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Trotz Corona-Ausbrüchen: Pflegeheime in Hessen während Pandemie kaum kontrolliert

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Von: Daniel Drepper

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In hessischen Pflegeheimen sind wegen massiver Corona-Ausbrüche tausende Menschen gestorben. Zu sehen ist hier eine ältere Frau im Rollstuhl, hinter ihr die Hände einer Pflegerin.
In hessischen Pflegeheimen sind wegen massiver Corona-Ausbrüche tausende Menschen gestorben. © Jens Büttner / dpa

Die Arbeitsbedingungen in hessischen Pflegeheimen sind in den vergangenen Monaten kaum kontrolliert worden. Teilweise wurden selbst Pflegeheime mit massiven Corona-Ausbrüchen nicht aufgesucht, zeigen Recherchen von BuzzFeed News Deutschland.

In ganz Deutschland gibt es Arbeitsschutz-Behörden, die auch für den Schutz von Pflegekräften in Altenheimen zuständig sind. Sie müssen etwa die Schutzausrüstung prüfen, ob wirksames Desinfektionsmittel vorhanden ist oder Schichtpläne verändert wurden, um ausreichend Abstand zwischen den Pfleger:innen zu garantieren. 

Weniger als zwei Prozent der hessischen Pflegeheime wurden auf ihren Arbeitsschutz kontrolliert

Doch Recherchen von BuzzFeed News* zeigen, dass in den vergangenen Monaten fast keines der 850 hessischen Pflegeheime von den Arbeitsschutz-Behörden besucht worden ist. „Hessenweit wurden, zwischen August und Dezember 2020, 13 Pflegeheime begangen“, schreibt das Hessische Ministerium für Soziales und Integration auf Anfrage. Das sind weniger als zwei Prozent. Nach Recherchen von BuzzFeed News wurden selbst Heime mit dutzenden Corona-Fällen nicht von den Arbeitsschutz-Behörden aufgesucht, zum Teil nicht einmal kontaktiert.

Im Januar hat das Ministerium eine bis Ende April laufende, sogenannte Schwerpunktaktion Corona Pflege gestartet. Doch im Rahmen dieser Schwerpunktaktion haben die Behörden bis Mitte März noch kein einziges Pflegeheim persönlich aufgesucht. Stattdessen haben sie Informationsmaterial und Fragebögen an 85 Heime versandt. Den entsprechenden Fragebogen veröffentlicht BuzzFeed News hier im Original. In den insgesamt 42 Fragen möchte die Behörde unter anderem wissen, ob die Schutzausrüstung vernünftig aufbewahrt wird und ob es getrennte Waschbecken für Bewohner und Personal gibt.

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Reporter Daniel Drepper recherchiert weiter zu schlechten Arbeitsbedingungen und Ausbeutung von Arbeiter:innen. Sie erreichen ihn auch anonym über die verschlüsselte App Signal (0151 407 95 370) oder unter daniel.drepper@buzzfeed.de.

Erst in einem möglichen dritten Schritt, nach Versand und Auswertung der dreiseitigen Ankreuz-Bögen, werden möglicherweise einzelne Heime besucht. Das geht aus einem internen Papier des Sozialministeriums hervor, das BuzzFeed News Deutschland hier veröffentlicht.

Arbeitsschutz-Kontrollen per Fragebogen statt vor Ort während Corona „eine Katastrophe“

„Das ist natürlich eine Katastrophe“, sagt Anette Hergl, die bei verdi in Frankfurt für die Altenpflege zuständig ist. „Es müssten eigentlich alle Pflegeheime eine Kontrolle und eine kontinuierliche Begleitung bekommen.“ Hergl kritisiert den Einsatz von Fragebögen. Die Unternehmen hätten oft kein Interesse an Arbeitsschutz, weil das zusätzliche Kosten verursache. Missstände decke man nicht mit Fragebögen auf.

Aus internen Dokumenten des Ministeriums geht hervor, dass auch die Kontrollen in anderen Branchen zum Teil auf dem Versenden von Fragebögen basieren. Erwähnt werden der Handel, Taxiunternehmen, die Land- und Weinwirtschaft, Friseure und die Fleischindustrie. Wie viele Betriebe jeweils angeschrieben und wie viele vor Ort kontrolliert wurden, konnte das Ministerium auf Anfrage nicht mitteilen.

Die Behörden planen von Januar bis April 2021 insgesamt 1000 Corona-Arbeitsschutzkontrollen durchzuführen. Bei rund 270.000 Unternehmen in Hessen würde dies für jedes Unternehmen im Schnitt eine Corona-Kontrolle alle 90 Jahre bedeuten. Das geht aus einem zweiten, internen Papier hervor, das BuzzFeed News hier im Original veröffentlicht. 

Wie viele Arbeitsschutz-Kontrollen vor Ort in den Pflegeheimen stattfinden ist unklar

Zu diesen 1000 Kontrollen zählen auch die 85 Fragebögen aus der Aktion Corona Pflege. Wie viele der Kontrollen tatsächlich vor Ort in den Betrieben stattfinden, beantwortete das Ministerium auf Anfrage nicht. Dies könne erst nach Abschluss der Aktion Ende April ausgewertet werden. Im Jahr 2020 hätten jedoch mehr als 90 Prozent der Corona-Kontrollen als echte Vor-Ort-Kontrollen in den Betrieben stattgefunden. 

Das Ministerium betont, es gebe zudem noch weitere Kontrollen. Derzeit würden etwa „parallel und zum Teil überdeckend die Anforderungen der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbschV) zum Homeoffice in ebenfalls 1000 Fällen kontrolliert“. 

Was aus den Dokumenten und der Antwort des Ministeriums ebenfalls deutlich wird: Bis Ende Januar hat das Ministerium keine Homeoffice-Kontrollen durchgeführt. Diese seien erst möglich, seitdem die Bundesregierung ihre neue Corona-Arbeitsschutzverordnung verabschiedet hat. Zuvor habe das Ministerium seinen Fokus darauf gelegt, Arbeitgeber über Home-Office zu informieren, statt sie zu kontrollieren.

Linksfraktion: „Eine bewusste Verletzung der Aufsichtspflicht des Staates“

Die hessische Opposition kritisiert die Arbeit der Behörden scharf. „Die Alten- und Pflegeheime in Hessen sind seitens der hessischen Landesregierung als Hotspots vollkommen unterschätzt worden“, schreibt Christiane Böhm, Landtagsabgeordnete der Linksfraktion auf Anfrage. „Etwa 60 Prozent der Todesfälle im Zusammenhang mit Corona sind in Altenheimen geschehen.“ Böhm schreibt von Totalversagen und verurteilt die Kontrollen per Fragebögen. 

„Angesichts der hohen Infektions- und auch Todeszahlen in den Alten- und Pflegeheimen ist es unbegreiflich, dass keine engmaschigen Kontrollen stattgefunden haben“, schreibt auch eine Pressesprecherin der FDP-Landtagsfraktion. Die Fragebögen nennt die FDP „eine Alibi-Maßnahme, um besser dazustehen.“

Die Landtagsfraktion der Grünen verteidigt das Vorgehen der schwarz-grünen Landesregierung. Die Behörden hätten „anlassbezogen reagiert und aufgrund von Beschwerden und Anfragen Besichtigungen in Pflegeheimen durchgeführt.“ Die Beantwortung telefonischer Anfragen sei jederzeit gewährleistet gewesen. Kontakte seien reduziert und vermieden worden, schreibt eine Pressesprecherin, damit die Beamt:innen nicht das Virus in die Heime tragen. 

SPD und CDU äußerten sich auf Anfrage von BuzzFeed News nicht zu den Recherchen.*BuzzFeed News Deutschland ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

BuzzFeed News Deutschland recherchiert weiter zum Thema Berufkrankheiten, Arbeitsschutz und Arbeitsausbeutung. Die Redaktion erreichen Sie unter recherche@buzzfeed.de

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