit anderen Worten: Ob der gefundene Inhalt legal oder illegal war, wurde nicht bewertet.

BuzzFeed.de © Links: Burkhard Lischka, SPD-Fraktion (Foto: Nilz Böhme). Mitte: Konstantin von Notz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Foto: Stephan Pramme). Rechts: Andrej Hunko, Fraktion Die Linke. (Foto: Andreas Schöttke)

Das sorgt für Kritik, zum Beispiel bei Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag und Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums.

Natürlich müsse der Verbreitung von Terrorpropaganda Einhalt geboten werden, schreibt von Notz auf eine Anfrage von BuzzFeed News. Er ergänzt aber, es sei „zwingend notwendig, dabei rechtsstaatliche Grundsätze nicht zu schleifen. Die Antworten der Bundesregierung zeigen jedoch, dass die bisherige Praxis den rechtsstaatlichen Ansprüchen nicht gerecht wird. Eine Löschung auf Zuruf ohne vorherige Prüfung der strafrechtlichen Relevanz und Information der Betroffenen ohne klare Rechtsgrundlage im Rahmen von Aktionstagen wirft durchaus Fragen auf.“

Angesichts der hohen Zahl entfernter Inhalte fordert von Notz klare rechtliche Vorgaben zur Überprüfung und Entfernung vermeintlich terroristischer Inhalte sowie „transparente Regelungen zur Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden und Unternehmen“. Zumindest zwischen den EU-Mitgliedsstaaten müssten diese abgestimmt sein, so von Notz.

Andrej Hunko, für die Linkspartei im Bundestag und Einreicher der Fragen, auf die das Innenministerium nun antwortete, wird grundsätzlicher: „Wir haben die „Meldestelle für Internetinhalte“ bei Europol seit ihrer Gründung kritisiert“, schreibt Hunko auf Anfrage von BuzzFeed News.

„Eigentlich sollte die vom deutschen Bundeskriminalamt mitgegründete Abteilung nur islamististische Inhalte entfernen lassen. Kurz darauf wurde das Aufgabenspektrum auf „Migrantenschmuggel“ erweitert. Nach meiner Kenntnis müssten nach den Ersuchen der „Meldestelle“ bald Hunderttausend Postings oder Nutzeraccounts verschwunden sein“, schreibt Hunko.

„Das ist hochproblematisch, denn allen Löschaktionen, auch den „Aktionstagen“, gingen keine richterlichen Beschlüsse voraus. Es ist also völlig unklar, inwiefern die Inhalte überhaupt strafbar waren. Das wilde Großreinemachen im Internet bewegt sich also am Rande der Legalität“, so Hunko weiter.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka, begrüßte das Vorgehen hingegen: „Wenn deutschen Sicherheitsbehörden Kenntnis von der Verbreitung von strafbarer islamistisch-terroristischer Propaganda auf einem öffentlichen Kanal eines Messengerdienstes erhalten und darüber den Betreiber informieren, ist das legitim und meiner Meinung nach auch dringend geboten“, sagt Lischka. „Genauso legitim ist es, wenn der Betreiber des Dienstes diese Inhalte anschließend entfernt. Dies entspricht auch deutschem und europäischem Recht, wonach Anbieter öffentlich zugängliche strafbare Inhalte ihrer Nutzer entfernen müssen, sobald sie davon Kenntnis haben.“

CDU/CSU AfD und antworteten nicht auf die Fragen von BuzzFeed News, die FDP wollte keinen Kommentar abgeben.

Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage ging zudem hervor, dass „derzeit etwa 17 Unternehmen Technologien einsetzen, um terroristische Inhalte auf ihren Plattformen zu vermeiden.“ Das könnte darauf hindeuten, dass bereits heute viele der großen Internetfirmen mit sogenannten „Upload-Filtern“ arbeiten.

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Offenbar nutzen schon jetzt mindestens 17 Internetfirmen sogenannte Upload-Filter

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