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9-Euro-Ticket hat ärmeren Menschen „gezeigt, dass man nicht alleine sein muss“

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Von: Jana Stäbener

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Das 9-Euro-Ticket verbesserte laut einer neuen Studie vor allem bei Menschen mit geringen Einkommen das Sozialleben und ermöglichte mehr Freizeitaktivitäten außer Haus.

Nach dem 9-Euro-Ticket wird nun über die Finanzierung eines bundesweit gültigen 49-Euro-Ticket diskutiert. Laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa) bewerten die meisten Teilnehmenden dieses zwar positiv – nutzen würde es jedoch fast die Hälfte der Befragten nicht. Das zeigt eine Befragung, die das Institut Insa für die Bild-Zeitung online durchgeführt hat.

Das 9-Euro-Ticket nutzte laut Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ebenfalls etwa die Hälfte der Bevölkerung. Insgesamt wurde es 52 Millionen Mal verkauft. Wie eine neue Studie zeigt, ermöglicht es für einkommensschwache Menschen mehr Sozialkontakte, Aktivitäten außer Haus und einer verbesserten Erreichbarkeit von Angeboten der Daseinsvorsorge, wie Ärzte und Schulen. Das 9-Euro-Ticket führte damit insgesamt zu mehr Lebensqualität.

9-Euro-Ticket ermöglicht armutsbetroffenen Menschen in Deutschland besseres Sozialleben

Auch in einem so reichen Land wie Deutschland, das laut Manager Magazin auf Platz 20 der wohlhabendsten Länder der Welt liegt, gibt es Menschen, die ab Mitte des Monats mit gerade einmal 90 Euro auskommen müssen. Wie „ein Mensch zweiter Klasse“ fühlen sie sich – das berichten sie unter dem Hashtag #IchBinArmutsbetroffen auf Twitter.

Besonders bei jungen Menschen spreche man hier meist von „relativer Armut“. „Sie bedeutet, dass man sich vieles von dem nicht leisten kann, was für fast alle anderen Mitglieder der Gesellschaft im selben Alter als normal gilt“, erklärt der Armutsforscher Christoph Butterwegge gegenüber BuzzFeed News DE. Knapp 13 Millionen Kinder und Jugendliche waren in Deutschland 2020 laut dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamts armutsgefährdet – sie sind als junge Menschen die Altersgruppe „mit dem höchsten Armutsrisiko“.

Angebote wie das 9-Euro-Ticket haben diesen armutsbetroffenen Menschen ein besseres Sozialleben ermöglicht. Das fanden Mobilitätsforschende aus Erfurt heraus, die im August 2022 insgesamt 1.157 Fragebögen auswerteten. Insbesondere Menschen in den unteren Einkommensschichten (unter 1.250 Euro netto im Monat) waren zur Zeit des 9-Euro-Tickets mehr unterwegs – vor allem mit dem ÖPNV.

Familie sitzt am See und hat Spaß.
Das 9-Euro-Ticket ermöglichte vermehrte Sozialkontakte und mehr Aktivitäten außer Haus – sorgte bei einkommensschwachen Menschen also für mehr Lebensqualität. © PhotoAlto/IMAGO

Mehr Freizeitaktivitäten – „9-Euro-Ticket hat mir gezeigt, dass man nicht alleine sein muss“

Der verbesserte Zugang zu Mobilität habe auch zu besseren Möglichkeiten für die soziale Teilhabe der Befragten geführt. Schaue man sich die unteren Einkommensgruppen an, so zeigten sich bei ihnen zur Zeit des 9-Euro-Tickets mehr Freizeitaktivitäten. An schriftlichen Kommentaren, wie den drei unten folgenden, sehe man eine gesteigerte Lebenszufriedenheit der Befragten durch vermehrte Sozialkontakte, Aktivitäten außer Haus und die verbesserte Erreichbarkeit von Angeboten der Daseinsvorsorge.

Die große Mehrheit der Befragten wünscht sich laut Studienautoren ein Nachfolgeangebot zum 9-Euro-Ticket. Die Zahlungsbereitschaft liegt hier im Mittel bei 25 Euro pro Monat, also deutlich unter dem geplanten Preis des 49-Euro-Tickets. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf fordert die Deutsche Umwelthilfe schon seit Monaten ein Klimaticket für etwa 30 Euro im Monat – denn der Straßenverkehr sei der „größte Faktor für die Luftbelastung“ in deutschen Städten.

Nachfolger des 9-Euro-Ticket sollte sich an „unteren Einkommensgruppen orientieren“

Claudia Hille, die die Studie am Institut Verkehr und Raum der Fachhochschule Erfurt leitete, ist der Meinung, dass die Ergebnisse eindrücklich zeigen, wie wichtig das 9-Euro-Ticket für Menschen mit geringen Einkommen war. „Wenn der Fahrschein für den Weg zum Facharzt zum unüberwindbaren Hindernis wird oder Menschen einsam sind, weil die Pflege von persönlichen Kontakten sich am Ticketpreis entscheidet, dann zeigt das einen eklatanten gesellschaftlichen Missstand.“

Bei der Diskussion um ein Nachfolgeticket sollten sich Politiker und Politikerinnen also fragen, wie gerecht das Verkehrssystem in Deutschland aussehen soll. „Mit Blick auf die Studienergebnisse sollte eine Nachfolgeregelung sich auch an den Bedürfnissen der unteren Einkommensgruppen orientieren, denn für diese hat das Ticket einen echten Zugewinn in Sachen Lebensqualität gebracht.“

Einen echten Vorteil sehen auch einige Aktivisten im 9-Euro-Ticket. Sie gründeten deswegen den „9-Euro-Fonds“, der die Strafen fürs Schwarzfahren übernimmt – für gerade einmal 9 Euro im Monat.

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