US-Amerikaner greifen zu Tiermedikamenten wie Fisch-Antibiotika, statt zum Arzt zu gehen
Angesichts steigender Gesundheitskosten greifen manche zu Tierarzneimitteln, statt sich Medikamente verschreiben zu lassen. Fachleute sind besorgt.

Während in den USA über die Zukunft des Gesundheitssystems debattiert wird, können sich einige Amerikaner keine Behandlung leisten oder wollen mit Ärzten nichts zu tun haben. So greifen sie zu ungewöhnlichen Mitteln – Antibiotika aus dem Internet. Oder von Händlern, die auf die Behandlung von Nutz- und Haustieren und sogar von Fischen spezialisiert sind.
„Damit heilen meine Knochen wirklich gut”, sagt Chris, ein 27-jähriger Mann mit körperlicher Behinderung, der im US-Bundesstaat Mississippi lebt. Seit Kurzem nimmt er Fischantibiotika, die er in einem Geschäft in der Stadt kauft, um seine Fersenschmerzen zu behandeln. Chris möchte nicht, dass sein Nachname in diesem Bericht genannt wird. „Das Einzige, was mir nicht gefällt, ist, dass die Pillen sehr schwach dosiert sind. So bin ich gezwungen, zu berechnen, wie viele ich nehmen muss.”
Chris, der nach eigenen Angaben 700 Dollar (weniger als 700 Euro) im Monat verdient, könnte sich die vom Arzt verschriebenen Medikamente im Wert von 150 Euro gar nicht leisten.
„Die Fischantibiotika kosten mich 15 Dollar”, sagt er. „Die Ärzte sagen, das ist schon in Ordnung – irgendwas stößt uns ja sowieso zu.”
Seth, der in einer ländlichen Gegend von Iowa wohnt, kauft Tierantibiotika, seit er vor etwa zehn Jahren seine Krankenversicherung verloren hat. Den Tipp bekam er von einem Angestellten eines Tierarzneimittelherstellers in der Nähe. Seth, der ebenfalls nicht will, dass sein Nachname genannt wird, sagt im Gespräch mit BuzzFeed News: „Es ist immer gutgegangen, man muss es nur richtig dosieren. Das ist Teil der Kultur – alle machen es so, sie haben es alle auf Zetteln notiert.”
Er fügt hinzu: „Das sind so Sachen, bei denen geht man ein Risiko ein und hofft, dass es gutgeht.”
Medizinexperten sind alarmiert, denn sie halten dieses Vorgehen für gefährlich.
Maria Brömme, Tierärztin an der Pacific Animal Clinic im kalifornischen Santa Monica, warnt, die Einnahme von Tierantibiotika berge die Gefahr einer unbeabsichtigten Überdosierung, da sich der menschliche vom tierischen Stoffwechsel unterscheidet. Zudem könne jede Form der Selbstdosierung zu künftigen Resistenzen gegen Antibiotika führen.
„Das ist nicht nur für den einzelnen Menschen gefährlich, sondern für die ganze Welt”, sagt sie.
Brömme hält die Einnahme von Fischantibiotika aus mehreren Gründen für „dumm und gefährlich”. Fischantibiotika unterliegen weniger strengen Kontrollen als Antibiotika für Menschen. Hinzu kommt, dass Selbstmedikation mit verschreibungspflichtigen Arzneien immer ein hohes Risiko birgt. Zudem ruft die übermäßige Einnahme von Antibiotika Resistenzen hervor, die das Behandeln von Infektionen künftig erschweren.
Um diesem Trend zu begegnen, hat die US-amerikanische Tierbedarfskette PetSmart vor einigen Jahren beschlossen, Fischantibiotika nicht mehr in einer für Menschen leicht zu konsumierenden Form anzubieten. „Auf diese Weise können wir Fischarzneimittel für Menschen verfügbar machen, die sie für ihr Aquarium brauchen. Zugleich verhindern wir Missbrauch”, sagt ein Sprecher des Unternehmens gegenüber BuzzFeed News. Petco, eine andere Tierbedarfskette, lehnt es ebenfalls ab, Fischantibiotika auf Lager zu haben.

Da Ladengeschäfte zunehmend streng gegen den Missbrauch von Tiermedikamenten vorgehen, greifen die Käufer stattdessen auf Online-Händler wie Amazon und eBay zurück.
Anfang des Monats machte eine Twitter-Nachricht der Autorin Rachel Sharp im Netz Furore. Der Tweet zeigte lediglich ein paar Screenshots von Amazon-Einträgen für Fischantibiotika.
Zahlreiche Kommentatoren lobten die Medikamente, da sie ihre Fische von sehr menschlichen Krankheiten wie Infektionen im Mund, Zahnschmerzen und Halsweh geheilt hätten. „Meine Fische hatten eine schwere Bronchitis oder sowas”, war in einem Kommentar zu lesen. „Wir haben ihnen Medikamente verabreicht und, siehe da, nach zwei Tagen waren sie wie neugeboren und schwammen munter weiter.”
Im Internet existieren Dutzende von Foren, in denen über die Verwendung von Tierarzneimitteln debattiert wird. Auf Facebook wird ungeniert behauptet, man könne ärztlich verschriebene Medikamente durch Medikamente für Schafe und Fische ersetzen. Auf Twitter klagen Leute, sie seien gezwungen, Tiermedikamente zu nehmen, weil der Arztbesuch und die verschriebenen Medikamente so teuer seien.
Eine Online-Community setzt sich besonders aktiv dafür ein, die vermeintlichen Vorteile von Tierarzneimitteln zu propagieren: die Doomsday Preppers. Diese Überlebenskünstler, wie sie auch genannt werden, nutzen seit Jahren das Internet, um Tipps für die Dosierung und Lagerung, beispielsweise von Fischantibiotika, auszutauschen.
In einer geschlossenen Facebook-Gruppe sagten mehrere „Prepper” im Gespräch mit BuzzFeed News, für sie sei das Preis-Leistungs-Verhältnis beim Kauf großer Mengen von Medikamenten attraktiv.
Einige Prepper, die der Regierung misstrauen, glauben außerdem, die US-Arzneimittelbehörde FDA würde Antibiotika nur regulieren, um die Pharmaindustrie zu unterstützen. „Rezepte [für Antibiotika] sind unnötig”, sagt ein Prepper. „Es handelt sich ja nicht um Suchtmittel, Opioide oder ähnliches.”
Der Trend, Tiermedikamente zu horten, wird auch durch „Prepper-Schulungsvideos” auf YouTube befeuert, etwa durch die Filme der „Patriot Nurse”, die einen Kanal mit über 180.000 Abonnenten betreibt. In einem Video, das mehr als 200.000-mal angesehen wurde, erörtert die „Krankenschwester” Fragen rund um die Sicherheit von Fischantibiotika: „Das sind exakt die gleichen Präparate wie die, welche für den menschlichen Konsum gekennzeichnet sind, und zwar vor allem deshalb, weil der Hersteller – Thomas Labs – derselbe ist.”
In dem Video sagt sie: „Die Präparate werden am selben Ort produziert [wie die Antibiotika für Menschen] und lediglich für andere Verwendungszwecke gekennzeichnet.”
Ein Vertreter von Thomas Labs, einem Hersteller von Fischantibiotika, teilte BuzzFeed News mit, man empfehle, die Medikamente ausschließlich für Fische zu verwenden. Das Unternehmen wollte sich nicht weiter äußern.
Die „Patriot Nurse”, die das nicht kommentieren wollte, warnt ihr Publikum zudem davor, auf den Rat von Ärzten zu hören. „Damit könnt ihr alles versauen”, sagt sie in ihrem Video. „Antibiotika sind nämlich nicht für die Erstbehandlung gedacht. Sie sind der letzte Ausweg.”
Für Händler wie eFishMox, der mit der Bezeichnung „Amerikas beliebtester Online-Händler für Fischantibiotika” wirbt, ist die Flut von Informationen zur Selbstmedikation im Internet ein Segen. Firmeninhaber Glen Scott sagt im Gespräch mit BuzzFeed News, ihm sei zwar klar, dass die Einnahme durch Menschen Gefahren berge, aber kontrollieren lasse sich das nicht. „Wir können es nicht kontrollieren”, sagt er. „Aber wir raten den Leuten auch davon ab, einfach so Antibiotika zu nehmen.”
Noch vor Kurzem hat eFishMox Fischantibiotika in Viererpackungen mit der Bezeichnung „Survivor Pack” (Überlebenspaket) verkauft. Dieser Begriff, so Scott, sei reiner Zufall und man ziele damit keineswegs auf die Survival-Szene ab. Im vergangenen Jahr war auf der eFishMox-Facebookseite, die laut Scott extern verwaltet wird, eine Einladung zu einer Gruppe namens „Deep Survival” zu finden, die sich als Community für „Überlebenskünstler, Prepper und Taktikdiskussionen” beschreibt. Nach dem Interview von BuzzFeed News mit Scott wurde das „Survivor Pack” in „Essential 4 Pack” umbenannt und die Facebook-Einladung gelöscht.
Super Happy Thriving Fish, ein anderes Unternehmen, das in großen Mengen Fischantibiotika verkauft, bietet Packungen zu Preisen zwischen 160 und 770 US-Dollar an und wurde in einem Video der „Patriot Nurse” beworben. Die Abkürzung „SHTF” (Super Happy Thriving Fish) wird von zahlreichen Preppern zu „shit hits the fan” umgedeutet, zu Deutsch: Die Kacke ist am Dampfen.
Ein SHTF-Mitarbeiter teilte BuzzFeed News mit, sein Unternehmen verkaufe „Produkte für Haustierfreunde” und die Medikamente sollten nur bestimmungsgemäß verwendet werden. Auf der SHTF-Webseite heißt es im Abschnitt „Über uns”, die Produkte seien zwar für den Einsatz in Aquarien bestimmt, würden jedoch „nach den gleichen strengen Normen hergestellt wie Präparate für Menschen”.
Nathan A. Everson, Hochschuldozent an der Virginia Tech und Doktor der Pharmazie, sagte auf Nachfrage von BuzzFeed News, die Selbstmedikation mit Antibiotika könne zu einer Arzneimittelresistenz führen. „Wer unnötig oder ohne angemessene Beratung durch einen Apotheker beziehungsweise Arzt Antibiotika nimmt, riskiert eine Infektion mit arzneimittelresistenten Bakterien oder eine Superinfektion”, so Everson.
Eversons Kommentare decken sich mit der Aussage von Dr. Brad McKay, der in der Nähe der australischen Stadt Sydney praktiziert. „Wer den Arzt umgeht, um Geld zu sparen, behandelt möglicherweise die falsche Krankheit mit den falschen Medikamenten in einer falschen Dosierung”, sagt McKay.
Für Kathy Köhn, die als Beraterin an einer Grundschule im US-Bundesstaat Wisconsin tätig ist, haben die niedrigen Preise für Medikamente jedoch durchaus ihren Reiz.
„Wenn man krank ist und meint, man hat eine Halsentzündung oder Ähnliches, dann will man das Präparat sofort haben, ohne warten zu müssen.”
Sie und ihr Mann, sagt sie, hätten in der Vergangenheit zur Selbstbehandlung Terramycin genommen, ein Antibiotika für Schafe. Zu diesem Zweck hätten sie die großen Filmtabletten in kleine Stücke geschnitten und die korrekte Dosis abgeschätzt. „Es ist solch ein großes Pillenstück pro Pfund Körpergewicht des Schafs”, sagt Köhn. „Wir tun also so, als wären wir Schafe, und wiegen uns dementsprechend.”
Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch.