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Willkommen in der Partystadt Bagdad

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So sieht die Hauptstadt des Irak heute aus, 15 Jahre nach dem Einmarsch der USA.

Die Aussicht vom Balkon des Restaurants Saj al-Reef im Viertel Mansour von Bagdad.
Die Aussicht vom Balkon des Restaurants Saj al-Reef im Viertel Mansour von Bagdad. © Andrea DiCenzo for BuzzFeed News

BAGDAD — Als Zeinab Mohamed noch eine Teenagerin war, durfte sie abends nicht mehr rausgehen, nicht einmal in ihrer eigenen Nachbarschaft. Da Bombenangriffe, Schießereien und Entführungen an der Tagesordnung waren, war es einfach zu gefährlich. Sie lief jeden Tag nach der Schule schnell nach Hause und blieb dort bis zum nächsten Morgen. Am Tag der Uni-Abschlussfeier vor zehn Jahren war eine Party oder Ausgehen mit ihren Freunden undenkbar. Sie hat zu Hause zurückgezogen gefeiert.

Aber diesen kühlen Mittwochabend im März verbringt die 30-jährige Mitarbeiterin eines Reisebüro im Piano, einem exklusiven Restaurant im Westen Bagdads, mit knapp einem Dutzend Verwandten und gönnt sich ein Abendessen und Kuchen zum Geburtstag ihres Onkels. Es ist 22 Uhr. Sogar ihr 7-jähriger Neffe ist bei der Feier dabei.

Zeinab Mohamed abends unterwegs in Bagdad.
Zeinab Mohamed abends unterwegs in Bagdad. © Andrea DiCenzo for BuzzFeed News

„Heute ist es anders, als damals als ich jung war“, sagt Mohamed. „Die Leute haben gearbeitet oder sind in die Schule gegangen, danach nach Hause und das war's. Jetzt wird die Lage immer besser. Es gibt so viele Restaurants und Cafés, die rund um die Uhr geöffnet sind, bis spät in die Nacht, und auch Partys finden jetzt abends statt. Wir können bis vier Uhr morgens ausgehen.“

Eine Familie feiert Geburtstag im Restaurant Piano.
Eine Familie feiert Geburtstag im Restaurant Piano. © Andrea DiCenzo for BuzzFeed News

Willkommen in der Partystadt Bagdad, einer Metropole mit nahezu acht Millionen Einwohnern, die sich seit den lebensgefährlichen Jahren nach dem Einmarsch der USA im Jahr 2003 und den darauf folgenden 15 Jahren Krieg, unlängst in Form blutiger Auseinandersetzungen mit dem sogenannten IS, stark verändert hat.

Nicht nur die Restaurants und Cafés sind jetzt bis früh morgens geöffnet. In den Straßen der Geschäftsviertel reihen sich die Autos, es ist laute Musik zu hören und Kinder spielen draußen. „Heute ist nachts zunehmend mehr los“, meint Muntassir Mashadani, der 29-jährige Nachtmanager des al-Faqma, einer berühmten irakischen Kette von Eisläden. Nachdem Premierminister Haider al-Abadi im Dezember den Sieg über den sogenannten IS erklärt hat, schätzt Mashadani, dass sich das Geschäft um bis zu 25 Prozent gesteigert hat. „Seitdem hat eine große Veränderung stattgefunden.“

Toilettenschilder im beliebten irakischen Kettenrestaurant Saj al-Reef.
Toilettenschilder im beliebten irakischen Kettenrestaurant Saj al-Reef. © Andrea DiCenzo for BuzzFeed News

Das bedeutet aber nicht, dass keine Gefahr mehr besteht. Mashadani fiel vergangenes Jahr fast einem Bombenanschlag auf eine andere Filiale zum Opfer. 17 Menschen starben. In der Hauptstadt werden immer noch Anschläge verübt, darunter einer im Januar, bei dem 35 Personen ums Leben kamen. Insgesamt ist die Anzahl der Anschläge laut Sicherheitsexperten aber wesentlich zurückgegangen. Jeder, der Bagdad 2006 auf dem Höhepunkt des religiös motivierten Bürgerkriegs besucht hat – oder 2014, als der sogenannte IS fast bis zum Stadtrand vorgedrungen war – wäre überrascht wie sich das Lebensgefühl und das Nachtleben der Stadt verändert haben.

Die Eisdiele Al-Faqma.
Die Eisdiele Al-Faqma. © Andrea DiCenzo for BuzzFeed News

Schäbige Nachtclubs, wie die an der Saadoun im Zentrum der Stadt, wo Männer im Tiefparterre Whiskey kippten, gab es schon immer. Zur alten Elite zählten die Mitglieder der zahlreichen Country Clubs, die lang geöffnet hatten. Junge Arbeiter spielten Domino und rauchten Shisha im Beiruti, einem Café am Flussufer.

Aber was neu ist, sind Familien, die abends unterwegs sind. Restaurants, wie eine Filiale der türkischen Kette Mado, haben sich vor allem in den Einkaufszentren angesiedelt, die immer häufiger in der Stadt zu finden sind. In nur wenigen wird Alkohol angeboten, aber in vielen ist es möglich, bis spät abends Wasserpfeife zu rauchen.

Junge Bewohner Bagdads genießen abends Eiscreme.
Junge Bewohner Bagdads genießen abends Eiscreme. © Andrea DiCenzo for BuzzFeed News

Nachdem sich die Sicherheitslage verbessert hat, schließen Restaurantbesitzer jetzt meist erst am frühen Morgen, vor allem, weil sich die Angestellten auf ihrem Heimweg inzwischen auch sicherer fühlen. „Früher mussten wir um 21 oder 22 Uhr Schluss machen“, erzählt Dhiaa Adel, der 34-jährige Manager der Mansour-Filiale des Saj al-Reef, einer gehobenen irakischen Restaurantkette. „Heute ist das anders. Ich gehe um 4 Uhr nach Hause.“

Viele denken, dass die Stadt durch Premier al-Abadi lebenswerter geworden ist. Das Nachtleben blühte erst richtig auf, als er die Ausgangssperre zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens aufhob, die vor drei Jahren eingerichtet worden war.

Als sich der Krieg gegen den sogenannten IS langsam beruhigte, begann al-Abadi damit, die trostlosen, hässlichen Betonmauern abtragen zu lassen, die die einzelnen Viertel voneinander trennten. Die Regierung verlegt nun viele dieser Absperrungen an die syrische Grenze, durch die die IS-Kämpfer vom erneuten Einmarsch abgehalten werden sollen.

Freunde gönnen sich abends eine Pizza.
Freunde gönnen sich abends eine Pizza. © Andrea DiCenzo for BuzzFeed News

Die Behörden haben außerdem die Anzahl der Kontrollpunkte sowie willkürliche Straßensperren reduziert, die die schiitische Milizen nach Belieben errichtet hatten. Die Regierung versucht den Anschluss an die Stadt zu verbessern, wodurch der Zugang zum Nachtleben erleichtert wird.

„Früher wurde man von der Polizei angehalten und gefragt woher man ist, wohin man will und warum“, berichtet Adel. „Das passiert heute nicht mehr.“

Eine Geburtstagsparty im Restaurant Saj al-Reef.
Eine Geburtstagsparty im Restaurant Saj al-Reef. © Andrea DiCenzo for BuzzFeed News

Premierminister Al-Abadi beteuerte außerdem, dass er die sogenannte Grüne Zone von Bagdad öffnen möchte. Die Grüne Zone ist das umfangreiche, festungsartige Verwaltungszentrum des Landes, das 2003 errichtet wurde, nach dem von den USA geführten Einmarsch. Es umfasst das grüne Viertel Karadat Mariam und das UNO-Hauptquartier sowie die Botschaften der USA und Großbritannien. Wie es nach der Wahl-Niederlage Al-Abadis weitergehen wird, ist noch offen.

Das beliebte Café Beiruti am Flussufer.
Das beliebte Café Beiruti am Flussufer. © Andrea DiCenzo for BuzzFeed News

Die Iraker lieben das Nachtleben, vor allem in den heißen Sommermonaten. Sie haben bis zum Morgengrauen in den Straßen gefeiert, als al-Abadi die Ausgangssperre aufhob. „Yetbaghdad“ — ein Wortspiel mit dem Namen der Hauptstadt — bedeutet auf großem Fuß zu leben oder zu prahlen.

Iraker warten auf ihr Auto auf einem Parkplatz an der zentralen Geschäftsstraße im Viertel Mansour.
Iraker warten auf ihr Auto auf einem Parkplatz an der zentralen Geschäftsstraße im Viertel Mansour. © Andrea DiCenzo for BuzzFeed News

„Wenn die Iraker das Gefühl haben, sicher zu sein, trauen sie sich hinaus“, sagt Shirouk Abayachi, ein irakischer Abgeordneter. „Sie besuchen Einkaufszentren, gehen in Restaurants. In den schlimmsten Jahren waren die Menschen bei Einbruch der Nacht zu Hause. Jetzt gehen sie nach 18 Uhr ins Kino, hören Musik — überall. Die Iraker genießen das Leben.“

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Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch.

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