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Aus dieser chinesischen Stadt kommt unser Weihnachtsschmuck

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Von: Sven Hauberg

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Vor 40 Jahren war Yiwu noch bettelarm. Heute kommt aus der ostchinesischen Stadt der Großteil des weltweit verkauften Weihnachtsschmucks. Eine Erfolgsgeschichte, die sogar Marxisten glücklich macht.

München/Yiwu – Der Weihnachtsmann kommt nicht vom Nordpol, er kommt aus China. Genauer: aus Yiwu, einer gesichtslosen Millionenstadt rund zweihundert Kilometer südwestlich von Shanghai. Yiwu ist Chinas Zentrum für den Handel mit allem, was klein, billig und einfach herzustellen ist. Reißverschlüsse, Plastikblumen oder T-Shirts werden hier millionenfach an Großhändler aus aller Welt verkauft, die den günstigen Kleinkram dann nach Deutschland, Brasilien oder in die USA exportieren. Auch ein Großteil des Weihnachtsschmucks, der weltweit von Christbäumen baumelt oder an verschneiten Fenstern klebt, wird in Yiwu produziert und vertrieben.

Produktion von Weihnachtsdeko
In der chinesischen Stadt Yiwu wird seit vielen Jahren Weihnachtsschmuck produziert und verkauft (Archivbild). © Imago

Welchen Marktanteil Yiwu am Geschäft mit Weihnachtskrimskrams hat, lässt sich nicht genau sagen. Die Stadt selbst behauptet, zwei Drittel des Weltmarktes zu bedienen. Laut chinesischem Staatsfernsehen sind es sogar 80 Prozent. So oder so: Wer einen Weihnachtsbaum in sein Wohnzimmer stellt, hängt mit einiger Wahrscheinlichkeit auch den ein oder anderen Schmuck aus Yiwu an die Tannenzweige. „Ohne Yiwu hätte der Weihnachtsmann keine Kleider und Mützen, die Kinder keine Grußkarten und Geschenke, die Verbraucher keine Weihnachtsbäume und -dekorationen, und Weihnachten wäre unvollständig“, zitiert die Stadt auf ihrer Internetseite stolz einen ausländischen Geschäftsmann.

Anfang der 80er beginnt die Erfolgsgeschichte von Yiwu

Das Epizentrum des Weihnachtshandels in Yiwu ist die „International Trade City“, ein riesiger Komplex aus Dutzenden Warenhäusern, in denen Tausende Händler an kleinen Verkaufsständen ihre Produkte ausstellen. Hier gibt es alles, was das Weihnachtsherz begehrt: kilometerweise Lametta, Nikolausmützen für weniger als einen Euro das Stück (wenn man 800 auf einmal nimmt), bunt blinkende Plastikweihnachtsbäume, im Dutzend billiger.

Mehr als 15.000 verschiedene Dekoartikel warten hier auf Einkäufer aus aller Welt. Jeder der Händler hat sich auf ein paar Produkte spezialisiert, die in der Stadt selbst oder in der Umgebung hergestellt werden. Nicht immer allerdings zu besinnlichen Bedingungen, wie Aktivisten kritisieren. Die Arbeitstage in den Fabriken sind lang, die Löhne oftmals niedrig. So manch ein Chinese ist allerdings reich geworden mit dem Weihnachtsnippes, Yiwu ist heute eine der wohlhabendsten Städte in ganz China. Und das, obwohl man in China mit Weihnachten eigentlich nicht viel am Hut hat.

Anfang der 80er, wenige Jahre nach dem Tod von Staatsgründer Mao Zedong, war Yiwu noch bettelarm. Es war Maos Nachfolger, der Reformer Deng Xiaoping, der die Menschen in China ermutigte, reich zu werden. Wie sie das anstellten, das war damals nicht so wichtig. „Es ist egal, ob die Katze weiß oder schwarz ist“, pflegte Deng zu sagen. „Hauptsache, sie fängt Mäuse.“ Xie Gaohua, damals Parteisekretär des Bezirks Yiwu, ließ sich das nicht zweimal sagen. Einer in Chinas Staatsmedien kolportierten Legende zufolge gründete Xie 1982 den ersten Großmarkt in Yiwu, nachdem sich eine Straßenhändlerin bei ihm bitterlich beschwert hatte, dass ihre Waren von den örtlichen Behörden immer wieder beschlagnahmt worden waren. Die Frau hatte es gewagt, Schnürsenkel und Knöpfe zu verkaufen, um ihre vier Kinder und ihre alte Mutter zu ernähren.

Yiwu unter Lockdown: Weihnachten in Gefahr?

„Kapitalistische Aktivitäten“, hieß das damals, und nicht jeder fand es gut, dass neuerdings auch Privatleute Geschäfte trieben. Parteichef Xie hingegen sah kein Problem. „Ich würde nicht behaupten, dass ich alles über Marxismus weiß“, sagte er Jahre später in einem Interview. „Aber ich war davon überzeugt, dass meine Strategie dem nicht entgegensteht.“ Es war das erste Mal, dass eine chinesische Lokalregierung nach Jahren der Planwirtschaft offiziell die Rechtmäßigkeit eines freien Marktes für Landwirte und Händler anerkannte. Verkauft wurden zunächst landwirtschaftliche Produkte, etwas Kleidung, Dinge für den alltäglichen Bedarf. Lametta suchte man hier damals vergeblich.

Erst nach der Jahrtausendwende nahmen in Yiwu die ersten Händler auch Lichterketten und Deko-Engel aus Plastik in ihr Sortiment auf. Heute ist die Welt von Weihnachtschmuck aus China so abhängig wie von russischem Gas oder saudischem Öl. Da kann für einen Moment schon mal Panik ausbrechen, wenn die Lieferketten ins Stocken geraten. So wie Mitte August dieses Jahres, als Yiwu unter einen mehrtägigen Lockdown gestellt wurde. Alle Fabriken mussten schließen, es sei denn, sie produzierten Dinge, die von den Behörden als lebensnotwendig eingestuft wurden. Weihnachtsschmuck für deutsche Christbäume fiel allerdings nicht unter die Ausnahmeregelungen.

Verkäuferin mit Nikolaus
Verkäuferin mit Nikolaus: Aus der Stadt Yiwu kommt ein Großteil der weltweiten Weihnachtsdeko (Archivbild). © Imago/Xinhua

Die Auslieferung der Weihnachtsdeko beginne im März und Ende Mitte Oktober, zitierte die South China Morning Post damals einen Bewohner von Yiwu, der für einen Hersteller und Exporteur von Weihnachtsschmuck arbeitet. „Bis jetzt haben wir 70 Prozent der Bestellungen abgeschlossen.“ Auslieferungen würden sich zwar verzögern, glücklicherweise aber hätten die meisten Kunden ihre Bestellungen in diesem Jahr sehr früh abgegeben, so dass sich der Schaden in Grenzen halte.

„Reich werden ist ruhmreich“

„Fast keine Weihnachtsbestellungen waren betroffen“, sagte nach Ende des zehntägigen Lockdowns auch Cai Qinliang, der Generalsekretär der Industrievereinigung für Weihnachtsbedarf in Yiwu, der staatlichen Global Times. Das legen auch die offiziellen Exportzahlen nahe. So konnte Yiwu in den ersten sieben Monaten dieses Jahres Weihnachtsprodukte im Wert von 1,75 Milliarden Yuan (237 Millionen Euro) ausführen. Zum Vergleich: In den ersten zehn Monaten des Jahres 2019 – also noch vor der Pandemie – waren es Waren im Wert von 1,92 Milliarden Yuan (260 Millionen Euro). Das Geschäft mit den Christbaumkugeln dürfte unter dem Lockdown also kaum gelitten haben.

Deutlich dramatischer war die Lage im ersten Pandemiejahr 2020, als die internationalen Käufer weitgehend ausblieben und viele Verkäufer auf ihren Plastik-Rentieren sitzenblieben. Vor Beginn der Corona-Pandemie besuchten offiziellen Angaben zufolge jedes Jahr mehr als 560.000 ausländische Händler die Stadt, mehr als 15.000 Geschäftsleute aus über 100 Ländern sollen in Yiwu sogar gelebt haben. Damit war Anfang 2020 auf einmal Schluss, und in Yiwu brach Panik aus. Denn im eigenen Land wurden die Händler ihren Weihnachtskitsch kaum los, denn die Begeisterung für das westliche Konsumfest hat in China in den vergangenen Jahren deutlich nachgelassen. Nicht zuletzt, weil die Kommunistische Partei es so wollte: Weihnachten passt eben nicht zum chinesischen Nationalismus, den Staats- und Parteichef Xi Jinping seinem Volk verordnet hat.

Zum Exportschlager wurden Anfang 2020 nicht Strohsterne, sondern Medizinprodukte: Im März – China selbst hatte zu dem Zeitpunkt die Pandemie dank Knallhart-Lockdowns wieder weitergehend unter Kontrolle gebracht – fuhr erstmals ein Güterzug von Yiwu die rund 13.000 Kilometer nach Madrid, um dem pandemiegebeutelten Land medienwirksam unter die Arme zu greifen. An Bord: 110.000 Masken und 766 Schutzanzüge, wie chinesische Staatsmedien berichteten. In Yiwu, der Stadt mit dem untrüglichen Geschäftssinn, hatte man sich offenbar an einen anderen Ausspruch von Reformer Deng Xiaoping erinnert: „Reich werden ist ruhmreich.“

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