Schülerinnen wissen, dass sie mal weniger verdienen – trotzdem holt die Realität sie bitter ein
Abiturientinnen wissen, dass der „Gender Pay Gap“ existiert. Die Größe der Lohnlücke zu ihren männlichen Kollegen unterschätzen sie trotzdem.
Zwischen Frauen und Männern herrscht noch lange keine Gleichberechtigung – finden Experten wie der Männlichkeitsforscher Rolf Pohl. Immer wieder gebe es Rückschritte und Gegenbewegungen, sagt er und erklärt im Interview, was das mit der „Krise der Männlichkeit“ zu tun hat. Ein Bereich, in dem die Lücke zwischen den Geschlechtern auch heute noch sichtbar wird, ist der „Gender Pay Gap“, also der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen, der 2022 laut Statistischem Bundesamt 18 Prozent beträgt.
Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat untersucht, ob junge Frauen diesen Einkommensunterschied schon erwarten. Sie kommt zu dem traurigen Schluss, dass Abiturientinnen sehr wohl mit einem „Gender Pay Gap“ rechnen – nur fällt er in der Realität sogar noch ein bisschen größer aus.

Gender Pay Gap: Abiturientinnen gehen davon aus, rund 16 Prozent weniger zu verdienen
Die Studie, die im Oktober 2022 veröffentlicht wurde, basiert auf Daten des Berliner-Studienberechtigten-Panels (Best Up) und befragte 308 Frauen und 205 Männer im Jahr 2014. Sie kommt zu dem Ergebnis: Abiturientinnen gehen davon aus, dass sie mit 35 Jahren in einem Vollzeitjob (mit Hochschulabschluss) rund 16 Prozent weniger verdienen werden als ihre männlichen Kollegen. Sie rechnen im Durchschnitt mit einem monatlichen Nettogehalt von 3153 Euro, während Männer 3740 Euro erwarten.
Laut Süddeutscher Zeitung (SZ) verdienten Frauen mit Bachelorabschluss in diesem Alter (zumindest zum Zeitpunkt, als die Befragung durchgeführt wurde) durchschnittlich jedoch nur 2070 Euro. Die befragten Abiturientinnen kalkulierten ihren „Gender Pay Gap“ also immer noch als geringer ein, als er letztendlich ist.
Dass Frauen schon mit geringen Erwartungen ins Berufsleben starten, liegt den Studienautoren zufolge an den erwarteten familiären Verpflichtungen – dem „Gender Care Gap“. Frauen übernehmen immer noch mehr Care-Arbeit als Männer. Besonders bitter ist, dass selbst Frauen, die mehr verdienen als ihre Männer, mehr im Haushalt erledigen.
Die Erwartung weniger zu verdienen, hilft nicht gerade bei Gehaltsverhandlungen
„Dass Frauen und Männer unterschiedliche Vorstellungen von ihrem späteren Einkommen haben, mag auf den ersten Blick nicht problematisch erscheinen – doch das Gegenteil ist der Fall: Wenn Frauen beispielsweise mit geringen Erwartungen in Gehaltsverhandlungen gehen, bekommen sie womöglich tatsächlich ein niedrigeres Gehalt.“
Der „Gender Gap“ bei den Einkommenserwartungen trage also negativ zum tatsächlichen „Gender Pay Gap bei“, erklärt DIW-Ökonom Andreas Leibing. Erklären könnte man dieses Phänomen auch mit einer weiteren Lücke: dem „Gender Confidence Gap“, der auch für den Frauen-Mangel in Quizshows verantwortlich sein könnte.
Wenn die Politik den „Gender Pay Gap“ nachhaltig reduzieren wolle, müsse sie also auch die Einkommenserwartungen junger Menschen in den Fokus nehmen, schlussfolgern die Autoren der Studie. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie müsse in dem Zuge deutlich verbessert werden. Hierzu gehörten der Ausbau der Kindertagesbetreuung, insbesondere im Bereich ganztägiger Angebote, und Anreize zu gerechter Aufteilung von Elternzeit. Zudem seien mehr Frauen in Führungspositionen wichtig, die ein Vorbild für junge Frauen sein könnten.
Mehr zu „Gender Gaps“? Hier erklären wir, was der „Gender Data Gap“ ist.