Ökonom warnt: 4-Tage-Woche „geht zulasten derer, die am wenigsten haben“
Ist eine 4-Tage-Woche in Deutschland irgendwann realistisch, fragt BuzzFeed News DE den Ökonomen Holger Schäfer vom Institut für Wirtschaft.
Immer wieder kam in den vergangenen Jahren die Diskussion über die 4-Tage-Woche auf. In Belgien beispielsweise wurde im Februar 2022 ein Gesetz beschlossen, dass Arbeitszeiten flexibler gestaltet werden dürfen. Macht das die Arbeitnehmer glücklicher? Könnten auch in Deutschland ein Großteil der berufstätigen Personen vier statt fünf Tage arbeiten und würden in dieser Zeit genauso viel erledigen, wie zuvor?
All diese Fragen stellen sich, wenn man über eine 4-Tage-Woche und die Zukunft der Arbeit nachdenkt, die zumindest für Eltern immer noch düster aussieht. BuzzFeed News DE von IPPEN.MEDIA hat den Wirtschaftsökonomen Holger Schäfer vom Institut für Wirtschaft (IW) gefragt, wie realistisch es ist, dass wir in naher Zukunft vier Tage in der Woche arbeiten.
4-Tage-Woche Deutschland: Produktivitätsreserve von 20 Prozent ist „abwegig“
In Deutschland gibt es schon ein paar Betriebe, bei denen die 4-Tage-Woche gelebt wird. Rein juristisch widerspricht das nicht dem Arbeitszeitgesetz. Erstens gibt es Teilzeit-Stellen, und zweitens kann die Arbeitszeit auch in Vollzeitjobs täglich auf bis zu zehn Stunden erhöht werden. So handhabt es zum Beispiel das Légère Hotel in Taunusstein oder ein kleiner Sanitärbetrieb, mit dem die Deutsche Presse-Agentur (dpa) sprach. „Wir sind dadurch viel entspannter, aber auch geplanter und strukturierter“, sagt dessen Besitzerin.
Kann das sein, dass eine 4-Tage-Woche für Entspannung sorgt und vielleicht sogar die Burnout-Gefahr verringert, der sogar die Gen Z schon ausgesetzt ist? Der Wirtschaftsökonom Holger Schäfer sieht das skeptisch. Weniger Arbeitszeit bedeute ja auch, dass Arbeit verdichtet werden müsse. „Dann fehlen die Mikropausen, die zum Beispiel in vielen Jobs für die Kreativität so wichtig sind. Eine Verkürzung der Arbeitszeit würde also in den meisten Berufen auch zulasten der Kreativität gehen und auch mehr Stress bedeuten“, so Schäfer gegenüber BuzzFeed News DE.
Arbeitsforscher Philipp Frey vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung sagt der dpa, dass einige Studien beweisen, dass bei Arbeitszeitverkürzung die Produktivität steigt. In Großbritannien führe man gerade solch eine Studie durch – die Halbzeitergebnisse seien vielversprechend. Schäfer hält dagegen: „Das würde ja bedeuten, es gibt eine Produktivitätsreserve und das ist abwegig. Jeder kann sich das ja einmal selbst überlegen, ob er in seinem Job 20 Prozent Zeit übrig hat, in der er nichts zu tun hat.“ Wohl eher nicht, denn warum sonst gehen 72 Prozent der Deutschen sogar krank zur Arbeit?

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„Wir werden zwar weiterhin produktiver, aber nicht mehr so stark“
„Ich bin kein Gegner der 4-Tages-Woche“, sagt der Wirtschaftsexperte zu BuzzFeed News DE. Unternehmen und Arbeitnehmer sollen die Arbeitszeit selbst so vereinbaren, wie es für sie passe. Das sei ja in den meisten Fällen individuell möglich. „Aber der Gedanke, dass man für dieselbe Bezahlung einfach weniger Stunden arbeiten muss, der ist utopisch. Wenn wir alle weniger arbeiten, woher soll das Geld dann kommen?“, so Schäfer, dessen Forschungsschwerpunkte Beschäftigung und Arbeitslosigkeit sind.
Historisch betrachtet, so Frey zur dpa, habe es in den vergangenen 200 Jahren einen Trend zur Arbeitszeitverkürzung gegeben. Aus 60 Stunden wurden irgendwann 38. Dass dieser Wert in Deutschland seit 30 Jahren stagniere, sei die absolute Ausnahme, so der Arbeitsforscher. Laut Schäfer liegt die Stagnation an dem gesunkenen Produktivitätswachstum. „Wir werden zwar weiterhin produktiver, aber nicht mehr so stark wie noch vor einigen Jahrzehnten“, sagt der Ökonom.
Es stehe also die Frage im Raum, mehr zu verdienen oder weniger arbeiten – beides gehe nicht. „Und die meisten Menschen haben sich wohl für das ‚mehr verdienen‘ entschieden“, so Schäfer. Warum unsere Produktivität nicht mehr so sehr steige, das sei schwierig zu beantworten. „Robotik und Software ersetzen zwar menschliche Tätigkeiten, aber gerade im Dienstleistungsbereich entstehen gleichzeitig sehr viele neue.“
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Weniger Geld für die soziale Umverteilung: Schadet 4-Tage-Woche armen Menschen?
In einem Artikel von t3n sagt Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen, dass Deutschland die Einführung einer 4-Tage-Woche verschlafen habe. Schäfer stimmt hier nur bedingt zu, denn die entscheidende Frage sei doch: „Was ist uns wichtiger – Wohlstand oder Arbeitszeit? Wir könnten schon heute alle durchschnittlich nur vier Tage in der Woche arbeiten, wenn wir uns mit dem Wohlstandsniveau der 90er-Jahre zufriedengeben würden“, sagt der Ökonom gegenüber BuzzFeed News DE.
Außerdem merkt er noch einen weiteren Aspekt an, der hinterfragt, ob man sich eine flächendeckende 4-Tage-Woche in Deutschland wirklich wünschen sollte. Würden wir uns als Gesellschaft dafür entscheiden, weniger zu arbeiten und weniger Wirtschaftsleistung in Kauf zu nehmen, dann betreffe das auch Menschen, die armutsbetroffen sind. „Wenn ich weniger erwirtschafte, dann ist auch weniger an Gütern und Dienstleistungen da. Eine 4-Tages-Woche geht im schlimmsten Fall auch zulasten derer, die am wenigsten haben, denn dem Staat bleibt dann auch weniger Geld für die soziale Umverteilung übrig.“