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4 Gründe „Hogwarts Legacy“ trotz J. K. Rowling zu kaufen und 4 Gründe für einen Boykott

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Von: Helen French

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Links das Wort „Pro“ und ein Pfeil auf die Figur „Sirona Ryan“ aus Hogwarts Legacy, rechts „Kontra“ und ein Bild von JK Rowling.
4 Gründe, „Hogwarts Legacy“ trotz J. K. Rowling zu kaufen und 4 Gründe für einen Boykott © Warner Bros. / Avalanche Software / imago / APress

Durch die Veröffentlichung des viel gehypten „Hogwarts Legacy“ stehen viele „Harry-Potter“-Fans vor einem Dilemma.

J.K. Rowling, die Autorin der „Harry-Potter“-Reihe, hat in den letzten Jahren mit ihren transfeindlichen Ansichten für ordentlich Kontroverse gesorgt. Ihre Äußerungen haben ihr vielerorts den Titel „TERF“ (Trans Exclusionary Radical Feminist) eingebracht, und zu erheblichen Gegenreaktionen der LGBTQ+-Community und deren Allys geführt.

Rowlings zweifelhafte Ansichten haben auch zu einer Spaltung ihrer eigenen Fans geführt – ein Teil der potenziellen „Hogwarts Legacy“-Spieler:innen hat bereits verkündet, das Spiel boykottieren zu wollen. Wir beleuchten zur Entscheidungshilfe vier moralische Argumente dafür, warum du das Spiel trotz der gerechtfertigten Kritik an und Kontroverse um J. K. Rowling kaufen könntest und vier, die dagegen sprechen.

Pro 1: J. K. Rowling war nicht an der Spielentwicklung beteiligt.

Während es in den „Harry-Potter“-Büchern unseres Wissens keine offen transfeindlichen Inhalte gab, sieht das in J. K. Rowlings jüngeren literarischen Ergüssen anders aus: Ihr Roman „Böses Blut” über einen cis-männlichen Serienkiller, der gerne Frauenkleider trägt, wurde viel dafür kritisiert, transphobe Stereotypen zu bedienen. Darüber muss man sich in Hogwarts Legacy aber keine Sorgen machen. Denn die gute Nachricht ist, dass Rowling an der Geschichte von “Hogwarts Legacy” nur in beratender Funktion beteiligt war, die Story wurde unabhängig vom Entwicklungsstudio Avalanche Software geschrieben, wie auf der FAQ-Website nachzulesen ist.

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Pro 2: Spielinhalte deuten darauf hin, dass das Spiel nicht J. K. Rowlings transphober Weltanschauung entspricht.

Es ist zwar noch etwas verfrüht, das Spiel inhaltlich vollständig zu beurteilen, fest steht aber bereits, dass die Entwickler:innen Rowlings Ansichten zur trans* Personen und deren „korrekter“ Toilettennutzung nicht in „Hogwarts Legacy“ übernommen haben. So gibt es im Spiel eine trans* Nebenfigur (die Erste im Harry-Potter-Universum). Und es ist Spielenden möglich, selber trans* Charaktere zu erstellen. Stimmlage, Körperbau und Geschlecht des Spielcharakters sollen unabhängig voneinander bestimmt werden können und ebenso, ob man im Spiel als „Hexe“ oder „Zauberer“ angesprochen wird, was auch die Zuordnung im jeweiligen Schlafsaal bestimmt. Über eine non-binäre Option ist nichts bekannt.

Pro 3: Die Entwickler:innen hinter „Hogwarts Legacy“ unterstützen.

Einige Fans wollen J. K. Rowling zwar nicht unterstützen, wohl aber das Entwickler:innenteam hinter „Hogwarts Legacy“. An dem Spiel, das seit circa 2017 in Entwicklung war, waren laut einem der Game-Designer rund 150 Avalanche-Mitarbeiter:innen beteiligt, weltweit seien es an die 1000. 

Es ist nicht unüblich, dass große Spielefirmen Entwicklungsstudios schließen, wenn ein Titel sich nach der kostspieligen Entwicklung schlechter verkauft als erwartet.

Pro 4: Die Trennung von Werk und Autorin.

Wem gehört „Harry Potter“? Die Wizarding World ist schon lange größer als J. K. Rowling. Fans haben zu den Geschichten und Figuren mitunter sehr starke persönliche und individuelle Bindungen, haben die Geschichten in Fanfictions, Headcanons und Co. weiterleben lassen und sich zu eigen gemacht. „Harry Potter“ ist sozusagen in den kollektiven geistigen Besitz übergegangen, Rowling hat kein Mitspracherecht mehr.

Und obwohl Rowlings Transfeindlichkeit die Beziehung vieler Fans zur Reihe trübt, wollen auch viele sich „ihre“ „Harry-Potter“-Welt dennoch nicht ruinieren lassen. Dazu zählen auch zahlreiche queere und trans* Fans, für die ihre eigene Beziehung zum Werk mehr zählt als die Meinung der Autorin.

So sagt zum Beispiel die trans* Podcasterin Cetine Dale darüber:

Nach langer Zeit habe ich mir erlaubt einzugestehen, dass ich den Charakteren, mit denen so viele von uns groß geworden sind und die wir liebgewonnen haben, keine Schuld geben will und kann.

Cetine Dale

Kontra 1: „Hogwarts Legacy“ hatte auch ohne Rowling eine *problematische* Figur an der Spitze.

Leider ist Rowling nicht die einzige problematische Persönlichkeit, mit der „Hogwarts Legacy“ assoziiert ist. Bis er Avalanche Software 2021 verließ, arbeitete nämlich Troy Leavitt als Lead Designer an Hogwarts Legacy.

Leavitt betrieb in seiner Freizeit einen reaktionären YouTube-Kanal, auf dem er seine kontroversen Ansichten teilte. In seinen Videos kritisierte er unter anderem die #metoo-Bewegung, modernen Feminismus und soziale Gerechtigkeit. Auch äußerte er seine Sympathie für Gamergate, eine umstrittene Bewegung innerhalb der Gaming-Community, die 2014 begann. Die Gamergate-Bewegung zeichnete sich vor allem durch die gezielte Belästigung von insbesondere FLINTA* (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen) in der Spielebranche aus und wird mit antifeministischem Gedankengut assoziiert.

Die Entdeckung des YouTube-Kanals löste einen Shitstorm und die Forderung aus, Leavitt aus seiner Position bei Avalanche Software zu entfernen. Leavitt kündigte schließlich nach eigener Aussage freiwillig.

Avalanche Software und Warner Bros. sollen vom Kanal und dessen Inhalten gewusst und ihn geduldet haben.

Kontra 2: Es wurden genügend problematische Themen aus J. K. Rowlings Welt übernommen.

J. K. Rowlings Kobolde stehen in „Hogwarts Legacy“ im Zentrum der Handlung. Aus den „Harry Potter“-Büchern kennt man sie als die verschlagenen, hakennasigen Bänker der Gringotts-Bank – und dafür sah Rowling sich in jüngerer Zeit mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert.

Kobolde werden in klassischer Fantasyliteratur zwar selten als sympathisch und oft als hakennasig und verschlagen dargestellt. Es ist aber auf Rowlings Mist gewachsen, sie zu einer geheimisvollen Gruppe Gold-affiner Bänkern zu machen, denen der „normale“ Rest der (Zauber-)Gesellschaft misstraut. Die Filme setzten dem dann noch eins drauf, indem bewusst oder unbewusst antisemitische Bildsprache übernommen wurde, bis hin zu einem Davidstern im Marmorboden der Bank.

Antisemitische Karikatur neben Gringotts-Kobolden aus dem Harry Potter-Universum
Yikes. © imago images/KHARBINE-TAPABOR / ZUMA Press

Was das mit „Hogwarts Legacy“ zu tun hat: Laut Entwicklungsstudio Avalanche Software steht eine (in den Büchern bereits hier und da erwähnte) Kobold-Rebellion im Zentrum der Geschichte. Es ist der Job des/der Spieler:in, diese Rebellion zu zerschlagen. Aber wofür rebellieren die bösen Kobolde eigentlich? Weltherrschaft?

Nun. Dem Potter-Wiki zufolge kämpfen die Kobolde dafür, von den menschlichen Hexen und Zauberern gleichberechtigt behandelt zu werden. Rowling selbst hat in die Lore ihrer Welt hineingeschrieben, dass die Kobolde unter ihrer Unterdrückung leiden: Sie dürfen keine Zauberstäbe besitzen, sind den Menschen untergeordnet, haben durch ihre Klassifizierung als „Tierwesen“ kaum mehr Rechte als ein Feuersalamander - obwohl sie hochintelligente, den Menschen ebenbürtige Kreaturen sind. Etwas dagegen unternehmen dürfen Rowlings Kobolde aber nicht.

Unterdrückte Minderheiten, deren Streben nach Gleichberechtigung als unnatürlich, falsch oder unerwünscht dargestellt wird, sind ein wiederkehrendes klassizistisches und rassistisches Element in der „Harry Potter“-Welt. Die Parallelen zu antisemitischer Propaganda machen das Ganze nicht besser.

Kontra 3: Die Entwickler:innen werden finanziell nicht durch deinen Kauf unterstützt.

Die Spielentwickler:innen bekommen nichts von deinem Geld. Sie haben ihre Gehälter (hoffentlich) schon längst ausgezahlt bekommen, Entwicklungsstudios bezahlen ihre Mitarbeitenden nicht in Tantiemen. Das eingenommene Geld landet nicht bei den Menschen, sondern dem Unternehmen dahinter. Ein Unternehmen, dessen Zukunft nicht von „Hogwarts Legacy“-Verkaufszahlen abhängig sein sollte und das einer Branche angehört, in der gerne auch mal Studios geschlossen werden, obwohl die entwickelten Spiele erfolgreich waren. Darüber hinaus bist du als Person niemandem verpflichtet, irgendein Produkt zu kaufen.

Kontra 4: Rowling lässt sich kaum von ihrem Werk trennen.

Inwiefern sich Werk und Autor:in überhaupt korrekt trennen lassen, ist ein komplexes und vielschichtiges Thema, auf das es keine einfache Antwort gibt.

Fans begründen ihre fortlaufende Unterstützung des Franchise manchmal mit dem „Tod des Autors”. Ein Theorem von Roland Barthes aus dem Jahr 1967, das besagt, dass die Absichten und biografischen Hintergründe eines/einer Autor:in bei der Interpretation des Werkes nicht berücksichtigt werden sollten. Es ist im Fall von „Harry Potter“ aber eine intellektualisierte, unzureichende Antwort auf ein grundlegend emotionales und politisches Thema. 

Denn: Die Trennung von Werk und Autor:in als moralisches Argument funktioniert nicht, wenn der/die Autor:in noch lebt, vom Werk profitiert und mit seiner/ihrer Bekanntheit, Plattform und finanziellen Ressourcen die eigenen politischen Überzeugungen fördert. 

Und das tut Rowling: Als US-Senator James Lankford 2020 die Prüfung einer Gesetzesvorlage für LGBTQ-Rechte im Senat blockierte, zitierte er in seiner Begründung Rowlings transfeindliches Essay „TERF Wars”. Sie engagiert sich auf Twitter aktiv gegen eine Gesetzesänderung in Schottland, die es trans* Menschen erleichtern soll, ihren Geschlechtseintrag vor dem Gesetz zu ändern.

Rowlings Aktivismus beeinflusst ganz real und aktuell die Diskriminierung und Unterdrückung einer marginalisierten Menschengruppe. Und mit jedem Euro, den sie durch das HP-Franchise verdient, erlaubt man ihr, weiterzumachen. Eine Ansicht, die sie übrigens teilt: Rowling soll geäußert haben, dass sie es als Bestätigung – oder mindestens Duldung – ihrer Ansichten sieht, wenn Menschen ihre Lizenz-Produkte kaufen.

Fazit?

Vorweg: Wir maßen uns nicht an, queeren, trans* oder non-binären „Harry-Potter“-Fans irgendwelche Empfehlungen auszusprechen, was sie mögen, kaufen, unterstützen sollten. Für alle anderen Personen, die sich mit dieser Frage auseinandersetzen möchten: 

Das Spiel aus moralischen Gründen zu boykottieren, ist legitim. Aber macht es dich zu einem schlechten Menschen, es zu kaufen? Nein, sagt zwar trans* Spielejournalistin Jessie Earl, aber: 

Wenn du nicht bereit bist, aus Solidarität [...] auf ein Stück Unterhaltung zu verzichten, wie können sich dann trans* Menschen sicher sein, dass du bereit bist, in wichtigeren Bereichen für uns zu kämpfen, z. B. bei Gewalt gegen trans* Menschen [...] zumal die Diskriminierung weiter zunimmt? Während ich also sage, dass du nicht transphob oder intolerant bist, wenn du „Hogwarts Legacy“ kaufst: Behaupte nicht, dass du auch ein Verbündeter von trans* Menschen bist, wenn du das Spiel kaufst.

Jessie Earl

Alternative Spiele über Hexen, Zauberer und magische Schulen gibt es übrigens einige: „Spellcaster University“ ist eine Management Sim für den PC, in der du deine eigene Schule aufbaust. Oder du bezwingst mit deinen Zauberschüler:innen in „Fire Emblem: Three Houses“ epische Gegner:innen und Kreaturen.

Wenn du dir „Hogwarts Legacy“ kaufen möchtest, könntest du es auch so handhaben wie die non-binäre bzw. genderfluide Aktivistin und Dragqueen Barbie Breakout. Im Cinema Strikes Back-Podcast erzählt sie, dass sie das Spiel kaufen und dann den doppelten Betrag an Mermaids UK, eine Wohltätigkeitsorganisation für trans* Jugendliche, spenden wird. Und wenn du den Macher:innen des Spiels kein Geld in die Taschen stecken willst, bleibt auch noch die Option, das Spiel später gebraucht zu kaufen oder von Freund:innen auszuleihen.

Wenn du trans* Menschen hier in Deutschland mit einer Spende unterstützen möchtest, kannst du das beispielsweise beim Bundesverband Trans* tun.

Was ist deine Meinung? Wirst du dir „Hogwarts Legacy“ kaufen oder bist du für einen Boykott? Lass es uns auf unseren Facebook-Seiten BuzzFeed Deutschland oder BuzzFeed DE Trending wissen!

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